Wenn das Glück Zylinder trägt

Schornsteinfeger müssen scheinbar immer hoch hinaus. Selbst in der Mittagspause. Da hängt sich der Bezirksschornsteinfegermeister Matthias Zißmann an die selbst gebaute Boulder-Wand neben seinem Schreibtisch und klettert ein wenig daran herum. Er muss in Übung bleiben, für die kommenden Touren in der Sächsischen Schweiz. Und der Papierkram erledigt sich dann auch viel leichter. "Man ist produktiver als wenn man acht Stunden nur rumsitzt."
Der Schreibtisch mit Klettergarten steht im Parterre eines Eckhauses mitten in Freital. Nachtschwarzes Mobiliar. Das passt zum Schornsteinfeger. Neben dem Schreibtisch sitzt Oskar, der kaffeebraune Labrador. Er geht gern mit Herrchen auf Arbeit. Noch lieber hält er ihn von der Arbeit ab. Aber er braucht nun mal seinen Auslauf, sagt Matthias Zißmann. "Sonst macht er Quatsch."

Das Jahr ist rum, man wünscht sich Glück fürs nächste. Kann Matthias Zißmann es bringen? Er hofft. Glücksbringer zu sein, gehört nach wie vor zum Berufsbild. Schade nur, dass es mit dem Anfassen, dem Hand geben und am Knopf der Uniform drehen grade schlecht ist. Wegen Corona muss auch der Glücksbote auf Abstand achten.
Zahl der Schornsteinfeger ist konstant
Dass die Kaminkehrer mit guten Mächten im Bunde stehen, gilt als ausgemacht. Einst hielt man die finsteren Schlote für Tummelplätze satanischer Geschöpfe. Wer dort schadlos zugange war, an dem musste das Glück kleben. In Form von Ruß suchte man sich ein Stück davon zu sichern. Überdies: Glücklich ist, wer einen sauberen Kamin hat. Denn das schützt vor Rauchvergiftung und Brand.

Im Kammerbezirk Dresden arbeiten derzeit 133 Schornsteinfegerbetriebe. Eine weitgehend stabile Zahl. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sind es 27 und damit genauso viele wie vor zwölf Jahren. Doch Nachwuchs ist rar, sagt Matthias Zißmann. Sein Glück: Er hat einen Lehrling fürs kommende Jahr. Wetterfest muss man sein, in Mathe und Physik durchblicken, kontaktfreudig, und unempfindlich gegen Dreck. "Das Klientel ist nicht gerade groß."
Holzfeuerung sorgt für neue Arbeit
Wird der Schornsteinfeger heute noch dreckig? Wird er, sagt Matthias Zißmann, jedenfalls in seinem Kehrbezirk. Der umfassts nicht nur Teile der Großen Kreisstadt Freital, sondern auch des Umlands, bis hinüber zum Tharandter Wald. In etwa zwanzig Prozent der Feuerstätten werden feste Brennstoffe verheizt, immer noch, oder schon wieder.

Holz als Energieträger boomt. Zentralheizungen laufen mit Pellets. Und gefühlt jedes zweite Eigenheim besitzt seinen Gemütlichkeitskamin. Das beschert dem Schornsteinfeger Arbeit, viel mehr als der Gasbrenner. Wo Feststoff durch die Esse geht, muss zweimal im Jahr gekehrt und alle zwei Jahre auch gemessen werden.
Ruß geschnuppert und kleben geblieben
Das macht Matthias Zißmann heute: kehren und messen. Der beinahe letzte Außentermin dieses Jahres. Er streift den Kehranzug über, imprägniertes Gewebe, ölrußfest, mit eng anliegenden Bündchen an den Handgelenken. Wo der Ruß einmal rein kriecht, da bleibt er nämlich. Der Zylinder sieht aus wie ein Erbstück. Ist er aber nicht. Zißmann ist, soweit er "dat" weiß, der erste Schornsteinfeger in der Familie.

Das "dat" ist ein Mitbringsel aus dem Rheinland. Dorthin, nach Neuss bei Düsseldorf, hatte es den gebürtigen Dresdner zur Wendezeit verschlagen. Ein Freund brachte Zißmann zur Schornsteinfegerei. Nach dem Praktikum, bei dem er sich die Sache "mal angucken" wollte, ist er direkt kleben geblieben. 2010 wurde er Geselle, 2016 Meister. Heute ist er selbstständig, mit zwei Gesellen und eigenem Kehrbezirk. "Man hat gute Aufstiegschancen, wenn man das möchte."
Am Rhein auf dem Dachfirst balanciert
Oskar muss den Schreibtisch hüten, Matthias Zißmann geht zum Dienstwagen, holt Kehrgerät und Rußeimer. Sein Ziel: Ein Altbau um die Ecke. Ein wuchtiger Gründerzeitkasten, mehr als ein Dutzend Mietparteien. Der Hausmeister wartet schon. Zißmann steigt viele Stufen, dann kommt eine Wendeltreppe. Dann kommt eine Eisenleiter. Und dann kommt nichts mehr. Nur noch Freitaler Höhenluft.

Der Besen fällt in den schlanken Schlot hinab. Rußwölkchen steigen auf. Absolute Trittsicherheit auf dem Dach ist Pflicht, sagt Matthias Zißmann. Anfangs hatte auch er hin und wieder Bammel vor der Höhe. Er denkt an die Mutproben der Lehrzeit: Auf dem First gehen, von Esse zu Esse. Jugendlicher Leichtsinn. "Aber schön war es doch, wenn die Leute unten geklatscht haben."
Alten Kachelöfen droht die Stilllegung
Er denkt gern an die Lehre in Neuss. Viel mit dem Fahrrad gefahren, Leiter über der Schulter. "Ein schönes Arbeiten." Die Rheinländer sind liebenswürdig, plaudern ausgiebig. Die Sachsen sagen gleich, was sie denken. Etwa, wenn der Schornsteinfeger ihnen erklärt, dass sie ihren Kachelofen umrüsten müssen, wegen der Feinstaub- und Kohlendioxidwerte, sonst wird er stillgelegt. Da fällt auch manch böses Wort. Daran muss man sich gewöhnen, sagt Zißmann. "Man darf nicht alles persönlich nehmen."

Auf dem Rückweg Zwischenstopp im Dachboden, den Gasbrenner kontrollieren. Dann geht es in den Keller. Hier kriecht Zißmann in die Nische neben der Holzfeuerung, um ins Abgasrohr zu leuchten. "Ein Schornsteinfeger darf nicht klaustrophobisch veranlagt sein." Auch hier ist er zufrieden. Keine Dreckkrusten, keine toten Vögel. Das ganze Kehren bringt kaum zwei Kellen Ruß ein. "Eine sehr saubere Verbrennung."
In diesem Haus steht dem Glück feuerungstechnisch nichts im Weg. Matthias Zißmann ist auch glücklich. Seine Frau, die er am Rhein kennen lernte, hat er mit nach Sachsen gebracht. Bei der Hochzeit standen gleich zwei Schornsteinfeger Spalier. In Freital baut sich die Familie einen alten Bahnhof aus. Wie lange man noch rauchende Schlote braucht, weiß Zißmann zwar nicht. Aber Glück wird man immer brauchen. Und zum Glück, da ist er sicher, gibt's bis auf Weiteres den Schornsteinfeger.
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