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"Entscheidend ist viel Sport und Bewegung"

Die Pandemie hat einen Trend verstärkt: Die Menschen werden immer dicker. Aber was tun, wenn Diäten nicht helfen? Ein Psychologe gibt Tipps.

Von Annett Heyse
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Uwe Poprawa ist Psychologe an den Helios Weißeritztal-Kliniken, wo er Adipositas-Patienten behandelt.
Uwe Poprawa ist Psychologe an den Helios Weißeritztal-Kliniken, wo er Adipositas-Patienten behandelt. © Karl-Ludwig Oberthür

Die Zahlen verheißen nichts Gutes: 67 Prozent der Männer und 53 der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. Und bei vielen geht es nicht nur um ein paar Kilo mehr: Rund ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland sind sogar stark übergewichtig, also adipös.

Das Übergewicht grassiert wie eine Seuche, die viele weitere Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Gelenkschäden nach sich ziehen kann. Die Corona-Pandemie hat den Trend wohl noch verstärkt.

Untersuchungen des Münchener Zentrums für Ernährungsmedizin zeigen, dass im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 neun Prozent aller Kinder und etwa ein Viertel der Eltern zugelegt haben. Es ist ein Alarmsignal in einer ohnehin dicken Bevölkerung.

Von Adipositas, also der krankhaften Fettleibigkeit, Betroffene werden an den Helios Weißeritztal-Kliniken behandelt. Hier gibt es ein Adipositas-Zentrum, das Patienten mit einem mehrjährigen Programm hilft, Gewicht zu reduzieren. Mehrere Fachrichtungen arbeiten dabei zusammen.

Teil des Teams ist Psychologe Uwe Poprawa. Er erklärt, warum Übergewicht auch Kopfsache ist und welche Strategien beim Kampf gegen die Pfunde helfen.

Herr Poprawa, wie viele stark übergewichtige Patienten kommen zu Ihnen?

Jede Woche werden von uns zehn Übergewichtige für fünf Tage stationär aufgenommen, damit unser Team gemeinsam mit jedem Einzelnen entscheiden kann, ob eine konservative oder operative Behandlung der geeignete Weg ist. Manche kommen von sich aus und suchen Hilfe, weil sie an einen Punkt gekommen sind, wo sie feststellen, dass sie nur durch fachliche Unterstützung und längerfristige Begleitung profitieren können. Andere werden von Haus- oder Fachärzten zu uns überwiesen.

Was bedeutet "konservative Behandlung"?

Einen Großteil der Betroffenen behandeln wir in einem langen Prozess über drei Jahre und darüber hinaus. Das Programm beinhaltet unter anderem wöchentlich regelmäßige und individuell abgestimmte Sport- und Bewegungsbausteine, Ernährungsumstellung, Veränderungen der Lebensweise. Bei etwa 25 Prozent der Fettleibigen ist eine Operation der sinnvolle Weg, das sind zum Beispiel Magenverkleinerungen.

Und was haben Sie als Psychologe damit zu tun?

Fettleibigkeit erfolgreich zu behandeln ist zu einem Großteil Kopfsache. Es erfordert vom Patienten ein hohes Maß an Disziplin, Bereitschaft zur Veränderungen im Leben und im Lebensstil, den Verzicht auf bestimmte Gewohnheiten, Durchhaltevermögen. Dabei kann ich unterstützen. Ich bin für die seelische und mentale Begleitung, aber auch häufig die Aufrechterhaltung der Motivation zuständig.

Dick und schließlich adipös zu werden, ist doch ein langer Prozess. Wie rutschen Menschen da hinein?

Viele Patienten berichten mir, dass sie schon seit der Kindheit oder Pubertät zum Übergewicht neigten, oft liegt das Übergewichtsproblem in der Familie. Frauen entwickeln mitunter nach Schwangerschaften ein dauerhaftes und steigendes Übergewicht. Viele erzählen, dass sie dick geworden sind, nachdem sie mit dem regelmäßigem Sport aufgehört haben. Doch es ist immer noch ein Unterschied, ob man ein bisschen pummelig ist oder adipös. Oft sind spezielle Berufsgruppen betroffen, wie Kraftfahrer, Altenpfleger und Personen, die im Schichtdienst arbeiten. In fast allen Fällen ist falsche, ungesunde Ernährungsweise die Ursache. Einer der häufigsten Fehler ist es, am Tag nur wenig und flüchtig zu essen - mal einen Schokoriegel und gut ist - und sich am Abend so richtig was zu gönnen.

