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Warum man über Loriot im Osten wie im Westen lacht

Vor 100 Jahren wurde der berühmte Komiker Loriot geboren. Sein Humor hat bis heute etwas Verbindendes, auch zwischen West- und Ostdeutschland.

Von Marcus Thielking
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Vicco von Bülow, genannt Loriot (1923 – 2011)
Vicco von Bülow, genannt Loriot (1923 – 2011) © dpa

Opa Hoppenstedt sucht dringend noch ein Weihnachtsgeschenk? Das ist kein Problem. Denn so viele neue Loriot-Bücher wie in diesem Jahr sind wohl noch nie erschienen. Zum Beispiel für Pazifisten: „Seid friedlich mit Loriot“ (Diogenes-Verlag). Oder für Kulturbürger: „Die Jodelschule und andere dramatische Werke“ (Reclam-Verlag). Für Fans: „Er lebe hoch!“ (Lappan-Verlag). Und natürlich, für den Alltag, der „Loriot Tagesabreißkalender 2024“ (Heye-Verlag).

An diesem Sonntag wäre Vicco von Bülow 100 Jahre alt geworden, jedem bekannt unter seinem Künstlernamen: Loriot. Zwölf Jahre nach seinem Tod ist und bleibt er der größte deutsche Komiker – und längst ein wahrer Klassiker. „Das ist ja wie bei Loriot!“ Den Satz hört man bis heute immer wieder, wenn es im Leben absurd zugeht.

Ob in der Ehe, beim Einkaufen, im Restaurant oder im Konzertsaal: Im Banalsten entdeckte der Humorist, Schauspieler und Karikaturist das Skurrile und Komische. „Er ertappt die Deutschen halt immer wieder in ihrer gespielten Weltläufigkeit, und am Ende sind sie doch irgendwie alle spießig“, erinnert sich der Komiker Hape Kerkeling.

"Früher war mehr Lametta"

Ganze Generationen wuchsen mit den Knollennasen-Karikaturen, den TV-Sketchen und Filmen auf, in denen neben Loriot oft die kongeniale Evelyn Hamann mitspielte. Viele seiner Sprüche sind längst sprachliches Allgemeingut geworden wie Goethe- und Shakespeare-Zitate: „Früher war mehr Lametta.“ – „Ein Klavier, ein Klavier!“ – „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann.“ – „Die Ente bleibt draußen!“ – „Da hab’ ich was eigenes. Da hab’ ich mein Jodeldiplom.“ – „Ich heiße Erwin Lindemann und bin 500.000 Jahre alt.“

Komiker-Traumpaar: Vicco von Bülow und Evelyn Hamann.
Komiker-Traumpaar: Vicco von Bülow und Evelyn Hamann. © SWR

Sein Komiker-Kollege Otto Waalkes erklärt sich den Erfolg so: „Loriot war der gemeinsame Nenner, auf den sich ganz selbstverständlich alle einigen konnten“, schreibt der Friesenjung im Buch „Er lebe hoch!“ Loriots Komik sei sehr deutsch gewesen: „Sie basiert auf seiner Beobachtung der deutschen Gesellschaft seiner Zeit, ihren Sitten und Gebrechen.“ Und das in der Bundesrepublik ebenso wie in der DDR.

Der Germanist Stefan Neumann sagt: „Dieses Kleinbürgerliche, diese sprachlichen Konstruktionen, die gab es ja in der DDR fast noch extremer als in Westdeutschland.“ Neumann erklärt in der TV-Dokumentation „Loriot 100“, die gerade in der ARD-Mediathek zu sehen ist, die historischen und gesellschaftlichen Bezüge im Werk dieses Jahrhundertkomikers.

Loriot selbst erklärte einmal in einem Interview, das er der Sächsischen Zeitung zu seinem 85. Geburtstag gab: „Meine Kritik wandte sich gegen jede Art von menschlichen Schwächen. Da entstand die gleiche Komik im Westen wie im Osten. Es war die Kritik an einem typisch menschlichen Verhalten.“ Die Deutschen seien als ängstliches Volk bekannt. „Damals war es, im Westen wie im Osten, vor allem die Angst, sich in einer bestimmten Weise falsch zu verhalten.“ Diese Angst verwandelte er mit seinen Sketchen in komische Situationen.

Er kam sich vor wie Martin Luther

Loriot machte keinen Unterschied zwischen dem Humor in Ost- und Westdeutschland. „Ich glaube, dass die Menschen in den unterschiedlichen Regionen einen jeweils anders gefärbten Humor haben“, sagte er. „Der bayerische Humor ist ganz anders als etwa der norddeutsche. Das hat aber nichts mit Ost und West zu tun, also nicht mit Politik, sondern mit Bürgerlichkeit, Erfahrungen, Traditionen, Kultur.“

Tatsächlich gehörte Loriot zu den westdeutschen Prominenten, die auch im sozialistischen Teil Deutschlands ungeheuer populär waren. Im Jahr 1977 erschien in der DDR „Das dicke Loriot-Buch“ mit einer Auswahl seiner Zeichnungen und Karikaturen. Loriots erster öffentlicher Auftritt in der DDR fand in einer Kirche statt. Das war 1985, im Dom zu Brandenburg, seiner Geburtsstadt. Dort wurden seine Karikaturen ausgestellt.

