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Die Windelfrei-Methode: „Mein Baby zeigt, wenn es muss“

Immer mehr Eltern praktizieren die Windelfrei-Methode. Eine Familie aus Chemnitz erzählt, welche Erfahrungen sie damit gemacht hat.

Von Stephanie Wesely
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Ja, fein gemacht, Ronja! Maxi Templin aus Chemnitz praktiziert die Windelfrei-Methode. Das Abhalten über Töpfchen, Toilette oder Waschbecken gehört dazu.
Ja, fein gemacht, Ronja! Maxi Templin aus Chemnitz praktiziert die Windelfrei-Methode. Das Abhalten über Töpfchen, Toilette oder Waschbecken gehört dazu. © Toni Söll

Wenn Ronja beim Stillen unruhig ist und immer wieder absetzt, weiß Mutter Maxi aus Chemnitz, dass ihre Kleine mal muss: „Dann halte ich sie über dem Töpfchen oder auch schnell über dem Waschbecken ab. Wenn sie sich erleichtert hat, trinkt sie ruhig zu Ende.“ Auch ein Quengeln in der Trage oder das plötzliche Schreien sind für sie ein Zeichen, dass ein großes oder kleines Geschäft ansteht.

Ronja ist acht Monate alt und das zweite Kind der Familie, das nach dem Windelfrei-Prinzip aufwächst. Wobei die Bezeichnung nicht ganz korrekt ist, denn die Kinder tragen trotzdem Windeln – Stoffwindeln. Sie werden aber abgehalten, wenn sie das durch Signale anzeigen. Die Windel diene nur der Sicherheit, falls es das Baby doch mal vergisst „Bescheid zu sagen“, wie Maxi es nennt. Gerade jetzt entdecke Ronja ihre Umwelt ganz intensiv. Da könne das Pullern schon mal zur Nebensache werden.

Tausende Wegwerfwindeln gespart

Eine Hose mit abknöpfbarem Vorderteil erleichtert das Abhalten.
Eine Hose mit abknöpfbarem Vorderteil erleichtert das Abhalten. © kabea.de

Die sogenannte Windelfrei-Bewegung findet immer mehr Anhänger – nicht allein aus Gründen der Müllvermeidung. Bis ein Kind trocken ist, werden mehrere Tausend Wegwerfwindeln verbraucht. Das ist für viele auch eine Kostenfrage.

„Vorrangig wollen die Eltern aber die Signale ihrer Babys besser verstehen, mit ihnen kommunizieren“, sagt Hebamme Friederike Schellhorn, die im Geburtshaus Chemnitz dazu Workshops anbietet. Auch eine Gruppe interessierter Eltern trifft sich dort regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Aus deren Sicht sei es Babys angeboren, dass sie sich melden, wenn sie mal müssen. „Im engen Körperkontakt mit Mutter oder Vater wollen sie sich nicht vollmachen. Deshalb könnten sie den Druck sogar kurze Zeit anhalten, ehe sie loslassen müssen“, sagt Friederike Schellhorn. Sie verlernen das aber auch wieder, wenn ihren Zeichen nicht nachgegeben wird.

Stulpen halten die Beinchen der Kinder schön warm und sind oft kostengünstiger als Spezialkleidung.
Stulpen halten die Beinchen der Kinder schön warm und sind oft kostengünstiger als Spezialkleidung. © kiddylegs.de

Für Mutter Maxi gibt es auch feste Zeitpunkte, an denen sie ihre Tochter abhält: „Nach dem Stillen, wenn ich sie aus der Trage nehme und nach dem Aufwachen.“ Selbst nachts melde sich Ronja manchmal. Dann halte sie sie schnell über dem Töpfchen ab und die Kleine schlafe anschließend friedlich weiter. „Doch das ist schon der Idealfall. Es kommt auch vor, dass ich es nicht höre oder die Kleine nicht Bescheid gibt. Für mich ist das kein Problem. Dann wird die Stoffwindel rasch gewechselt, und fertig.“

