Das Leben ist aus Zufällen gemacht. "Ein Zug fährt vorbei, und du springst einfach auf." So erklärt Michela, wie sie zur Sandskulpturenschnitzerin wurde. Ihr Zug, das war eine Begegnung am Strand von Rimini. "Da war so ein Typ, der baute für Trinkgeld Figuren aus Sand." Michela freundete sich an, mit dem Typen und mit dem Sand, baute Skulpturen, den ganzen Sommer lang, finanzierte sich so das Studium. "Und dann wurde ein Beruf daraus."
Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Michela Ciappini, die studierte Bühnendesignerin von der norditalienischen Adria, zieht heute durch die ganze Welt, von Amerika übers Baltikum bis nach Fernost, von Event zu Event, wo sie Sand, Schnee und Eis in kolossale Formen bringt. Sie könnte die ganze Zeit nur noch reisen. Aber sie muss auswählen, sagt sie, "es wäre sonst zu anstrengend".
Die jüngste Wahl der Italienerin heißt Freital. Oskarshausen. Der Freizeitpark am Burgker Hang hat, bislang abgeschottet von der Öffentlichkeit, den größten Sandkasten der Region eingerichtet. Rund 150 Tonnen Sand wurden mit Radladern durch die extra eingebaute Hintertür in die Eventhalle bugsiert. Er ist der Grundstoff für die neue Frühlingsschau "Blütenwunder".
Ein Wunder wie noch nie: Sand, Deko und Pflanzen
Es soll das erste Wunder seiner Art sein, sagt Oskars Marketingchefin Theresa Tamme, eine Mischung aus Sandskulpturen, Dekorationskunst und echten Pflanzen und Blüten. "Diese Kombination ist so noch nie da gewesen." Der Countdown auf der Website läuft. Freitag soll Eröffnung sein.
Nach dem erfolgreichen Herbst-Event "Kürbishausen" habe man auch zum Frühling eine passende Attraktion austüfteln wollen, sagt Theresa Tamme. Das Thema Sand habe schon länger auf der Agenda gestanden. Aber Blüten sind gesetzt im Lenz. Geht beides zusammen? "Wir wussten es nicht", sagt die Marketingfrau. "Und sowas spornt uns an."
So kommt es, dass mehrere Wundermacher zugleich in Oskars Hinterland wuseln. Während Veranstaltungstechniker in schrankgroßen Koffern Equipment heranschleppen, den Sound ausprobieren und Scheinwerfer testen, ist Oskars Deko-Abteilung mit der Verwandlung der Halle in eine Gartenanlage beschäftigt. Bald kommen die Floristen, um das "Blütenmeer" und alle anderen Installationen mit lebendiger Farbe zu füllen.
Auch Michela Ciappinis Werk wird erblühen. Aber noch braucht ihr Alpenpanorama etwas Zeit. Dreieinhalb Tage schnitzt sie bereits an dem immensen Haufen aus 22 Tonnen Sand. Bergzinnen und Alpendörfchen sind schon ausgearbeitet. Jetzt geht sie an den Sandklotz im Vordergrund, der eine Ziegenmama mit Lämmchen werden soll.
Geschätzte 400 Stunden Arbeit
Michela mag Oskars Sand. Eine schöne warme Farbe hat er, sagt sie. "Und er ist sehr stabil." Die Skizze zu ihrem Thema hat sie nebenan auf dem Arbeitstisch liegen - im Tabletcomputer. Immer, wenn sie etwas anfängt, sucht sie Bilder zusammen. "Ich brauche etwas, worauf ich mich beziehen kann." Ihre Komposition zeichnet sie am Rechner direkt in ein Foto hinein: Was kommt wo hin? Wie sind die Proportionen? "Das ist sehr praktisch."
Der Werkzeugkasten der Sandkünstlerin hat viele Teile: Größere und kleinere Schaufeln benutzt sie zuerst, um Masse aus dem Block zu stechen. Das ist durchaus keine Kleinigkeit. "Du musst den Sand wirklich bewegen." Danach kommen alle erdenklichen Spachtel und Spatel und Modelliereisen zum Zuge, auch simple Esslöffel oder etwas Selbstgebogenes. Mit dem Pinsel erzeugt sie Strukturen, mit dem Blasrohr pustet sie die überzähligen Krümel weg. In zweieinhalb Tagen werden die Alpen wohl fertig sein.
Wenn nichts dazwischen kommt. Darum macht sich Michela auch nach all den Jahren noch Sorgen. "Sand ist kein Beton", sagt sie. Die Tragfähigkeit ist streng limitiert. Abgefallenes kann man ersetzen, solange es kleine Mengen sind. Bei größeren geht das nicht. Sie zeigt hinüber zur Figur der Geisha, die sie für den Kirschblütengarten geschnitzt hat. Das Kinn geht in Kragen und Haarschopf über. Kein Zufall, sondern Stützkonstruktion.
Drei Skulpturenkünstler sind in Oskarshausen aktiv, um in geschätzten 400 Stunden zehn Figuren auszuführen. Für die Blütenschau geht man an die Grenzen dessen, was möglich ist, sagt Jeroen van de Vlag, der das Kollektiv leitet. Die Formen sind detailreich, die Materialstärken dünn. Manches Blatt des Narzissenfelds, an dem er selbst arbeitet, besteht an der Spitze aus nur wenigen Sandkörner.
Der richtige Sand: jung und ungewaschen
Das geht, weil die Ausstellung nicht im Freien steht, wo allzu Filigranes vom Wetter abgetragen würde. Aber es geht auch wegen des Materials, das er lobt. Junger, ungewaschener Sand aus Ottendorf. Anders als etwa Ostseesand hat er noch Ecken und Kanten und viel Kleinstmaterial in sich drin. Jeroen vergleicht ihn mit einem Haufen Legosteine, der von sich aus liegen bleibt. Man braucht Legosteine für die Sandkunst, keine Murmeln. "Die rollen auseinander."
Man braucht aber auch Gewalt. Nachdem die Radlader den Sand in die vorgefertigten Schalungen geschaufelt hatten, wurde er mittels Stampfer fest gerammt. Schicht für Schicht. Etage für Etage. Einschaufeln, rammen. Zwanzig Prozent seines Volumens hat der Sand im sogenannten "Hard Pack" eingebüßt, wenn ihn die Bildhauer übernehmen. Da drin wackelt kein Sandkorn mehr, sagt Jeroen. "Da ist einfach alles fest."
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Zweieinhalb Monate werden die Skulpturen stehen bleiben. Ende Mai ist das Blütenwunder von Freital vorbei. Michela wird da schon längst neue Wunder produziert haben, erst mal in Japan, und dann wer weiß, wo noch. Dass keins davon für die Ewigkeit ist, stört sie nicht die Bohne. Das Leben fließt. Das hat sie vom Sand gelernt. Man braucht sich nicht an Dingen festzuklammern. Die Dinge wollen sich bewegen. "Lass sie gehen."
Infos und Tickets zur Ausstellung "Blütenwunder" gibt es hier sowie in den DDV-Lokalen.