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Wer braucht heute noch eine Lebensversicherung?

Der Garantiezins sinkt, die Kosten sind hoch und intransparent: Kunden müssen grundlegend umdenken, sagt Verbraucherschützerin Sandra Klug. Im Sächsische.de-Gespräch gibt sie Tipps zu Alternativen.

Von Kornelia Noack
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Eine Lebensversicherung ist heute keine geeignete Altersvorsorge, meinen Verbraucherschützer.
Eine Lebensversicherung ist heute keine geeignete Altersvorsorge, meinen Verbraucherschützer. © 123rf

Seit Jahrzehnten gehören Lebensversicherungen zu den beliebtesten Altersvorsorgeprodukten der Deutschen. Mehr als 82 Millionen Verträge gab es im Jahr 2020 – fast so viele wie das Land Einwohner hat. Ein Viertel davon waren Kapitallebensversicherungen, die einen Versicherungsschutz für Hinterbliebene und einen Sparplan kombinieren. "Zu unflexibel und teuer", kritisiert Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Frau Klug, würden Sie jungen Leuten heutzutage noch empfehlen, eine Kapitallebensversicherung abzuschließen?

Auf keinen Fall. Viel zu hohe Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten machen die Versicherungen zu teuer. Die Rendite ist zu gering. Die Laufzeiten sind zu lang. Nicht selten halten jüngere Menschen ihre Verträge nicht durch, steigen früher aus und machen dadurch noch mehr Verlust.

Also keine geeignete Altersvorsorge?

Nein, aus unserer Sicht hat sich eine Lebensversicherung noch nie dafür geeignet.

Warum war das Modell so beliebt?

Es ließ sich gutes Geld mit diesen Verträgen verdienen, so standen sie im Fokus. Zudem gab es einen enormen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Vertrieb, die Produkte wurden häufig unreflektiert gekauft. Schon damals hätten wir davon abgeraten. Aus heutiger Sicht ist nicht jeder Vertrag schlecht. Ende der 90er- Jahre lag der Rechnungszins zum Beispiel bei vier Prozent, und die Erträge müssen nicht versteuert werden. Das klingt heute traumhaft.

Altverträge sollte man also behalten?

Pauschal lässt sich das so nicht sagen. In der Regel lohnt es sich nur, bei älteren Policen weiter einzuzahlen. insbesondere wenn sie vor 2004 abgeschlossen wurden. Wer unsicher ist, sollte seine Versicherung prüfen lassen. Die Verbraucherzentrale bietet eine Beratung dazu an. Auch wenn eine Kündigung oder eine Beitragsfreistellung nicht immer die beste Wahl sind, ist es manchmal doch besser, die Reißleine zu ziehen, als weiter Geld aus dem Fenster zu werfen.

Zu Beginn des Jahres wurde der Garantiezins von 0,9 auf 0,25 Prozent gesenkt. Was bedeutet das genau?

Das gilt für alle Kapitallebensversicherungen, die ab diesem Jahr neu abgeschlossen werden. Es heißt aber nicht, dass Kunden auf die 100 Euro, die sie beispielsweise monatlich einzahlen, auch 0,25 Prozent Zinsen bekommen – sondern lediglich auf den Sparanteil. Von den 100 Euro gehen jeden Monat ungefähr zehn bis 25 Prozent an Verwaltungskosten drauf. Etwa zehn Prozent beträgt der Risikotodesfallschutz. Und die Abschluss- und Vertriebskosten liegen im Branchendurchschnitt bei etwas über vier Prozent aller insgesamt einzuzahlender Beiträge. Die Verzinsung mit 0,25 Prozent heißt praktisch, dass Kunden am Ende weniger rausbekommen, als sie eingezahlt haben, weil die hohen Kosten alles auffressen.

Ist das der Grund, warum immer weniger Versicherer überhaupt noch Kapitallebensversicherungen anbieten?

Ja, sie sind für Kunden nicht attraktiv und können dadurch schlecht verkauft werden. Es werden überwiegend fondsgebundene Produkte verkauft.

