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Für Gut Pesterwitz zählen jetzt perfekte Lagerung und richtiger Schnitt

Das Weinjahr 2023 ist erst in ein paar Wochen beendet. So lange begleitet die Sächsische Zeitung das Geschehen am Weinberg – und fragt nach einer Rarität.

Von Gabriele Fleischer
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Wolfgang Schulze, einst Gartenbaumeister im Gut Pesterwitz, hilft auch als Rentner beim Schnitt der Rebstöcke.
Wolfgang Schulze, einst Gartenbaumeister im Gut Pesterwitz, hilft auch als Rentner beim Schnitt der Rebstöcke. © Karl-Ludwig Oberthür

Auch wenn der erste Monat des neuen Jahres bereits vorbei ist, für Winzer und Weinbauern ist die Saison 2023 nicht abgeschlossen. Noch lagern die meisten Rebensäfte bei Temperaturen zwischen fünf und zehn Grad im Weinkeller und warten auf ihre Abfüllung. Auch die von Gut Pesterwitz.

Bacchus, Müller-Thurgau, Goldriesling, Solaris und die anderen der insgesamt 16 verschiedenen Weine reifen in Tanks beim Weingut Matthias Schuh in Coswig-Sörnewitz. Ende Februar, so ist es geplant, sollen die Flaschen abgefüllt werden. Doch bis dahin sind die Winzer nicht untätig. Im Weinberg läuft der Schnitt der Reben mit der Hoffnung, dass die kommende Saison ebenso rekordverdächtig wird wie die zu Ende gehende.

Ein versierter Senior sorgt für die richtige Vorarbeit

Und so ist der einst im Gut Pesterwitz angestellte Gartenbaumeister Wolfgang Schulze seit ein paar Tagen unterwegs, um für einen ordnungsgemäßen Vorschnitt zu sorgen. Das heißt, eine Rute je Rebstock muss für die Triebe stehen bleiben, dazu ein sogenannter "Angst"- oder Reservezapfen. Wenn in einigen Wochen beim Biegen der Ruten eine bricht, gibt es so Ersatz.

Dreimal in der Woche kommt der 74-Jährige derzeit mehrere Stunden zum Schneiden. "Es macht mir Spaß, ich habe etwas zu tun, und mit der richtigen Kleidung halte ich es auch bei Sturm und Regen aus", sagt der Fachmann, der mehrere Jahrzehnte erst im Volkseigenen Gut und später bei Familie Folde gearbeitet hat.

Hier nahe der Besenwirtschaft holten sich die Vögel die letzten Beeren vom Pesterwitzer Weinberg. Übrig geblieben sind nur die Rappen.
Hier nahe der Besenwirtschaft holten sich die Vögel die letzten Beeren vom Pesterwitzer Weinberg. Übrig geblieben sind nur die Rappen. © Karl-Ludwig Oberthür

Schulze zeigt seine Elektroschere, die er für den Schnitt nutzt. Die schont die Handgelenke. Den Akku, der zwei Tage hält, bevor er wieder aufgeladen werden muss, trägt der rüstige Senior am Rücken. Sollte er versehentlich den Draht des Rahmens, an denen sich die Triebe hochranken, zerschneiden, so hat Schulze für den Notfall ein Verbindungsstück dabei, mit dem er sofort alles flicken kann.

Die letzten Beeren holten sich die Vögel

Gerade ist der Gartenbaumeister dort unterwegs, wo 2009 ein Teil der auf zwei Hektar wachsenden Sorte Bacchus gepflanzt wurde. Für die Feinarbeit, also das Entfernen der abgeschnittenen Ruten und das Biegen, kommen später Mitarbeiter vom Pesterwitzer Gut dazu, von denen einige gerade beim Obstbaumschnitt zu tun haben.

Bis spätestens Ostern muss alles erledigt sein. Nur zu strenger Frost könnte dann dem Austreiben noch schaden, sagt Lars Folde, der Seniorchef des Gutes.

