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Auf Zeitreise in Freital: "Mein Ururgroßvater hat die Windbergbahn gebaut"

Stephan Meuß interessierte sich kaum für Eisenbahnen, als er vor einigen Jahren seine Familiengeschichte erforschte. Dabei stieß er auf einen rührigen Verein.

Von Annett Heyse
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Stephan Meuß (li.) ist der Ururenkel des Windbergbahn-Bauingenieurs und feiert hier mit Henry Kuntze die Saisoneröffnung 2024.
Stephan Meuß (li.) ist der Ururenkel des Windbergbahn-Bauingenieurs und feiert hier mit Henry Kuntze die Saisoneröffnung 2024. © Egbert Kamprath

Der Mann auf dem Foto steckt in einem dunklen Anzug, das gewellte Haar trägt er etwas adrett zurückgekämmt, sein Bart wirkt akribisch gepflegt. Der Mann neben dem Bild hat raspelkurzes Haar und buschige Augenbrauen, für die Feierstunde hat er eine sportive Jacke gewählt.

Beide Männer trennen rund 160 Jahre und doch verbindet sie etwas: Stephan Meuß, der Mann mit den kurzen Haaren, ist der Ururenkel von Guido Brescius, dem Mann auf dem Foto. Und jener Guido Brescius ist der Erbauer der Windbergbahn.

Sie gilt als die erste Gebirgseisenbahn auf deutschem Gebiet, in mehreren Schleifen windet sich die Strecke vom Plauenschen Grund nach Dresden Gittersee. Luftlinie liegen gerade einmal rund 1.000 Meter zwischen den beiden Orten, doch Eisenbahningenieur Brescius musste wegen des enormen Höhenunterschieds einen Umweg in Kauf nehmen. Knapp sechs Kilometer beträgt die Streckenlänge bis zum Bahnhof Gittersee.

Eisenbahnromantiker geraten ins Schwärmen, wenn es um die Windbergbahn geht. Schon König Johann prägte bei einer Inspektionsfahrt auf der fertigen Strecke im April 1857 den Spruch von der "Sächsischen Semmeringbahn". Von all dem hatte Stephan Meuß keine Ahnung, als er sich vor einigen Jahren in seine Familiengeschichte vertiefte.

Erste Gebirgsbahn Deutschlands

Meuß lebt bei Nürnberg, er ist Dozent für Pädagogik und Psychologie an einer Fachakademie für angehende Erzieher. Sein Vater, der Großvater und der Urgroßvater waren Pfarrer. Doch schon in der Kindheit hatte er gehört, so erinnert er sich heute, dass ein Ururgroßvater Bahnstrecken gebaut hatte. "Diese Geschichte wurde immer mal wieder erzählt."

Guido Brescius wurde am 25. März 1824 in Bautzen geboren. In Dresden machte er seinen Abschluss am Gymnasium, studierte an der Technischen Bildungsanstalt - daraus wurde später die TU - und fand 1847 eine Stelle als Eisenbahningenieur. Das Verkehrsmittel war damals erst auf dem Vormarsch, 1835 war zwischen Nürnberg und Fürth die erste Eisenbahn überhaupt auf deutschem Gebiet gefahren. Guido Brescius machte Karriere, war bereits 1853 Oberingenieur bei der Alberts-Bahn-Actiengesellschaft, jenem Unternehmen, dass die Hänichener Kohlezweigbahn baute, wie die Strecke der Windbergbahn früher hieß.

Stephan Meuß schaut auf die Gleise am Bahnhof Gittersee, die alten Waggons und die kleinen Dieselloks, die zur Abfahrt bereitstehen. "Wenn man mal überlegt, wie alt das alles ist und wie wir trotzdem damit verbunden sind, da lösen sich die paar Jahre DDR und BRD ganz schnell auf und viel längere Zeiträume werden sichtbar", sagt er. Wie durch ein unsichtbares Gummiband fühle er sich mit dem Bahnbau und der Strecke verbunden.

Drei Kilometer Strecke sind wieder befahrbar

Zu DDR-Zeiten hielt die Familie von Stephan Meuß Kontakte in die Oberlausitz, wo auch ein Zweig der Brescius-Nachfahren lebte. Vor etwa zehn Jahren fuhr Stephan Meuß wieder einmal zur Verwandtschaft. Bei der Gelegenheit wollte er mehr über die Vorfahren in Erfahrung bringen, ging in ein Archiv, blätterte durch alte Akten und erkundigte sich gezielt nach dem Ururgroßvater Guido. Moment mal, habe da die Mitarbeiterin des Archivs gesagt, da sei doch vor ein paar Tagen schon mal jemand hier gewesen. "Sie holte dann eine Visitenkarte vom Windbergbahn-Verein hervor", erinnert Meuß sich.

Der heute 59-Jährige, der keinerlei Ahnung von Bahngeschichte hatte, klingelte bei den Windbergbahnern an, wo man hocherfreut, wenn auch ein bisschen überrascht reagierte. Inzwischen ist Stephan Meuß längst Mitglied im Verein und schon einige Male mit der Windbergbahn gefahren.

Am Montag, dem 1. April, ist Saisoneröffnung auf der Windbergbahn. Abfahrt für den ersten Zug ist 10 Uhr.
Am Montag, dem 1. April, ist Saisoneröffnung auf der Windbergbahn. Abfahrt für den ersten Zug ist 10 Uhr. © Egbert Kamprath

Der Verein hat in den vergangenen Jahren viel Geld und Arbeit in die marode Strecke gesteckt, um sie wieder befahrbar zu machen. Ab dem Bahnhof Gittersee sind bis zur Ferdinand-Freiligrath-Straße in Freital drei Kilometer instand gesetzt. Es entstand an der Leisnitz sogar ein neuer Haltepunkt. Kürzlich wurde auch das Empfangsgebäude am Bahnhof Gittersee saniert, es erstrahlt nun in altem Glanz und bietet den Fahrgästen einen trockenen Unterstand.

Stephan Meuß trägt trotz der Entfernung zu seinem Wohnort gerne zum Erhalt der Windbergbahn bei. Er hat etliche Fakten zu Guido Brescius zusammengetragen und Fotos aufgetrieben, um Lücken in der Chronik zu ergänzen. Gerne arbeitet er auch an der Umgestaltung des kleinen Bahn-Museums mit, für dass der Verein ein völlig neues Konzept plant. Zunächst aber will man am 1. April die neue Saison eröffnen, in der wieder monatlich Fahrtage angeboten werden.

Ausflugstipp:

  • Am 1. April 2024 rollt wieder die Windbergbahn. Die erste Abfahrt ist 10 Uhr in Gittersee, die erste Rückfahrt 10.30 Uhr ab Haltepunkt Schloss Burgk/Leisnitz. Gefahren wird immer im Stundentakt, außer 13 Uhr/13.30 Uhr - da ist Mittagspause.
  • Die Fahrpreise betragen für eine Einzelstrecke fünf Euro für Erwachsene und 2,50 Euro für Kinder. Eine Hin- und Rückfahrt kostet acht Euro beziehungsweise vier Euro.
  • Weitere Fahrtage gibt es am 1. Mai, 29. Mai, 16. Juni und 3. Oktober. Am 7. und 8. September findet zudem ein großes Erlebniswochenende statt.