Einige Anbieter, auch der Marktführer Allianz, wollen nicht mal mehr den vollen Erhalt der Beiträge garantieren, sondern nur 60 bis 90 Prozent. Was sagen Sie dazu?

Kunden möchten gern wissen, mit welcher Summe sie am Ende rechnen können, zumindest das Eingezahlte soll erhalten bleiben. Das führt jedoch dazu, dass die Versicherer sehr konservativ das Geld anlegen, denn sie müssen die Beträge ja garantieren. Dafür gibt es aktuell aber keine oder kaum Zinsen. Das Garantieversprechen wirkt daher wie eine Bremse, die uns Sicherheit nur vorgaukelt. Unserer Meinung nach haben Kapitallebensversicherungen mit Garantiezusagen ausgedient.

Was ist die Alternative?

Bevor jemand mit dem Kapitalaufbau beginnt, sollte er erst einmal alle existenziellen Risiken versichern. Dazu gehört unbedingt die private Haftpflichtversicherung. Das Girokonto sollte nicht im Minus sein, und zwei, drei Monatsgehälter sollten auf einem Tagesgeldkonto liegen. Dann ist die Frage: Wie will ich mein Geld anlegen? Der Wunsch, kurz- oder mittelfristig eine Immobilie zu finanzieren, ist etwas anderes als das Ziel, erst zur Rente das Kapital zu nutzen.

Worauf kommt es dabei an?

Wichtig ist, sich von dem Gedanken zu lösen, dass Altersvorsorge immer eine Rente sein muss, die aufs Konto kommt. Altersvorsorge ist jede Art von Geldanlage. Wenn jemand noch genug Zeit hat, macht ein Fondssparplan Sinn, genauer ein ETF-Sparplan. Er bringt langfristig eine hohe Rendite, und Anleger können flexibel agieren.

Was ist dann aber mit der Todesfallabsicherung, wie sie eine Kapitallebensversicherung bietet?

Die sollte man separat abschließen. Nehmen wir an, eine Familie mit Kindern finanziert eine Immobilie. Dann macht es auf jeden Fall Sinn, eine Risikolebensversicherung zu haben. Das ist wie mit einer Kfz- oder Haftpflichtversicherung. Man zahlt die Prämie, und im besten Fall tritt der Schadensfall – in dem Fall der Tod – nie ein. Wenn aber jemand sterben sollte, ist die Familie abgesichert. Bei einer Kapitallebensversicherung dagegen zahlt man zu den Risikobeiträgen noch viel Geld in einen Spartopf ein, der schlecht verzinst wird. Das bringt gar nichts. Sinnvoller ist es, eine separate Risikolebensversicherung abzuschließen und parallel bei einer Bank einen ETF-Sparplan.

Wie viel lässt sich damit sparen?

Gehen wir von einer Versicherungs- und Ansparsumme von 100.000 Euro aus. Bei einer günstigen Risikolebensversicherung zahlt man bei einer Laufzeit von 30 Jahren dafür in etwa zehn Euro im Monat. Beim ETF-Sparplan mit im Schnitt sechs Prozent Rendite wäre man mit 100 Euro pro Monat dabei, bei vier Prozent mit 150 Euro. Zusammen also 110 beziehungsweise 160 Euro. Da bei einer Kapitallebensversicherung Geld angespart wird, ist der Beitrag hier natürlich deutlich höher. Beim Zins von 0,25 Prozent muss man mit rund 270 Euro reiner Sparrate monatlich rechnen. Und da sind die gesamten Kosten noch nicht mal eingerechnet. Der Vergleich hinkt zwar, er zeigt aber die enormen Unterschiede.

Sandra Klug leitet bei der Verbraucherzentrale Hamburg den Bereich für Geldanlagen, Altersvorsorge und Versicherungen.
Sandra Klug leitet bei der Verbraucherzentrale Hamburg den Bereich für Geldanlagen, Altersvorsorge und Versicherungen. © vzhh

Viele Versicherer gehen dazu über, fondsgebundene Lebensversicherungen zu verkaufen. Was halten Sie davon?

