Am Ende gibt es sogar noch eine Steilvorlage für den gepflegten Diskurs in der abendlichen Fernsehrunde: Recht oder Gerechtigkeit? Das ist hier nämlich die Frage, die kurz vorm Abspann gestellt und dankenswerterweise nicht durch den Film selbst beantwortet wird. Auch das macht dieser „Tatort“ aus Wien richtig, wie er generell mal wieder Maßstäbe setzt.
Er führt nahezu lehrbuchreif vor, wie man mit einfachen Mitteln unglaubliche Spannung aufbauen kann. Wenn etwa die Figuren nicht schablonenhaft gezeichnet sind, sondern so authentisch wirken, dass der Zuschauer förmlich an ihnen klebt, mit ihnen rätselt, zweifelt, leidet. Da braucht es weder Action noch Effekte oder einen reizverstärkenden Soundtrack.
Das Ganze wird nur noch packender, wenn es statt abgedroschener Sprüche jede Menge Wiener Schmäh gibt. „Hat die dich vorhin echt gebubit?“, fragt Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ihren Kollegen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer). Und ja, die junge Frau von der Security-Truppe hatte den Herrn Oberstleutnant vom BKA tatsächlich Bubi genannt. Und um genau diese Frau dreht sich der ganze weitere Krimi.
Azra (Mariam Hage) ist nicht nur gut mit Eisner bekannt, sondern vor allem eine verdeckte Ermittlerin, die als Leibwächterin den Chef des brutalen Datviani-Clans ausspähen soll. Dabei hält sie sich kaum an Regeln, geht höchste Risiken ein und verschwindet plötzlich.
Dann scheint die Geschichte bereits auserzählt: In letzter Sekunde können Fellner und Eisner die zuvor aufgeflogene Kollegin vor der Hinrichtung retten. Der Clan-Chef und sein Sohn werden verhaftet und mit großem Medien-Tamtam an die Justiz überstellt. Ach, noch gar kein Abspann? Was passiert denn jetzt?
Durch ein einziges Wort stutzig geworden, drehen die beiden sich blind verstehenden Ermittler alle Fakten auf links und müssen erkennen: Azra selbst hat den Bruder des Clan-Chefs aus zwei Gründen getötet: Um ihren einst vom Clan ermordeten Bruder zu rächen und um die aktuelle Tat dem fiesen Gangster in die Schuhe zu schieben. Was prächtig funktioniert hätte, wären da nicht Eisner und Fellner.
Und schon stecken beide im Dilemma: Überführen sie Azra, kommt der Clan-Chef, weil unschuldig am Brudermord, davon. Doch Wien ist wesentlich sicherer, wenn er im Knast, pardon, im Häfn sitzt, wo er unbedingt hingehört. Was nun genau passiert, bleibt offen. Die Debatte kann beginnen.