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Warum ein alter Birnenbaum in Radebeul eine Sensation ist

In Karla Pfaus Garten wächst ein Baum, der zwei Weltkriege überstanden hat und noch Früchte trägt. Sein wahrer Wert wurde aber erst jetzt entdeckt.

Von Susanne Plecher
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Der Birnbaum von Karla Pfau aus Radebeul sieht völlig unspektakulär aus. Aber er ist es nicht.
Der Birnbaum von Karla Pfau aus Radebeul sieht völlig unspektakulär aus. Aber er ist es nicht. © Susanne Plecher

Welche Birnensorten kennen Sie? Conferenz aus dem Supermarkt? Williams Christ aus der Schnapspraline? Vielleicht noch die Petersbirne, Alexander Lucas oder die Gute Luise aus Ihrer Kindheit? Es gab Zeiten, in denen Birnen beliebter und verbreiteter waren als Äpfel. Man nutzte sie zum Süßen von Speisen, aß Birnenmus auf Brot, weckte die Früchte mit Gewürznelke als Kompott ein, gewann Saft.

„Selbst jetzt wird es noch mehrere Hundert verschiedene Birnensorten in Sachsen geben“, sagt Ralf Frenzel. Beruflich befasst er sich mit Kunststoffen, privat seit über 15 Jahren mit dem Wissen um alte Obstbaumsorten, die immer weniger werden. Weil eine Meldung um einen möglicherweise ganz besonderen Baum seine Aufmerksamkeit erregte, hat der Chemiker aus Dresden an einem Mittwochvormittag seine Polymere und Alkylverbindungen verlassen und ist nach Radebeul gefahren. „Es wäre schon eine kleine Sensation, wenn wir hier vorfinden, was wir vermuten“, sagt Frenzel.

Sachsens Obstbaumsorte des Jahres 2023

Einen Steinwurf entfernt von der Villa Shatterhand, wo Karl May seine letzten Lebensjahre verbrachte, und in Sichtnähe zur berühmten Lößnitzgrundbahn öffnet Karla Pfau ihr Gartentor. Sie hatten sich auf einen Artikel gemeldet, der Anfang September in der Sächsischen Zeitung erschienen war. Er stellte die Grüne Hoyerswerder vor, eine alte Birne, die Sachsens Pomologenverein zur Obstsorte des Jahres gewählt hatte.

Seit neun Jahren verleiht der Verein diese Ehrung an uralte Sorten wie den Sächsischen Königsapfel oder die Oberlausitzer Muskatrenette, damit sie nicht völlig in Vergessenheit geraten.

Gelb-weißliches Fruchtfleisch, süß-aromatischer Geschmack: Die letzten diesjährigen Früchte der Grünen Hoyerswerder von Karla Pfau aus Radebeul.
Gelb-weißliches Fruchtfleisch, süß-aromatischer Geschmack: Die letzten diesjährigen Früchte der Grünen Hoyerswerder von Karla Pfau aus Radebeul. © Susanne Plecher

Er verschafft ihnen damit nicht nur ein wenig öffentliche Wahrnehmung, sondern hält sie tatsächlich am Leben: Denn jedes Mal kultivieren und verkaufen beteiligte Baumschulen 300 Jungbäume von der Obstsorte des Jahres – auf dass sie wieder auf sächsischen Wiesen, in Gärten und Obstbaumalleen wachsen.

„Diese alten regionalen Obstsorten wurden viele Jahrhunderte genutzt, sorgsam gehütet und vermehrt. Sie sind ebenso ein Kulturgut wie historische Bauwerke. Indem wir sie wieder nutzen, tragen wir zu ihrer Erhaltung und zur Sortenvielfalt bei“, sagt Vereinssprecherin Grit Striese.

Als "Sommerzukkerbirne" bekannt

Die Grüne Hoyerswerder ist wirklich alt. Entdeckt hatte sie Pfarrer Johann Friedrich Benade vor etwa 230 Jahren in Hoyerswerda. Bald wurde die Sorte als „Die grüne Sommerzukkerbirne von Hoyerswerda“ beschrieben. Im 19. Jahrhundert war sie weit über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitet und wurde danach zunehmend von anderen Sorten verdrängt. In Sachsen wurde sie noch bis nach dem Ersten Weltkrieg zum Anbau empfohlen.