Dabei handelt es sich um einen Fondssparplan im Versicherungsmantel. Das eingezahlte Geld wird nach Abzug der Kosten zum Beispiel in Aktien-, Renten- oder Immobilienfonds investiert, auch teure Dachfondskonzepte sehen wir immer wieder. Ausgezahlt wird, was der Fonds erwirtschaftet hat. Eine Mindestauszahlung gibt es meistens nicht. Das ist natürlich mit einem hohen Risiko verbunden, was der Kunde ganz allein trägt. Hinzu kommt, dass Versicherer erfahrungsgemäß nicht immer die besten Fonds im Angebot haben. Aber sie streichen die Vertriebskosten ein. Für sie rechnet sich das. Wir raten dringend davon ab und empfehlen, das Geld lieber direkt in einen Fondssparplan einzuzahlen.

In der Kritik stehen Lebensversicherungen auch schon lange, weil die jährlichen Standmitteilungen zu wünschen übrig lassen. Hat sich das gebessert?

Der Gesetzgeber hat 2018 mehr Transparenz vorgeschrieben, damit Kunden wenigstens einmal im Jahr selbst prüfen können: Möchte ich meinen Vertrag so weiterführen wie bisher? Bei einigen Versicherungen fehlen aber nach wie vor wichtige Daten, zum Beispiel die Ablaufleistung bei Beitragsfreistellung. Was kommt am Ende raus, wenn ich nicht weiter einzahle, aber den Vertrag nicht kündige? Es darf eigentlich nicht sein, dass es nach vier Jahren immer noch an der Umsetzung des Gesetzes hapert.

Was gehört alles in die Jahresinfo?

Laut Gesetz muss über die garantierte Versicherungsleistung, den aktuellen Rückkaufswert und die bereits garantierten Überschüsse informiert werden sowie über die Ablaufleistung bei Beitragsfreistellung. Bei Versicherungen, die ab Juli 2018 abgeschlossen wurden, muss zusätzlich die bisher eingezahlte Prämie aufgelistet werden. Bei älteren Verträgen kommt es oft vor, dass die Summe der bisherigen Einzahlungen fehlt. Auf Nachfrage muss die Versicherung diese aber nennen.

Sie werfen dem Versicherer R+V und der Konzerntochter Condor vor, ihren Kunden sogenannte Bewertungsreserven vorenthalten zu haben. Was steckt dahinter?

Zahlen Kunden in ihre Lebensversicherung ein, legt der Versicherer das Geld in Immobilien, Aktien oder Anleihen an. Kündigt jemand seinen Vertrag, ist ein Teil seines Geldes also gebunden. In dem Fall entstehen sogenannte Bewertungsreserven, die nach einer ganz bestimmten Formel berechnet werden und an denen die Versicherten zu beteiligen sind. R+V und Condor haben bereits im vergangenen Jahr in Schreiben an ihre Kunden eingeräumt, dass es fehlerhafte Berechnungen gegeben hat. Das heißt, die Konzerne haben zu wenig ausgezahlt. Bei einigen Kunden fehlte ein vierstelliger Betrag auf dem Konto, der mittlerweile nachgezahlt wurde.

Betrifft das auch andere Anbieter?

Bisher haben wir noch nichts von Nachzahlungen anderer Versicherer erfahren. Aber die Prüfung eines Vertrags kann durchaus Monate dauern.

Was raten Sie Versicherten?

Die Beteiligung an den Bewertungsreserven wurde 2014 neu geregelt. Daher sollten Kunden, deren Vertrag ab 2014 ausgelaufen ist oder gekündigt wurde, ihren Versicherer auffordern, die korrekte Berechnung der Überschussbeteiligung und Bewertungsreserven zu prüfen und etwaige Nachzahlungen zuzüglich Verzugszinsen auszuzahlen. Die Verbraucherzentrale bietet dafür einen Musterbrief an.