SZ + Sachsen
Merken

Freispruch für „U-Bahn nach Auschwitz“

Das sogenannte U-Bahnlied von Fußballfans sei widerwärtig, aber nicht strafbar, urteilt das Landgericht in Leipzig.

Von Karin Schlottmann
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Landgericht Leipzig hat ein Urteil des Amtsgerichts Torgau aufgehoben. Es sieht die Liedzeile "Eine U-Bahn von Leipzig bis nach Auschwitz" nicht als strafbar an.
Das Landgericht Leipzig hat ein Urteil des Amtsgerichts Torgau aufgehoben. Es sieht die Liedzeile "Eine U-Bahn von Leipzig bis nach Auschwitz" nicht als strafbar an. © Symbolfoto: dpa/David-Wolfgang Ebener

Leipzig. Die Szene, die sich den Polizisten nach dem Spiel im nordsächsischen Schildau bot, ist für ein Fußball-Wochenende in Deutschland nicht ungewöhnlich. Nach der Begegnung zwischen dem TSV 1862 Schildau und Roter Stern Leipzig grölten Schildauer Fans das sogenannte U-Bahnlied in Richtung der Leipziger Anhänger. „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Leipzig bis nach Auschwitz“, lautete die Zeile. 

Die Polizei hatte sich an diesem Spieltag im Oktober 2017 nach einschlägigen Erfahrungen mit den Gastgebern auf gewaltbereite Fans und Straftaten eingestellt und war deshalb mit Beamten der Bereitschaftspolizei und einem mit Videoüberwachung ausgestatteten Fahrzeug angereist. Sie filmte die Szene und stellte die Personalien der Beteiligten fest.

Dumm, aber nicht strafbar

In einem Strafbefehl gegen einen der Beschuldigten heißt es: „Auch war Ihnen bewusst, dass Sie durch das Singen dieses Liedes das Geschehen des NS-Gewalt- und Massenvernichtungsunrechts in seinem Unwertgehalt bagatellisierten.“ Das Amtsgericht Torgau verhängte unter anderem wegen Volksverhetzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten gegen den mehrfach vorbestraften Mann. Das Landgericht Leipzig hob jedoch in der Berufung das Urteil auf und sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Das Gericht nannte die Textzeile widerwärtig. Aber nicht jeder dumme, widerwärtige oder geschmacklose Bezug zu den Verbrechen der Nationalsozialisten sei strafbar, entschieden die Richter. „Der freiheitlich verfasste demokratische Rechtsstaat muss und kann derlei auch ohne Strafsanktionen ertragen.“

Seit 1994 ist das Billigen, Verharmlosen und Leugnen des Holocaust strafbar. Der Gesetzgeber sah darin einen Beitrag zur Verhinderung rechtsextremistischer Propaganda. Wer die Judenvernichtung als richtig oder akzeptabel hinstellt oder seine „zustimmende Befriedigung“ äußert, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Die Äußerung muss allerdings unmittelbar und ohne weitere Deutungsmöglichkeiten als Holocaust-Bezug erkennbar sein. Diese Einschränkung durch den Bundesgerichtshof hat in Sachen U-Bahnlied zu diversen gegensätzlichen Gerichtsurteilen in Deutschland geführt.

Gericht: Keine Verharmlosung des Holocaust

Die sächsischen Richter gehen wie beispielsweise ihre Rostocker Kollegen in einem ähnlichen Fall nicht davon aus, dass der Fan, der das U-Bahnlied anstimmte, den Holocaust billigen oder verharmlosen wollte. Der Text könne nicht zwangsläufig so interpretiert werden, dass das Geschehen in Auschwitz gutgeheißen werde, argumentierte das Landgericht. Es sei nicht auszuschließen, dass er mit dem Text den gegnerischen Fans eine besonders grausame und menschenverachtende Vernichtung wünschte. Eine Billigung des Holocaust durch den Täter sei nicht daraus abzuleiten. 

Das Oberlandesgericht Dresden hat das überraschend anmutende Urteil vor einigen Wochen bestätigt. Es stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Verurteilung sei wegen des hohen Guts der Meinungsfreiheit nur zulässig, wenn die angeklagte Äußerung eindeutig und aus sich selbst heraus verständlich sei. Bei mehrdeutigen Äußerungen wie im Fall des U-Bahnlieds mit Fußballbezug dürften die Gerichte bei ihrer Entscheidung nicht die strafbare Deutungsmöglichkeit zugrunde legen. (Az.: 1 OLG 24 Ss 71/19).

Ein Gericht, das kürzlich über die Textzeile "eine U-Bahn von Jerusalem nach Auschwitz" entscheiden musste, verurteilte dagegen den Angeklagten wegen Volksverhetzung. Jerusalem sei als Ort eine offenkundige Bezugnahme  auf die massenhafte Vernichtung von Juden durch Nazi-Deutschland. Diese Zeile bringe eine Billigung der Transporte jüdischer Menschen an den Ort eines früheren Vernichtungslagers zum Ausdruck, heißt es in dem Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm.