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Freitals Gebrauchtwarenhaus: Kaufen gegen den Müllberg von morgen

Nicht nur Bedürftige sind Kunden im Laden des Freitaler Roten Kreuzes, auch Ökos und Menschen, die alte Sachen einfach cool finden.

Von Jörg Stock
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Sie hat ihren Platz gefunden: Die gelernte Herrenmaßschneiderin Kerstin Pohlmeier leitet das Gebrauchtwarenhaus beim Freitaler Roten Kreuz.
Sie hat ihren Platz gefunden: Die gelernte Herrenmaßschneiderin Kerstin Pohlmeier leitet das Gebrauchtwarenhaus beim Freitaler Roten Kreuz. © Egbert Kamprath

Sie wohnt in den Neubauten, gleich um die Ecke. Deshalb ist sie oft hier. Aber nicht nur deswegen. Auch, weil das Geld nicht weit reicht. Wenn man nur eine Rente hat, sagt die alte Frau, muss man hierher gehen. Heute kauft sie "von allem was", etwa Esslöffel und ein paar Blumentöpfe. Dafür zahlt sie kaum sechs Euro. "Versuchen sie das mal im Laden."

Das hier ist ein Laden. Ein Laden, der niemals Ware einkauft, aber immer volle Räume hat. Alles, was das Gebrauchtwarenhaus des Freitaler Roten Kreuzes anbietet, war mal eine Spende. So auch die terrakottafarbene Couch, auf der Kerstin Pohlmeier, die Chefin, gerade Probe sitzt. Couches werden ihr besonders häufig angetragen. Allein gestern waren es wieder fünf.

In der alten Freitaler Feilenfabrik hat seit 2017 das Gebrauchtwarenhaus des Roten Kreuzes sein Quartier.
In der alten Freitaler Feilenfabrik hat seit 2017 das Gebrauchtwarenhaus des Roten Kreuzes sein Quartier. © Egbert Kamprath

Sie kann nicht alle Sofas annehmen. Auch nicht alle Schrankwände, selbst wenn sie Kirsche massiv wären. Die Möbel müssen nicht nur gut erhalten sein, sondern auch zeitgemäß. "Das verstehen die Spender manchmal nicht." Nach dem Motto: Wer arm ist, braucht alles. Doch der Einrichtungsstil hat sich gewandelt. Lieber Pressspan in einer trendigen Farbe als gediegene Wuchtigkeit. "Man stellt sich die Wohnung nicht mehr so zu."

Boom zur Weihnachtszeit im Freitaler Sozialkaufhaus

Gebrauchtes vom Roten Kreuz - da denkt man an die Kleiderkammern. Über 750 Kleiderkammern und Kleiderläden betreibt die Hilfsorganisation bundesweit. Anziehsachen gibt es auch in Freital. Aber auch die meisten anderen Dinge, die ein Haushalt braucht, darunter Möbel jeglicher Art, kleine Elektrogeräte, Küchenutensilien, Bücher oder Spielzeug. In diesem Umfang ist das selten in der Region.

Im Verkaufsraum: Das Gebrauchtwarenhaus macht jährlich gut 200.000 Euro Umsatz.
Im Verkaufsraum: Das Gebrauchtwarenhaus macht jährlich gut 200.000 Euro Umsatz. © Egbert Kamprath

Während anderswo der Platz fehlt, ist das Freitaler DRK-Kaufhaus damit komfortabel ausgestattet. Sein Quartier ist eine ehemalige Werkzeugfabrik, gebaut Anfang des 19. Jahrhunderts, heute die "Alte Feile" genannt. Hier nutzt das Warenhaus zwei hallenartige Verkaufsräume, außerdem eine Sortierabteilung, eine Werkstatt und diverse Zimmer, wo in Kartons gestapelt Saisonware lagert.

Momentan ist es luftig im Depot. Dreißig, vierzig Bananenkisten voller Weihnachtsutensilien sind Ende des Jahres rausgegangen, sagt die Chefin. "Die Leute haben gekauft, als gäbe es kein Morgen." Doch schon findet sich der erste Nachschub an - Sterne, Pyramiden, Räuchermännchen. Mancher hat sich neue Weihnachtsdeko geleistet oder den Dachboden aufgeräumt.

Warten auf Ostern und den Sommer: Im Lager sammelt sich diverse Saisonware.
Warten auf Ostern und den Sommer: Im Lager sammelt sich diverse Saisonware. © Egbert Kamprath

Übers Jahr gesammelt werden auch Osterartikel. Sie gehen als Nächstes in den Verkauf, danach die Sommerware. Gartenstühle samt Auflagen warten, diverse Ventilatoren, ein Spielzelt, ein Trampolin. Wenn das Jahr weiter fortschreitet, kommen die Zuckertüten dran. Eine extra Kiste haben DDR-Produkte mit gewissem Kultstatus, auch die Gummi-Indianer. Für sie gibt es Liebhaber und die Chefin wird sich Zeit nehmen und im Netz recherchieren, wie hoch diese Dinge gehandelt werden.

Pro Woche kommen etwa zweihundert Leute ins Geschäft, zum Gucken, Kaufen, aber auch zum Bringen. Gerade betritt Ilona Wilhelm den Laden mit mehreren großen Tüten im Schlepp. Ihre Tante zieht um und ist am Ausräumen, erzählt die Rabenauerin. Warum wegwerfen, was noch gut ist? "Der überwiegende Teil hilft anderen."