Aber so etwas bleibt doch nicht unbemerkt. Bestimmt kämpfen viele Betroffene dagegen an.

Alle Betroffene, die zu uns ins Adipositas-Zentrum kommen, haben immer wieder gegen die Pfunde angekämpft, haben Diäten durchgemacht, es mit Ernährungsberatung versucht, Sport getrieben und es trotzdem nicht geschafft, weil sie wieder in alte Muster zurückgefallen sind. Das ist für die Menschen extrem frustrierend. Und sie leiden darunter. Betroffene berichten immer wieder von Hänseleien oder gar Mobbing in Schule und Beruf. Manche haben Probleme, einen Arbeitsplatz zu finden und fühlen sich gegenüber schlanken Kollegen benachteiligt. Das sind Dramen.

Und was hilft denn nun wirklich, um das Gewicht zu reduzieren?

Es geht nur mit einer Mischung verschiedener Maßnahmen. Grundlage ist eine sensible und individuelle Umstellung der Ernährung und der Lebensweise. Entscheidend ist viel Sport und Bewegung. Wir schicken in der Regel unsere Patienten ins Fitness-Studio und zwar nicht in die Ecke mit den Muskelmännern, sondern in die Ausdauerecke, wo viel Fett verbrannt wird. Und man muss das Thema Essen völlig neu angehen. Das ist schwer, weil jeder so seine Gewohnheiten hat. Und dann steckt man ja auch in einem familiären Umfeld, von dem man sich - was die Ernährung betrifft - abtrennen muss. Am erfolgreichsten im Programm sind tatsächlich die Fälle, wo der Partner oder die Familie mitzieht. Und dann muss man dranbleiben. Man muss auch akzeptieren, dass es eventuell Rückschläge gibt oder der Abnehmprozess stagniert. Das gehört dazu.

Die Corona-Pandemie, hieß es zuletzt in den Schlagzeilen, hat das Übergewichts-Problem noch verschärft.

Ja, leider. Das ist auch für unsere Patienten, die im Programm sind, eine sehr schwierige Situation. Nicht nur, dass die Fitness-Studios geschlossen sind. Auch die kältere Jahreszeit hat oft die Leute davon abgehalten, rauszugehen. Aber das ist jetzt Vergangenheit, nun ist es warm und sonnig. Jetzt kann es losgehen! Man kann so viel draußen machen und jetzt macht es auch wieder Spaß.

Aber auch viele Menschen, die sonst nie ein Gewichtsproblem hatten, haben in den vergangenen Monaten teilweise ordentlich zugelegt.

Die Corona-Pandemie bringt gesamtgesellschaftliche Veränderungen mit sich, die bis ins Familienleben hinein wirken. Die Menschen sind plötzlich noch nie dagewesenen Belastungen ausgesetzt. Vieles hat sich verändert, vieles ist eingeschränkt: das Arbeitsleben, das Familienleben, das Genussleben. Dazu fehlen der Ausgleich in der Schwimmhalle oder im Verein, viele für unsere innere Ausgeglichenheit so wichtige soziale Kontakte, das Verreisen sowie kulturelle Aktivitäten. Das macht den Menschen Angst, führt zu einem ungekannten Stress- und Erschöpfungslevel. Die Menschen sind mit der Situation schlichtweg überfordert, entwickeln Angst- und Anpassungsstörungen. Und dann versucht man unbewusst, einen Ausgleich zu schaffen: Naschen, Essen, Suchtmittel konsumieren.

Und wie bekommt man das wieder in den Griff?

Ich empfehle, sich nicht ständig mit Corona zu beschäftigen. Man dreht sich dabei ohnehin endlos im Kreis und versteigt sich am Ende womöglich noch in absurde, unbewiesene Theorien. Nur einmal am Tag Nachrichten hören und lieber einen guten Film in der Mediathek heraussuchen – das hilft, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Man muss die Diskussionen und widersprüchlichen Theorien zu Corona einfach mal ausblenden. Mal was für sich tun, wie es immer so schön heißt. Ich empfehle allen: Fokussieren Sie sich auf Ihr Leben. Nur das können Sie wirklich ändern.

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