„Aber heute sind in unserer Region keine Altbäume mehr bekannt“, sagte Grit Striese. Zumindest, bis Karla Pfau in der Redaktion anrief und sagte: „Ich glaube, so ein Baum wächst in unserem Garten.“ Der Vater der betagten Dame habe das Haus 1914 gebaut. Der Baum müsse mindestens so alt sein. „Weil sie an der Aschengrube stand, nennen wir sie auch jetzt noch einfach Aschengrubenbirne. Kommen Sie mal vorbei und schauen Sie sich an."

Ein schmaler Weg führt vom Tor am Haus vorbei zum hinteren Garten. Am Zaun zum Nachbarn: Ein Birnbaum, schlank, hoch, gut gepflegt, aber unspektakulär. Zumindest für Laien. Ralf Frenzel hingegen lächelt.

Der Hobbypomologe prüft den Wuchs, den Stamm, die Rinde, verweilt bei den Blättern. Er sucht vergeblich nach Früchten. Vor wenigen Tagen erst hat Karla Pfaus Familie den Baum abgeerntet. In einem Körbchen hält sie ihm die letzten drei hin.

Der Geschmack hat Pomologen Ralf Frenzel aus Dresden endgültig überzeugt: Karla Pfaus Birne ist die Grüne Hoyerswerder.
Der Geschmack hat Pomologen Ralf Frenzel aus Dresden endgültig überzeugt: Karla Pfaus Birne ist die Grüne Hoyerswerder. © Susanne Plecher

Was er da sieht, passt auf die Sortenbeschreibung. Grasgrün sind die Früchte, mit glatter, feinerer Schale und vielen Punkten, etwas gelblicher, je reifer sie sind. Auch die kreiselförmige Form stimmt. Doch die Größe weicht ab. Die Birnen sind zu klein. „Das sind die Kleinsten, sie hingen ganz unten im Schatten“, kontert Karla Pfau.

Frenzel nickt. Wer mehr Licht abbekommt, wird größer. So ist das in der Botanik. Doch für eine sichere Sortenbestimmung braucht man drei bis fünf große Sonnenfrüchte. „Sonst liegt man schnell falsch“, sagt Frenzel. Dennoch sprechen auch die Reifezeit – Ende August bis Anfang September – und die längliche Form der Blätter für die Grüne Hoyerswerder.

Birnenbäume können über 200 Jahre alt werden

Frenzel greift zum Messer und halbiert eine Birne. Gelblich-weiß schimmert das Fruchtfleisch. In kleinen Fächern liegen schwarzbraune Samen. „Aromatisch-süß, sehr saftig“, beschreibt der Sortenkundige den Geschmack. Jetzt ist er sich doch sicher. „Wir haben jahrelang nach so einem Baum gesucht – und ihn jetzt, denke ich, gefunden.“

110 Jahre ist Karla Pfaus Birnenbaum mindestens alt. Jedes Jahr trägt er zuverlässig Früchte, wenn der Frost die Blüte nicht ruiniert und kein Rost den Blättern zusetzt. Frenzel kennt Baumexemplare, die über 200 Jahre alt sind. Heutige Hochleistungssorten aus dem professionellen Anbau werden schon nach 15, spätestens 30 Jahren gerodet, so Udo Jentzsch vom Landesverband Sächsisches Obst.

„Es ist eine große Freude zu wissen, dass es in Radebeul noch eine Grüne Hoyerswerder gibt, die die Zeiten überdauert hat“, sagt Frenzel. Trotzdem macht er einen Vermerk im Kalender: Im August 2024 wird er rechtzeitig zur Ernte da sein, um die letzten Zweifel auszuschließen.

Sortenbestimmung durch Sachsens Pomologen:

Sachsens Pomologen bieten jetzt im Spätsommer und Herbst viele Möglichkeiten, bei denen sie Ihre alten Obstsorten bestimmen. Die Auswahl unten zeigt die nächsten Termine, alle sind hier zu finden:

  • 22. bis 23.9. 15-17 Uhr in Zeithain: Kleingartenverein "Elbfrieden“, Lindenallee 70.
  • 28.9. bis 1.10. , 10-17 Uhr in Bad Muskau: 11. Mitteleuropäische Pomologentage im Tourismuszentrum Muskauer Park.