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Flug annulliert: Familie aus Dresden erhält 1.600 Euro

Fluggastportale machen es leicht, einen Entschädigungsanspruch einzufordern. Ein Beispiel aus Dresden zeigt, dass das binnen Minuten zum Erfolg führen kann.

Von Susanne Plecher
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Fällt der Flug einfach aus, ist der Ärger groß. Aber er kann sich auszahlen.
Fällt der Flug einfach aus, ist der Ärger groß. Aber er kann sich auszahlen. © BREUEL-BILD/CNTV

Zwei Jahre hat die Familie von Thomas Blume (Name geändert) auf ihre Reise in die USA warten müssen. Immer wieder hatten coronabedingte Reisebeschränkungen die Pläne der Dresdner durchkreuzt. Als es Anfang August endlich losgehen sollte, wurden sie wieder ausgebremst.

„Wir waren so froh, dass es offensichtlich genug Bodenpersonal und keinen Streik gab, und haben uns einfach nur auf den Beginn unserer Reise gefreut“, sagt Blume. Er, seine Frau und die beiden Kinder hatten ihre Nackenhörnchen schon angelegt und sich Filme für den Transatlantikflug von Berlin nach Newark ausgesucht.

Doch das Flugzeug startete nicht. Ein Transponder war kaputt, das Ersatzteil musste in London beschafft werden – der Flug wurde abgesagt. Alle Fluggäste mussten wieder aussteigen. „Wir waren fassungslos“, sagt Blume.

Anspruch besteht bis zu drei Jahre rückwirkend

Vielen Fluggästen ging es in diesem Sommer ähnlich. Wegen des massiven Personalmangels in nahezu allen Bereichen und den Streiks des Boden- und Kabinenpersonals starteten Flüge zum Teil mit erheblichen Verspätungen oder wurden ganz gestrichen. Urlaubern, die davon betroffen waren, steht eine Entschädigung zu – und zwar rückwirkend bis zu drei Jahre. Bis Ende 2022 können also noch Entschädigungsansprüche für Flüge aus dem Jahr 2019 eingefordert werden.

Die EU-Fluggastrechteverordnung von 2004 regelt, dass Passagieren bei Flugverspätung, Flugausfall oder Überbuchung Betreuungsleistungen wie Essen, Getränke und gegebenenfalls eine Hotelübernachtung sowie eine Ersatzbeförderung oder eine Erstattung des Ticketpreises zustehen. Mitunter kommt noch eine Entschädigung bis zu 600 Euro pro Person hinzu.

Wie hoch diese ausfällt, hängt von der Flugstrecke und der Verspätungsdauer ab. Startet der Flieger, dessen Ziel näher liegt als 1.500 Kilometer, zum Beispiel zwei Stunden zu spät, muss die Airline ihren Passagieren „Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit“ anbieten, heißt es in der Verordnung. Geld gibt es in diesem Fall keines.

Entschädigung bis 600 Euro pro Passagier

Die finanzielle Entschädigung, eine sogenannte Ausgleichszahlung, wird erst bei Annullierung, Überbuchung oder Verspätung ab drei Stunden fällig. „Auch wenn die Drei-Stunden-Grenze erst dadurch überschritten wird, dass ein Anschlussflug verpasst wird“, erklärt Claudia Neumerkel, Reiserechtsexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen.

Allerdings bestünden solche Ansprüche nur, wenn die Fluggesellschaft ihren Sitz in der EU hat oder der Flug in der EU begann oder beginnen sollte. Wird er durch außergewöhnliche Umstände wie Unwetter oder Streiks verhindert, muss die Airline nicht zahlen. Am Donnerstag hatte der Europäische Gerichtshof zudem entschieden, dass ein Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung auch bei einem Flug mit Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines besteht.

Auch vorverlegte Flüge gelten mitunter als annulliert

Ausgleichleistungen werden pauschal gezahlt: Bei Flügen bis 1.500 Kilometer kann sie 250 Euro, bis 3.000 Kilometer 400 Euro und ab 3.500 Kilometern 600 Euro betragen. Annulliert die Airline den Flug, informiert ihre Passagiere aber mehr als sieben Tage vor dem geplanten Termin, gibt es kein Geld. Das gilt auch dann, wenn die Airline ihrem Fluggast eine Ersatzbeförderung per Flugzeug oder Bahn anbietet, mit der er weniger als eine Stunde vor oder weniger als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit am Zielort ankommen kann.

