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Probleme in Patchwork-Familien: Therapeut weiß Rat

Führen neue Partner ihre Familien zusammen, gibt es viele Probleme, weiß Andreas Rösch. Doch der Familientherapeut aus Dresden kennt auch Lösungen.

Von Susanne Plecher
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Seit Mama den Neuen hat, ist alles anders. Ich vermisse Papa. Mit ihm war alles viel besser.
Seit Mama den Neuen hat, ist alles anders. Ich vermisse Papa. Mit ihm war alles viel besser. ©  Symbolbild/pexels.com

Moritzburg/Dresden. Für Kinder bricht die Welt zusammen, wenn die Eltern sich trennen. Wenn Mama oder Papa dann auch noch einen neuen Partner oder eine neue Partnerin haben, mit dem oder der man sich verstehen – und mit deren Kindern man Zimmer und Spielsachen teilen soll, sind nicht nur Streitereien, sondern auch Traurigkeit und das Gefühl, nicht verstanden zu werden, programmiert.

Etwa neun bis 13 Prozent aller Kinder und Eltern leben in Patchworkfamilien – und es gibt immer mehr. Die größte Herausforderung für sie ist, wie die Kinder zu den neuen Partnern eine gute Beziehung aufbauen können, sagt Andreas Rösch. Er leitet die Evangelische Beratungsstelle des Diakonischen Werkes, Stadtmission Dresden gGmbH.

Herr Rösch, wie oft haben Sie in der Beratung mit Patchworkfamilien zu tun?

Etwa 50 bis 60 Prozent aller Ratsuchenden kommen nach einer Trennung zu uns. Sie wollen wissen, was sie beachten können, damit es dem Kind gut geht. Die Hälfte von ihnen leben in Patchworkkonstellationen.

Was sind deren größte Probleme?

Nach einer Trennung ist vieles neu und ungewohnt für Eltern und Kind. Wo wird es leben? Wann ist es bei wem? Wer bezahlt was? Die Fragestellungen um die Patchworksituation tun sich zu einem späteren Zeitpunkt auf. Zunächst dominiert das Drama der Trennung in all seinen Schattierungen. Wenn ein Elternteil ausspricht, dass es jemanden kennengelernt hat und diese Person auch Kinder hat und man sich miteinander bekannt machen möchte, schlagen die Wogen hoch und es gibt einen Sturm der Entrüstung.

Gibt es einen richtigen Zeitpunkt, um einen neuen Partner vorzustellen?

Der Berater gibt da nichts vor. Es ist ein Austarieren. Einen Monat nach dem Kennenlernen und Zusammensein mit dem neuen Partner ist die Begegnung mit den Kindern noch nicht angezeigt. Aber vielleicht sind auch zwei Jahre zu lang. Ich glaube, es braucht da eine behutsame Würdigung aller Lebensumstände. Es geht häufig um die Emotionen der Erwachsenen, wie viel Kränkung und Verletzung wegen der Trennung noch in ihnen sind. Aber die sollten nicht handlungsleitend sein. Eine Zahl zu nennen, ist schwierig.

Welche Probleme kommen auf die neuen Partner, auf das Liebespaar, zu?

Zunächst gibt es da eine große logistische Herausforderung im Alltag, weil es meist nicht nur um ein Kind in der Familie geht, sondern manchmal um drei, vier, fünf Kinder. Es müssen konkrete Entscheidungen getroffen werden, die Wochenendgestaltung ist zu planen, die Mobilität. Wer schafft die Kinder wann wohin? Wann sind sie beim leiblichen Elternteil, wann bei uns? Das fordert den Eltern eine große Organisationsleistung ab.

... und bindet viel Zeit, die sie gern füreinander hätten.

Ja, das ist der Spagat zwischen der Etablierung der neuen partnerschaftlichen Beziehung und dem, was mein leibliches Kind von mir einfordert, was es bislang kannte und dem, was für das neue, nicht leibliche Kind in der Familie an Beziehung investiert werden muss. Im Vorfeld ist vielen Eltern nicht bewusst, was auf sie zukommt. Oft ist es gut, wenn sie sich Beratung suchen.

Was belastet die Kinder?

Sie haben die Veränderung nicht gewählt und sich auch nicht gewünscht. Das haben Erwachsene so entschieden, hat aber massive Auswirkungen auf alle Bereiche ihres Alltags. Von ihnen wird in der Phase eine hohe Anpassungsleistung erwartet: Welche Regeln gelten beim Vater oder bei der Mutter?

