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Anlaufstelle Haußmannplatz Kreischa

Seit knapp fünf Jahren residiert die Bürgerstiftung im Zentrum von Kreischa. Hier bekommen nicht nur Geflüchtete und Senioren Tipps und Hilfe.

Von Maik Brückner
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Sie haben immer ein offenes Ohr: Peggy Oertel und Carsten Blume von der Bürgerstiftung Kreischa - "Wir sind Kreischa!".
Sie haben immer ein offenes Ohr: Peggy Oertel und Carsten Blume von der Bürgerstiftung Kreischa - "Wir sind Kreischa!". © Daniel Schäfer

Senioren, Heimatforscher, junge Mütter und Trauernde. Und seit einem Jahr geflüchtete Ukrainer. Die Bürgerstiftung "Wir sind Kreischa" ist für all diese Gruppen die Anlaufstelle. Seit fünf Jahren residiert sie am Haußmannplatz im Zentrum von Kreischa.

Zeitgleich hat Carsten Blume, heute 57-jährig, als ehrenamtlicher Vorstand die Leitung der Stiftung übernommen. Peggy Oertel startete als Festangestellte und ist seine rechte Hand. Die 43-Jährige kümmert sich seither ums Tagesgeschäft.

Beide konnten schon vielen helfen und Tipps geben. So waren sie auch zur Stelle, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in Kreischa ankamen. Inzwischen leben etwa 50 in der Gemeinde, um etwa 30 kümmert sich die Stiftung seit dem ersten Tag nach ihrer Ankunft, so Blume.

Die Stiftung hat mit Unterstützung einer Dolmetscherin bei der Registrierung, bei der Beantragung von Hilfsgeldern und bei der Kinder-Unterbringung in den Kitas und Schulen geholfen. "Jetzt, nach einem Jahr, hat sich vieles eingespielt", so Blume. Die Kinder sind untergebracht, die Erwachsenen besuchen Deutsch-Kurse oder sind in Lohn und Brot. "Wir müssen nur noch sporadisch helfen, wenn Neue kommen", so Blume.

Seit 2018 residiert die Bürgerstiftung "Wir sind Kreischa!" in diesem ehemaligen Kaufhaus in der Mitte des Ortes.
Seit 2018 residiert die Bürgerstiftung "Wir sind Kreischa!" in diesem ehemaligen Kaufhaus in der Mitte des Ortes. © Daniel Schäfer

Für Carsten Blume ist das eine Selbstverständlichkeit. "Wenn ich einmal am Tag jemanden sehe, der mir zulächelt, weil ich ihm geholfen habe, ist es ein schöner Tag gewesen." Man hört, dass er nicht in Kreischa groß geworden ist. Obwohl er schon seit 28 Jahren hier wohnt, berlinert er immer noch leicht. "Ja, ich höre immer wieder, dass ich kein Eingeborener bin", sagt er und lächelt. Seine Familie stammt aus Rathenow, wo sie seit 1869 eine Zeitungsdruckerei betrieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Zeitung eingestellt. Seine Familie wurde enteignet und zog nach Berlin. Hier wurde Blume geboren. Er wuchs im Arbeiterviertel am Ostkreuz auf.

Unternehmer und Stiftungsvorstand

"Ich war ein kleiner Querulant", erinnert er sich. Rückhalt fand er in einer Kirchgemeinde. "Ich war weder Pionier noch FDJler, habe keine Jugendweihe gemacht und auch nicht bei der NVA gedient." Das brachte ihn Nachteile, schärfte aber auch seine Wahrnehmung. "Das führte dazu, dass ich einen Gerechtigkeitsfimmel bekommen habe." Er habe sich zwar nie gegen den Staat aufgelehnt, erzählt er. Dennoch forderte er für sich ein, dass die geltenden Gesetze auch bei ihm angewendet werden. Diese Auseinandersetzungen haben ihn geprägt.


Beruflich setzte er die Familientradition fort. Blume wurde Schriftsetzermeister und arbeitete bis 1995 in der Druckerei, die seit Vater 1967 übernommen hat. Bei ihm gingen viele bekannte Prominente ein und aus, so Lutz Jahoda und Dagmar Frederic. 1995 zog Carsten Blume der Liebe wegen nach Kreischa. "Und hier bin ich hängengeblieben." 2001 übernahm er die väterliche Druckerei, die er nach Kreischa holte und von der er heute lebt. 2007 übernahm er die Lokalzeitung "Bote von Wilisch", die er seither unter dem Titel Kreischaer Bote herausgibt. Er druckt auch Broschüren, Kalender und Visitenkarten.