Weiter oben im Weinberg hat der Sturm zwei Säulen umgeworfen. Damit die Rebstöcke den Sturz unbeschadet überstehen, muss an dieser Stelle so schnell wie möglich repariert werden. Lars Folde informiert seinen Sohn Daniel. Auch an der Hütte der Besenwirtschaft sieht Folde nach dem Rechten.

Daneben, wo noch vor ein paar Wochen einige Rest-Trauben mit Beeren hingen, sind jetzt nur noch Rappen, wie die Stiele bezeichnet werden, säuberlich von hungrigen Vögeln abgepickt.

Eiswein ist für Lars Folde kein Thema

Wie wäre es aber, einige Trauben nicht nur für die Vögel, sondern für Eiswein zu nutzen? Lars Folde schüttelt den Kopf: "Kein Thema", sagt er. Und das nicht nur, weil der Aufwand angesichts der anderen Aufgaben im Gut zu groß wäre und beim Abfüller in Coswig kein Eiswein gekeltert wird.

Ein Risiko ist es allemal. Um Eiswein lesen zu können, seien mindestens minus sieben Grad nötig und ein paar frostige Grade zuvor. "Die Trauben müssen richtig durchgefroren sein", sagt Lutz Krüger, Geschäftsführer der Sächsischen Winzergenossenschaft Meißen. Nachdem dort in den vergangenen zwei Jahren vergeblich auf die nötigen Frostgrade gewartet wurde, hat es diesmal geklappt.

"Auf einer Fläche von 0,5 Hektar haben in Meißen-Zschaila etwa 40 Helfer in der Nacht vom 8. zum 9. Januar bei minus zehn Grad Trauben der Sorte Cabernet Blanc gelesen", sagt Krüger. Eine Herausforderung für diese "Rarität der Rarität", wie es der Chef der Winzergenossenschaft bezeichnet.

Meißner stellten sich dem Risiko für die Rarität

Gleich nach der Lese ging es für die gefrosteten Trauben in die Presse. "Aus den Trauben der Eisweinlese konnten über 700 Liter Most mit mehr als 186 Grad Öchsle gewonnen werden, die im Weinkeller ausgebaut werden", so Krüger.

Oechsle zeigt das Gewicht des unvergorenen Traubenmostes an. Und das wiederum ist ein Maß für die gelösten Stoffe, insbesondere Zucker. Im Gegensatz zum Eiswein liegt der Öchslewert bei trockenen oder halbtrockenen Weinen durchschnittlich zwischen 70 und 80 Grad. Länger als die normalen Weine benötige der Most nun, um in Gärung zu kommen, so Krüger.

"Mit einer Abfüllung rechnen wir nicht vor Ende des Jahres", blickt er voraus. Und so eine Rarität hat dann auch seinen Preis. 50 Euro kostet eine 0,375 Liter-Flasche.

In Pesterwitz wartet man auf den neuen Wein

Während sich die Risikofreude bei der Winzergenossenschaft diesmal ausgezahlt hat, war man anderenorts vorsichtiger. "Witterungsbedingt haben wir uns Mitte November vergangenen Jahres entschieden, unsere letzten Riesling-Trauben im Wackerbarthberg als hochwertige Auslese zu ernten", sagt etwa Martin Junge, Sprecher im Sächsischen Staatsweingut Schloss Wackerbarth.

2022 gab es dort Eiswein, gelesen bereits Ende November - einen Traminer. 2021 war es ein Riesling. Eine Weihnachtsüberraschung, denn der kam am 26. Dezember vom Weinberg. Beide Eisweine übrigens gibt es noch, kosten aber in der 0,375 Liter Flasche hier schon ab 200 Euro.

Lars Folde überlässt diese Rarität lieber anderen und konzentriert sich auf seine 16 Weine, deren 2023er-Jahrgang in einigen Wochen wieder die Regale seines Hofverkaufs füllen wird.