Das betrifft Handynutzung, Aufräumen, Tischmanieren, Körperhygiene, Wochenendausflüge, Hobbygestaltung – ganz Alltägliches. Dazu kommt die Erwartung, dass das Kind den neuen Partner oder die neue Partnerin mögen sollte und sich mit den Stiefgeschwistern ein Zimmer, das Spielzeug und die Freizeit teilt. Das wird alles erhofft. Aber es kann nicht erwartet werden, dass das sofort da ist.

Wie können Eltern verhindern, dass sich das Kind zurückgesetzt oder weniger geliebt als das Stiefkind fühlt?

Da muss berücksichtigt werden, welche Erfahrungen das Kind bislang gesammelt hat. Was in seiner Familie bislang galt, gilt in der neuen Familie vielleicht so nicht. Solche Irritationen gibt es auch bei Erwachsenen.

Deshalb ist es ganz wichtig, dass man sich anhört und austauscht, wie das Leben bislang in der anderen Familie gelaufen ist: Was habt ihr am Wochenende und im Urlaub gemacht? Wann seid ihr ins Bett gegangen? Es ist wichtig, sich davon zu erzählen und anzuerkennen, dass das, was miteinander neu gestaltet wird, auf diese vorangegangenen Erfahrungen zurückgreift. Aber dennoch etwas gemeinsames Neues entstehen soll.

Müssen solche grundlegenden Absprachen nicht die neuen Partner treffen?

Ja, zuallererst ist es nötig, dass sich das Paar verständigt, wie das bislang war, was dem Anderen wichtig und was für die Kinder jeweils essenziell ist. Was brauchen sie? Wie bekommen wir das zusammen hin? Was soll in unserer Familie gelten?

Altersbezogen müssen die Kinder aber auch mit einbezogen und gehört werden, zum Beispiel in der Freizeit- oder Wochenendgestaltung. Für die Kinder geht es darum, dass der leibliche Elternteil auch in der neuen Patchworkfamilie deutlich spürbar bleibt.

Können Sie das bitte erläutern?

Kinder erleben es als Verrat, wenn ihre leiblichen Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zurücktreten. Sie wollen, dass der leibliche Elternteil weiter da ist und erzieht. In der Realität will der Elternteil aber auch seine neue Paarbeziehung etablieren. Das ist ein Spannungsfeld.

Häufig ist es dann so, dass das Stiefelternteil die Ärmel hochkrempelt und miterziehen will. Davor warne ich. Er sollte für das Kind ein interessierter, freundlicher Begleiter sein, der deutlich wahrnimmt, was die Interessen und Gefühle des Kindes sind, der hinschaut und nachfragt. Das sollte zuerst eine Rolle spielen. Später ist auch viel mehr möglich

Wie kriegt man das in der konkreten Situation am Tisch hin, wenn das Kind schmatzt, der Stiefvater aufbraust und die Mutter kuscht?

Das muss zuerst zwischen den neuen Partnern thematisiert werden, gerade die Tischsitten können in Familien so unterschiedlich sein. Hier haben die Eltern mit den Kindern zusammen zu besprechen, was gelten sollte. Kinder erleben es als hochgradig irritierend, wenn das, was bislang immer galt und in Ordnung war, auf einmal anders sein soll.

Dann kommen solche Sätze wie: „Seitdem der da ist, bist du ganz anders, Mama.“ Aber auch hier sollten die Intervenierenden am Tisch die leiblichen Eltern sein. Eine neue Familie, eine neue Gemeinsamkeit zu etablieren, geht nicht ohne Sturm einher. Wenn etwas nicht passt, dann braucht es sowas wie einen Familienrat, in dem die Probleme gemeinsam besprochen werden.

Was raten Sie, wenn das Kind trotzdem den Aufstand probt und Druckmittel nutzt und den oder die Neue(n) ablehnt?

Ich würde das nicht als Druckmittel bezeichnen, sondern eher: Das Kind setzt ein Signal, ob es dem Erwachsenen nun passt oder nicht. Es zeigt damit, dass die Mutter weniger Zeit hat, strenger ist, dass es seinen Papa vermisst. Man kann dem Kind nicht alles passend zur Verfügung stellen, aber man kann es wahrnehmen, gemeinsam überlegen, wie man etwas gestalten kann. Am Anfang gibt es meist ein riesiges Loyalitätsproblem.

Meinen Sie, dass das Kind sich nicht traut, den Neuen zu mögen, weil es zum Beispiel Papa nicht verletzen möchte?

Ja. In einem solchen Fall ist es ganz wichtig, dass der Stiefelternteil sagt: „Ich bin auch nicht dein Papa. Du hast einen Papa – und das ist gut so. Aber ich will mit dir gut auskommen und dass du dich wohlfühlst.“ Man muss sich am Anfang nicht lieben oder mögen, aber man muss sich arrangieren. Am Anfang ist der Neue im schlimmsten Fall der Feind in der Familie. Die Erwachsenen sind gefragt, dass daraus eine gelingende Beziehung wird.