„Der ganze Dom war brechend voll von Menschen“, erinnerte sich Loriot später, „mit Kindern, die Blümchen verteilten und mir die Hand drückten. Es war ungeheuerlich. Und auf der Empore saß der Bischof. Ich kam mir vor, als hätte Luther etwas an die Tür des Doms geschlagen.“

Bei einem Auftritt 1987 im Berliner Palast der Republik standen die Menschen bis zu 17 Stunden Schlange. Auch bei der DDR-Premiere seines Kinofilms „Ödipussi“ 1988 in Ost-Berlin war der Saal voll. Loriot sprach zur Begrüßung ins Mikrofon: „Es sind über 1.000 Menschen hier, die offensichtlich schon am frühen Nachmittag ihre Arbeit am Aufbau des Sozialismus …“ Weiter kam er nicht, weil der ganze Saal lachte. In das Gelächter hinein rief Loriot mit erhobenem Zeigefinger: „Dass mir das nicht einreißt!“

Komik, die aus dem Ernst entsteht

In Weimar eröffnete Loriot 1989 eine weitere Ausstellung. Auf der Bühne scherzte er, bei der Anreise habe er „in gebührender Andacht“ vor dem Marx-Engels-Denkmal verharrt – bis ihm aufgefallen sei, dass es gar nicht das Kommunisten-Paar war, sondern „die beiden bedeutendsten DDR-Schriftsteller“, Goethe und Schiller. Später erfuhr er, dass einige der anwesenden höheren Chargen und Minister das überhaupt nicht komisch fanden.

Aber warum finden so viele Menschen in Ost und West Loriots Humor überhaupt so komisch? Für die Lach-Trainerin Cornelia Leisch ist es unter anderem das konsequente Aneinandervorbeireden. Und der Wunsch, Haltung zu bewahren, während ringsum das Chaos ausbricht. „Wir lassen uns nichts anmerken, das Erscheinungsbild muss immer gut sein“, sagt Leisch. Was sollen denn sonst die Leute denken? „Er lüpft ein bisschen den Teppich und zeigt, was wir darunterkehren und worüber wir nicht reden wollen.“

Loriots Leitspruch war: „Komik entsteht aus dem Ernst.“ In seinen Sketchen scheitern die Menschen in ihrem Bemühen, alles richtig zu machen, mit einer Verbissenheit und Perfektion, die eben auch ein bisschen typisch deutsch ist. So war Loriot der deutsche Komiker schlechthin. Doch anders als andere Satiriker verachtete er seine Landsleute nicht. Sein Humor erwuchs nicht aus Hass, sondern aus Liebe.

Verkleidungskünstler: Loriot pardodiert einen "Tagesschau"-Sprecher.
Verkleidungskünstler: Loriot pardodiert einen "Tagesschau"-Sprecher. © SWR

Egal ob bei Hoppenstedts unterm Weihnachtsbaum, bei den Steinläusen oder im Flughafen – ein nostalgischer Charme der Siebziger- und Achtzigerjahre weht durch sein umfangreiches Werk im Fernsehen, im Kino, in Zeitschriften oder in Büchern. Wortungetüme verwandelt er in Alltagspoesie, etwa wenn der Verkäufer im Bettenladen die Kunden fragt: „Haben Sie da an eine Schlafsitzgarnitur gedacht mit versenkbaren Rückenpolstern, eine Couchdrehkombination oder das klassische Horizontalensemble?“ Die hilflose Antwort des Ehemannes: „Wir schlafen im Liegen.“

Oft widmete sich Loriot dem Verhältnis zwischen Mann und Frau. Aus harmlosen Missverständnissen entzünden sich bizarre Streits. Die Ehe könne gar nicht negativer geschildert werden, sagte er selbst mal in einem Fernsehinterview. „Dass es komisch ist, macht es nicht besser, nur genießbarer.“

Seine eigene Ehe mit seiner Jugendliebe Rose-Marie Schlumborn hielt Jahrzehnte. Zwei Töchter gingen daraus hervor. Erst lebte die Familie in Berlin, später in einer Villa am Starnberger See. Die Wurzeln des Humoristen lagen aber in Brandenburg an der Havel. Hier wurde er 1923 als Spross eines preußisch-mecklenburgischen Adelsgeschlechts geboren, zog aber bald darauf zu seiner Großmutter nach Berlin. Dort wurde er 2011 auch begraben.

1941 wurde Vicco von Bülow Soldat und kämpfte unter anderem in Russland. Seine einschneidendste Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg: „Die spätere beschämende Erkenntnis, das Grauen des Krieges hingenommen und eingeordnet zu haben“, wie er 2006 dem Spiegel anvertraute.

Ein Waldmopsbiotop für Loriot

Wie soll man so einem Humorkünstler zu seinem runden Geburtstag bloß huldigen? Eine Frage, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschäftigt, der als Bundestagsabgeordneter seinen Wahlkreis in Brandenburg hatte. „Wer Loriot ehren will, kommt sich irgendwie immer vor, als wolle er, eifrig bemüht und ehrlich empfunden, etwas Würdevolles sagen, habe dabei aber eine Nudel auf der Nase.“

Ein konventionelles Denkmal – Loriot auf einem Podest – sei nicht infrage gekommen, so Steinmeier. Stattdessen wurden in Loriots Geburtsstadt mehrere Bronzeskulpturen errichtet: 25 gehörnte Waldmöpse nach einer Kunstfigur, die Loriot für einen Sketch ersonnen hat. Sie stehen am Havelufer, auf Wiesen und an seiner Taufkirche. „Ich bin mir sicher“, so der Bundespräsident, „Loriot wäre glücklich darüber, dass seine Heimatstadt Brandenburg nun zum einzigen Waldmopsbiotop der Welt geworden ist.“

  • Mitarbeit: Cordula Dieckmann und Monika Wendel (dpa)