  • Die Stiftung wurde 2017 von der Gemeinde Kreischa und Rudolf Presl, Inhaber der Bavaria Kliniken, gegründet. Das Gründungskapital von 50.000 Euro kam je zur Hälfte von den Stiftern. Seit 2018 arbeiten Carsten Blume und Peggy Oertel für die Stiftung. In jenem Jahr bezog sie die Räume am Haußmannplatz.
  • Die Stiftung kümmert sich um Themen, für die weder die Kommune, noch das Land oder der Bund zuständig sind. Dazu gehören zum Beispiel die Nachbarschaftshilfe, aber auch Projekte, die aus der Mitte der Bevölkerung kommen.
  • Mithilfe der Stiftung wurden der Freundeskreis Live-Musik, eine Krabbelgruppe, das Trauercafé, die Gruppe "Zukunft Kreischa - wie wollen wir morgen leben?", die Verbrauchergenossenschaft mit Bio-Laden und die Geschichtswerkstatt etabliert.
  • Die Stiftung sammelt historische Unterlagen und Fotos. Inzwischen verfügt sie über ein Archiv mit historischen 1.500 Fotos.
  • Diese Veranstaltungen laufen über die Stiftung: Bürgerbrunch im Park, Sommerfeste für die Senioren, Wanderungen - auch mit der tschechischen Partnergemeinde Haj (Stolzenhain), Ortsrundgänge mit den Kindergärten, Vorträge und der Weihnachtsmarkt am Vereinshaus.
  • Die Stiftung vermittelte auch Hilfen für Schüler und Nachbarn.

Auch in Kreischa verspürte Blume das Bedürfnis, sich sozial zu engagieren. Seit 2013 ist er Gemeinderat, seit 2016 Vorstand im Heimat- und Fremdenverkehrsverein. 2018 übernahm er die ehrenamtliche Leitung der Bürgerstiftung. Das reizte ihn. Schließlich ist die Zahl solcher Initiativen überschaubar. In Sachsen gibt es laut Blume nur noch in Dresden, Leipzig und Chemnitz Bürgerstiftungen. Von daher ist Kreischa mit seinen 4.300 Einwohnern etwas Besonderes, Bürgerstiftungen in den Großstädten haben auch andere Aufgaben. Diese kümmern sich um Denkmalschutz, einsame Omis und soziale Brennpunkte.

Stiftung greift auf mehrere Finanzierungsquellen zurück

Viele Stiftungen leben von den Zinsen ihrer Einlage. In Kreischa ist das nicht so. Der Zinsertrag spielte in den letzten Jahren keine Rolle. "Wir bekommen auch keine Zulagen", sagt Blume. Ihre Arbeit finanziert die Stiftung hauptsächlich über Spenden. "Und wir beantragen Fördermittel." So gab es vom Kreis Geld für das kommunale Ehrenamt, mit dem einige Ausgaben vom Bürgerbrunch bezahlt werden konnten. Für das Engagement in der Ukraine-Hilfe erhielt man eine Förderung. Und auch das EU-Programm Leader und die Euroregion Elbe-Labe unterstützten die Stiftung.

Diese Zuwendungen sind kein Selbstläufer. "Man muss vernetzt sein", sagt Blume. Tipps bekommt er unter anderem von anderen Stiftungen und aus Webseminaren. Passt ein Programm, wird Geld beantragt. "Wenn man Glück hat, gibt es was", so Blume.

Die nächsten größeren Veranstaltungen

  • 13. Mai: Wanderung mit der Partnergemeinde Haj
  • 26. Mai: Heimat- und Wanderlieder mit dem Freundeskreis Live-Musik
  • 27. August: 3. Bürgerbrunch im Park mit Kulturprogramm
  • 19.-22. September: eine Ausstellung zu 50 Jahre Schulbau
  • 23. September: Wanderung mit der Partnergemeinde Haj
  • Geplante Projekte: Sanierung der historischen Straßenbahn, Mühlen-Rundwanderweg und Häusertafeln.

Der 57-Jährige ist zufrieden, wie sich die Stiftung entwickelt habe und verweist auf die zahlreichen Initiativen, die sich entwickelt haben. Diese reichen von der Krabbelgruppe bis hin zu einem Freundeskreis Live-Musik. Dennoch: Die Corona-Pandemie hat auch die Arbeit der Stiftung zurückgeworfen. "Wir mussten fast bei Null anfangen." Denn die Stiftung lebt von Begegnungen. Und diese waren über Monate nicht möglich.

Doch man sei nicht entmutigt worden. Die Stiftung tut Kreischa weiter gut, ist sich Blume sicher. Zwar gibt es auch hier Vereine, die vieles bewegen. Doch viele Leute scheuen sich Mitglied zu werden. Die Stiftung sei eine Alternative. Hier könne man etwas gestalten, kann aber auch wieder gehen, wenn einem etwas nicht passt. Das komme gerade jungen Menschen entgegen, so Blume. "Nur in Sportvereinen ist das anders", sagt er und lächelt.