Wie stellt das Stiefelternteil das an?

Indem es neugierig ist und Interesse zeigt, sich aber mit dem Erziehen zurückhält. Wenn es am Tisch jetzt ganz anders zugeht, kann man durchaus feststellen: „Bei euch ist es immer so laut. Ich mag es eher leise“.

Es geht aber auch darum, inwieweit der leibliche Elternteil, der Vater oder die Mutter, dem Kind erlaubt, mit dem neuen Stiefelternteil zu kooperieren und eine Beziehung aufzubauen. Sie zu befördern, ist die Leistung des Elternteils, der nicht in der Familie lebt.

Wie funktioniert das?

Mit einer ausdrücklichen Erlaubnis: „Du darfst dich mit dem neuen Partner von Mama verstehen, du darfst mit ihm fröhlich sein und schöne Sachen machen. Ich finde das gut, dass du noch jemanden in deinem Leben dazugewonnen hast, der auch für dich da ist.“ Es geht nicht um Konkurrenz, sondern im besten Fall um Ergänzung. Sonst verstehen Kinder das als Verrat.

Und auch die Patchworkeltern sollen sich klar sein, dass die leiblichen Elternteile außerhalb der neuen Familie weiterhin Ansprechpartner für das Kind und für dessen Entwicklung und Erziehung zuständig sind. Es ist wichtig, dass die leiblichen Eltern immer wieder besprechen, was für das Kind dran ist. Diesen Austausch ersetzt eine Patchworkfamilie nicht. Das muss der Stiefelternteil als wichtig anerkennen.

Diese Größe zu besitzen als derjenige, der verlassen wurde, ist sicher schwer.

Ja. Leichter fällt es, wenn beide neue Partner haben. Wenn einer aber verletzt zurückbleibt und es schafft, die eigenen Verletzungen nicht auf das Kind zu übertragen, ist das eine hohe Leistung. Aber die braucht es auch für das Kind. Der Erwachsene kann sich einen Platz suchen für alles, was in ihm rumort. Das kann auch in der Familienberatung sein.

Was macht man, wenn der Ex-Partner sich verrennt und das Kind aufwiegelt?

Ich erlebe in der Beratung häufig, dass Elternteile aus Kränkung und Enttäuschung so reagieren. Manchmal fehlt ihnen der Blick, was sie ihrem Kind damit antun. Das ist zutiefst egoistisch. Aus ihrem Schmerz heraus ist das zwar verstehbar, aber für das leibliche Kind ist es entwicklungsbehindernd. Das ist ein riesiges inneres Thema für das Kind. Ich rate dann auch Patchworkfamilien, Beratung aufzusuchen.

Zu solchen Gesprächen würde der Ex-Partner mit eingeladen?

Ja. Damit Patchwork gelingt, dafür habe ich hier oft die leiblichen Eltern sitzen. Aber ich finde es ganz wichtig, dass sich die Patchworkeltern auch der Chancen der neuen Familie bewusst sind, dass sie sie sehen und anerkennen können. Zunächst gibt es sicher Irritationen, aber Beziehung kann wachsen. Im besten Fall kann es auch der nicht in der Familie lebende leibliche Elternteil irgendwann so sehen, dass für sein Kind mehr hinzugekommen ist.

Das passiert in aller Regel nicht im ersten Jahr, aber wenn es irgendwann möglich ist, gemeinsam einen Kindergeburtstag zu gestalten, wo auch das Stiefelternteil und alle Kinder anwesend sind und jeder seine Aufgabe hat, kann das ein riesiges Geschenk für das Kind sein. Dann hat Patchwork eine Chance. Aber ehe man da ist, muss man einen langen Weg gehen. Das ist nur zu schaffen, wenn man zuerst einen Blick auf die Kinder und ihre Bedürfnisse lenkt, sich aber auch als Paar Zeit füreinander nimmt.

Beratungsstellen

  • Eltern minderjähriger Kinder haben im Rahmen der Jugendhilfe nach Paragraf 17 Sozialgesetzbuch einen Rechtsanspruch auf Beratung durch die Jugendämter.
  • Die Beratung soll helfen, Konflikte und Krisen in der Familie zu bewältigen und bei Trennung oder Scheidung die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Eltern ihre Verantwortung zum Wohl ihrer Kinder wahrnehmen.
  • Beratungsstellen finden Sie hier.

Zum Experten:

Andreas Rösch ist Sozialpädagoge und systemischer Familientherapeut. Der Vater zweier erwachsener Kinder lebt in Moritzburg. Er hat an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit studiert und ist seit 1996 bei der Diakonie tätig.