Werden Flüge um mehr als eine Stunde vorverlegt, gelten auch sie als annulliert. Das hat der Europäische Gerichtshof im vergangenen Dezember festgelegt. „Aus unserer Sicht ist es immer sinnvoll, den Anspruch geltend zu machen – sofern die Voraussetzungen passen“, sagt Claudia Neumerkel.

72 Prozent der Entschädigung geht an die Familie, 28 Prozent behält der Rechtsdienstleister ein.
72 Prozent der Entschädigung geht an die Familie, 28 Prozent behält der Rechtsdienstleister ein. © privat

Bei Thomas Blume passte alles: Annullierung erst am Abflugtag, Ersatzflug am Folgetag. Die Airline stellte zwar Hotel und Verpflegung, weil der Zielort weiter als 3.500 Kilometer entfernt lag, hatte die Familie aber zusätzlich Anspruch auf eine Entschädigung von 600 Euro – pro Person. Um ihn geltend zu machen, wandte sich Blume nach dem Urlaub an das Fluggastportal Flightright.

„Dort habe ich unsere Flugdaten in einen Entschädigungsrechner eingegeben. Innerhalb weniger Minuten wurde mir angezeigt, dass wir gute Chancen auf eine volle Entschädigung hätten“, sagt er. Blume lud die Bordkarten hoch und beauftragte das Unternehmen, sich seines Falles anzunehmen.

Fluggastportale nehmen nur erfolgsversprechende Fälle an

Flightright ist nicht der einzige Rechtsdienstleister, der sich um Entschädigungsansprüche von Fluggästen kümmert. Das Nachrichtenportal Spiegel Online hat für eine Recherche etwa 30 Unternehmen gezählt, die auf dem deutschen Markt aktiv sind. Flugrecht, Fairplane, EUFlight, EUClaim, Compensation2Go oder flug-verspaetet.de heißen die bekanntesten.

Alle prüfen die Ansprüche innerhalb weniger Minuten per Algorithmus „und bedienen sich dabei ausschließlich der Flug- und Wetterdaten“, sagt Neumerkel. Fälle, die eine geringe oder keine Erfolgsaussicht haben, werden von vornherein aussortiert.

Die Rechtsdienstleister arbeiten nach verschiedenen Modellen: Sofortentschädiger kaufen den Passagieren die Ansprüche ab, sofern diese eindeutig sind. „Der Kunde bekommt äußerst bequem und recht schnell Geld ausgezahlt – ein nicht zu unterschätzender Mehrwert“, so Neumerkel. Allerdings behalten die Unternehmen eine Provision von 30 bis 50 Prozent ein.

Fluggastportale, die nach dem Inkasso-Modell arbeiten, machen die Kundenforderungen gegenüber den Fluggesellschaften geltend. „Sie übernehmen dabei jegliche Kostenrisiken“, sagt die Verbraucherschützerin. Dafür würde im Erfolgsfall ein Anteil von 24 bis 39 Prozent der Entschädigungssumme als Vergütung fällig. Es kann Monate dauern, bis das Geld ausgezahlt wird.

Provision lässt sich umgehen

Flightright hielt Thomas Blume mit E-Mails auf dem Laufenden. 14 Tage, nachdem er das Unternehmen kontaktiert hatte, wurde die Entschädigungssumme auf seinem Konto verbucht. Abzüglich einer Erfolgsprovision von 28 Prozent und Umsatzsteuer. Von den 2.400 Euro Entschädigungsanspruch bekam die Familie 1.600 Euro ausgezahlt. „Das war total in Ordnung für uns. Mit dem Geld hatten wir ja eigentlich gar nicht gerechnet. Ich wollte mich nicht monatelang persönlich mit der Airline auseinandersetzen und bin froh, dass alles so schnell und reibungslos funktioniert hat“, sagt Blume.

Verbraucherzentrale und Stiftung Warentest raten, diesen Aufwand nicht zu scheuen und sich zunächst selbst an die jeweilige Fluggesellschaft zu wenden. In vielen Fällen zahle diese anstandslos und die Kunden erhielten den vollen Betrag ohne Abzug. Alternativ lässt sich auch die Smartphone-App „Flugärger“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen nutzen. Sie hilft, die Ansprüche gegen die Airline zu ermitteln. Blockt diese die Forderungen ab, können noch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr oder die Schlichter beim Bundesamt für Justiz eingeschaltet werden.