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Neuer Stolperstein erinnert an hingerichteten Mann aus Pesterwitz

Martin Max Weinhold saß wegen seines Glaubens im KZ, wurde entlassen, erneut verhaftet. Drei Tage vor der Geburt seines Kindes wurde das Todesurteil vollstreckt.

Von Annett Heyse
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Am Montagnachmittag wurde auf der Freitaler Straße 5b in Pesterwitz ein Stolperstein verlegt, der an das Schicksal von Martin Max Weinhold erinnert.
Am Montagnachmittag wurde auf der Freitaler Straße 5b in Pesterwitz ein Stolperstein verlegt, der an das Schicksal von Martin Max Weinhold erinnert. © Egbert Kamprath

Vier Daten stehen auf der kleinen Messingtafel, die seit Montagnachmittag im Fußweg an der Freitaler Straße in Pesterwitz eingelassen ist. Vier Daten, die eine Geschichte erzählen, die auch 81 Jahre später noch unbegreiflich ist. Und die kein Einzelschicksal war, aber an das Schicksal eines Einzelnen erinnern soll.

Es ist einer von mehr als 100.000 Stolpersteinen, die europaweit auf Bürgersteigen für die Opfer der Nationalsozialisten verlegt wurden. Auch in Freital sind Männer und Frauen in die Fänge des NS-Regimes geraten. Sie wurden verhaftet, enteignet, gedemütigt, aus ihrer Heimat vertrieben, manche ermordet. Martin Max Weinhold war einer von ihnen.

Das Foto von Weinhold, aufgenommen wohl in den Zwanzigerjahren, zeigt einen jungen Mann, die dunklen Haare leicht gewellt und gescheitelt, Hemd, Krawatte. Martin Max Weinhold, 1909 in Burgk geboren und gelernter Feinmechaniker, war kein politisch motivierter Mensch und auch kein kämpferischer Widerständler. Er geriet ins Visier des NS-Staates, weil er zur religiösen Minderheit der Zeugen Jehovas gehörte.

Viel Zuspruch für Gedenkveranstaltung

Die Interessengemeinschaft Stolpersteine Freital hat Weinholds Schicksal und das von weiteren Freitaler NS-Opfern recherchiert. Im Mai 2022 wurden in der Stadt die ersten beiden Stolpersteine verlegt, zur Erinnerung an die jüdischen Kaufhausbesitzer Alois und Ida Eckstein von der Dresdner Straße. Der Stolperstein für Martin Max Weinhold ist der dritte in Freital.

Er liegt auf der Freitaler Straße vor dem Haus mit der Nummer 5b, es ist ein unscheinbares Einfamilienhaus. Das Haus aus den Dreißigerjahren, in dem Weinhold mit seiner Frau Helene damals lebte, steht längst nicht mehr.

Etwa 70 Männer und Frauen, auch einige Jugendliche sind an diesem Montagnachmittag gekommen. Die Interessengemeinschaft hatte mit 30 bis 40 Personen gerechnet. "Dass so viele Menschen hier sind, zeigt mir, dass das Andenken an die Opfer keine bloße Worthülse ist, sondern sich die Leute dafür interessieren, was hier vor Ort geschehen ist", sagt Stefan Vogl von der Stolpersteine-IG.

"Die Zeugen Jehovas waren im NS-Deutschland der Dreißigerjahre eine Religionsgruppe mit rund 25.000 Mitgliedern", erläutert Manfred Oldenburg, selbst Zeuge Jehovas. Und er hat noch mehr Zahlen recherchiert. Etwa 11.000 Zeugen Jehovas wurden in der Zeit von 1933 bis 1945 eingesperrt, etwa 4.000 davon in ein Konzentrationslager. 1.500 Männer und Frauen davon starben im KZ, mehr als 400 weitere Mitglieder der religiösen Minderheit wurden hingerichtet.

Der NS-Staat verfolgte die Zeugen Jehovas mit aller Härte, weil sie sich still widersetzten: Sie zeigten keinen Hitlergruß, lehnten die Mitgliedschaft in allen staatlichen Organisationen ab, verweigerten die Einberufungsbefehle in die Wehrmacht.

Nichte freut sich über Öffentlichkeit

Martin Max Weinhold wurde erstmals am 11. Oktober 1935 verhaftet. Die nächsten Monate steckte man ihn ins KZ Sachsenburg. Am 22. Mai 1936 wurde er dort entlassen. Seinem Glauben und dessen Auslegung schwor er jedoch nicht ab. Dennoch gelang es ihm, zunächst - nach allem, was bekannt ist - ein normales Leben weiterzuführen. Er arbeitete wieder als Feinmechaniker, unter seinen Kollegen galt er als geschickter Erfinder und Tüftler. 1938 zog er mit seiner Frau nach Pesterwitz.

Weil er den Kriegsdienst verweigerte, wurde er 1943 erneut verhaftet und am 23. März 1943 zum Tode verurteilt. Seine letzten Wochen verbrachte er im Zuchthaus Brandenburg. Hier durfte er seiner Frau noch einen letzten Brief schreiben, bevor er und 151 weitere Mithäftlinge am 28. April hingerichtet wurden. Drei Tage später, am 1. Mai 1943, erblickte Weinholds Sohn Gottfried das Licht der Welt. "Wenn man so etwas hört - das muss man erst einmal verdauen", sagt Manfred Oldenburg, der in Dresden schon bei einigen Stolperstein-Verlegungen dabei war.

Nach Pesterwitz gekommen ist auch Kristina Hegewald, Jahrgang 1942. Sie ist die Nichte von Weinholds Ehefrau. Zum ersten Mal habe sie die Geschichte über Martin Max Weinhold um 1960 herum gehört. "Das war dann immer präsent, das ist bei mir seitdem nicht in Vergessenheit geraten", sagt Kristina Hegewald und erzählt, ihr eigener Mann habe ebenfalls den Wehrdienst verweigert, in den Sechzigerjahren in der DDR. "Er wurde dafür 20 Monate eingesperrt", berichtet sie.

Was geht ihr jetzt mit Blick auf den Stolperstein durch den Kopf? Kristina Hegewald muss nicht lange über die Frage nachdenken. "Ich freue mich sehr, dass es heutzutage möglich ist, in aller Öffentlichkeit über das Schicksal zu sprechen."

  • 1992 wurden in Deutschland die ersten Stolpersteine verlegt, Gründer der Initiative ist der Berliner Künstler Gunter Demnig.
  • Mittlerweile gibt es europaweit mehr als 100.000 Stolpersteine. In Dresden wurden bisher rund 330 Stolpersteine verlegt, dort kümmert sich ein eigener Verein darum.
  • Alle Steine bestehen aus gegossenen Betonwürfeln, die kleinen Messingtafeln mit Namen und Daten zu den NS-Opfern werden händisch angefertigt.
  • Finanziert werden die Stolpersteine von Vereinen, über Patenschaften und Spenden.
  • Die Interessengemeinschaft Stolpersteine Freital recherchiert derzeit das Schicksal weiterer NS-Opfer, Kontakt über [email protected]
  • Am 27. Mai 2024 sollen auf der Dresdner Straße 40 vier weitere Stolpersteine verlegt werden und an das Schicksal der Familie Schlochauer erinnern.