Damit das Abhalten schneller geht, gibt es spezielle Windelfrei-Kleidungsstücke, zum Beispiel Hosen mit knöpfbarem Zwickelteil. Doch die seien meist teurer als normale Kleidungsstücke. Maxi ziehe ihrer Tochter deshalb Stulpen an, die bis zum Beinabschluss des Bodys reichen und schön warm halten. „Der Body ist dann schnell im Zwickelteil aufgeknöpft“, sagt sie. Ihre Kleine habe das Abhalten schon gut drauf. „Wenn sie Waschbecken oder Töpfchen sieht, drückt sie richtig.“ Manche Eltern zeigen dem Kind auch durch bestimmte Geräusche – ein Zischen zum Beispiel – an, dass es sich erleichtern kann. „Das lernen die Kleinen schnell“, sagt die Hebamme.

Babys ohne Wegwerfwindeln, das ist trotzdem für viele heute noch unvorstellbar. „Es wird uns in unserer Gesellschaft vermittelt, dass das unbedingt nötig ist“, so die Chemnitzer Hebamme. Dass die großen und kleinen Geschäfte dort immer drin landen, ist aber noch gar nicht so lange selbstverständlich – erst seit den 1970er-Jahren gibt es Wegwerfwindeln in Deutschland, im Osten kamen sie noch später auf.

Die Zeichen des Babys richtig deuten

Um die Zeichen des Babys zu erkennen, braucht es intensiven Kontakt und genaues Beobachten. Die Zeit haben nicht alle Eltern, vor allem bei mehreren Kindern. Vor allem in Doppelverdiener-Haushalten, wenn Kinder zur Tagesmutter oder in die Kita gehen, sei das nicht immer umsetzbar. Eltern müssten sich deshalb nicht schlecht fühlen. Windelfrei sei ein Angebot, kein Dogma, so Friederike Schellorn.

Ein Silikontöpfchen aus weichem, biegsamem Material ermöglicht das Abhalten auch während des Stillens.
Ein Silikontöpfchen aus weichem, biegsamem Material ermöglicht das Abhalten auch während des Stillens. © kabea.de

Sie empfiehlt es aber vor allem bei empfindlicher Haut. „In der Wegwerfwindel entsteht immer eine feuchtwarme Kammer, das führt zu Hautreizungen. Viele Wickelkinder haben deshalb einen wunden Po oder eine Windeldermatitis“, erklärt sie

Kita muss keine Hürde sein

Als Maxis Sohn mit einem Jahr in die Kita ging, sei er schon soweit gewesen, dass er allein aufs Töpfchen ging und keine Windel mehr brauchte. Die Kita-Erzieherin wusste über das Windelfrei-Prinzip Bescheid und unterstützte den Kleinen darin, erzählt sie. Das erhoffe sie sich auch für Ronja, doch bis dahin sei noch viel Zeit.

Jede Familie hat ihren eigenen optimalen Zeitpunkt, um mit der Windelfrei-Methode zu beginnen. „Unmittelbar nach der Geburt praktizieren das die wenigsten. Da muss erstmal das Stillen gut in Gang kommen, das ist schon Aufgabe genug“, sagt die Hebamme. Die meisten starten etwa vier bis sechs Wochen nach der Geburt, beim zweiten Kind auch früher. Länger als bis zum sechsten Monat sollte man aber nicht damit warten, rät sie. Dann werde es viel schwieriger, weil sich das Baby bereits daran gewöhnt habe, ohne Bescheid zu sagen, in die Windel zu machen.

Doch es gebe auch Kinder, die sich nicht abhalten lassen wollen. Das sei kein Grund, sich unter Druck zu setzen. Dann warte man eben, bis die Kinder auf dem Töpfchen oder sogar auf der Toilette sitzen können. Einmal windelfrei heiße aber nicht immer windelfrei, denn Rückfälle könnten auftreten, wenn die Kinder einen Entwicklungsschub durchmachten oder sich etwas in ihrem Umfeld geändert habe. „Wie sensibel Kinder auf ihr Umfeld reagieren, zeigt sich nicht zuletzt daran“, so die Hebamme.