Angebot für Nostalgiker: Ein Stamm Gummi-Indianer aus DDR-Produktion.
Angebot für Nostalgiker: Ein Stamm Gummi-Indianer aus DDR-Produktion. © Egbert Kamprath

Dinge abgegeben hat sie hier schon oft. Sie mag das Kaufhaus, die Leute, den Service. "Eine feine Sache." Es müssten noch viel mehr Menschen ihre ausrangierten Sachen an diesen Ort bringen, findet sie. "Statt sich auf den Weg zu machen, wird immer noch viel zu viel weggeschmissen."

Das Beste aus dem DRK-Kleidercontainer im Verkauf

Was Anziehsachen betrifft, machen die Freitaler Rotkreuzler das Bringen leicht. In der Stadt und der Umgebung gibt es fast fünfzig Containerstandplätze des DRK, wo man Altkleider einwerfen kann. Etwa alle zwei Wochen rücken die Männer der "Alten Feile" mit dem Laster zur Leerung an. Etwa 170 Tonnen Textilien kommen so im Jahr zusammen.

Ja, er lebt noch: Kammersänger Peter Schreier und viele andere Musiker kann man als Schallplatte mit nach Hause nehmen.
Ja, er lebt noch: Kammersänger Peter Schreier und viele andere Musiker kann man als Schallplatte mit nach Hause nehmen. © Egbert Kamprath

Was die Tonnen hervorbringen, ist stets eine Überraschung. Manchmal eine böse, wenn Leute ihren Müll darin entsorgt haben. Man hat schon den Inhalt ganzer Tiefkühltruhen gefunden, sagt Kerstin Pohlmeier. Doch selbst die ordentlich eingesackten Kleider schaffen es nur zu etwa zwanzig, dreißig Prozent ins Geschäft.

Denn der größte Teil ist abgetragen, vergraut, verfusselt, kaputt. Auf die Halde kommen diese Sachen aber nicht. Ein Textilverwerter holt alle paar Wochen einen Sattelauflieger voll Altkleider in Freital ab. Ein Teil wird in arme Regionen exportiert, ein anderer recycelt, etwa zu Industrieputzlappen.

Vergraut, verfusselt oder kaputt: Unverkäufliche Kleiderspenden holt ein Verwertungsunternehmen ab.
Vergraut, verfusselt oder kaputt: Unverkäufliche Kleiderspenden holt ein Verwertungsunternehmen ab. © Egbert Kamprath

Auf die Bügel im Kaufhaus kommt nur die beste Ware, und das zum kleinen Preis. Drei, vier Euro kostet mancher Winterpullover, auch Hemden gibt's ab vier Euro. Hosen und Bettwäsche spielen in ähnlicher Preisklasse. Wer nachweist, dass er Geld vom Amt bezieht, erhält zehn Prozent Nachlass.

Feilschen ist in der "Alten Feile" nicht drin

Manchem ist das nicht billig genug. Es kommt vor, dass jemand feilschen will. Das betrifft speziell Migranten, in deren Herkunftsländern das üblich ist. Kerstin Pohlmeier und ihre Leute lassen das nicht durchgehen, auch nicht das respektlose Betragen manches neuen Mitbürgers gegenüber dem Personal. Auch wenn in dessen Heimat womöglich Krieg ist: "Man muss nicht für alles Verständnis haben."

"Abwechslungsreiche Arbeit." Freddy Kreische kümmert sich in der Werkstatt des DRK-Kaufhauses um einen wackeligen Stuhl.
"Abwechslungsreiche Arbeit." Freddy Kreische kümmert sich in der Werkstatt des DRK-Kaufhauses um einen wackeligen Stuhl. © Egbert Kamprath

Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte stellen inzwischen den größten Teil der Kundschaft im Sozialkaufhaus. Die Ladenchefin schätzt ihn auf etwa 75 Prozent. Doch es gibt noch ein anderes Kundensegment, das zu wachsen scheint: Menschen mit Secondhand als Lebenseinstellung.

Zu diesen Menschen gehört Franziska Mühr aus Tharandt, die mit ihrer Tochter Luise bei den Hosen stöbert. Warum die beiden hier kaufen? "Weil wir Ökos sind", sagt Frau Mühr rundheraus. "Und weil es schon genug Hosen auf der Welt gibt." Klamotten kauft sie seit Jahren nur noch gebraucht, abgesehen von Unterwäsche und Schuhen. "Wenn ich hier kaufe, verkleinere ich den Müllberg von morgen."

"Ältere Klamotten zu tragen ist cool." Die 18-jährige Luise Mühr aus Tharandt schaut sich bei den Hosen um.
"Ältere Klamotten zu tragen ist cool." Die 18-jährige Luise Mühr aus Tharandt schaut sich bei den Hosen um. © Egbert Kamprath

Luise, 18 Jahre, sieht das genau so. Doch was ist mit den hippen Marken, den angesagten Trends? Sie denkt, dass Secondhand so ein Trend ist. Sie selbst ist komplett aus zweiter Hand eingekleidet, darunter Sachen, die ihre Mutter mit zwanzig trug, und die immer noch halten. Angst vor schiefen Blicken? Keinesfalls. "Auf die Umwelt achten und dabei noch Geld sparen - das ist doch cool."