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Immer spektakulärer, immer teurer: Wenn Kindergeburtstage ausarten

Topfschlagen war gestern. Eltern versuchen, sich bei Geburtstagen zu übertreffen und zahlen für die Party oft Hunderte Euro, wie Beispiele aus Sachsen zeigen.

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Kindergeburtstage scheinen immer mehr nach dem Motto gefeiert zu werden: höher, weiter, schöner. Das macht Eltern Druck.
Kindergeburtstage scheinen immer mehr nach dem Motto gefeiert zu werden: höher, weiter, schöner. Das macht Eltern Druck. © Leander Baerenz/Westend61/dpa

Blinde Kuh, Reise nach Jerusalem, Stopptanz, dazu ein Kuchen und abends Pommes mit Würstchen. So oder so ähnlich wurden lange Zeit Kindergeburtstage gefeiert. Ein netter Nachmittag, den man mit Freunden und Familie zu Hause verbrachte und der für die Eltern preislich im Rahmen lag. Doch diese Zeiten sind vorbei. Denn die Ansprüche an Kindergeburtstage sind deutlich gestiegen.

Die Partys sollen besonders sein, ausgefallen, und sich am besten von denen anderer Kinder unterscheiden. Kinder laden zu Dino-, Piraten-, oder Meerjungfraupartys, bei denen von der Einladungskarte über Deko und Torte bis zur Überraschungstüte für die Gäste alles aufeinander abgestimmt ist. Eltern buchen Animateure fürs Kinderschminken und Luftballonmodellieren –- oder gleich eine Agentur für das Komplettangebot mit Hüpfburg und Zuckerwatte.

Daneben steht ein schier unendliches Angebot, den Ehrentag der Kleinen außerhalb zu feiern. Galten Geburtstagsausflüge auf die Bowlingbahn oder zur Fast-Food-Filiale früher noch als außergewöhnlich, sind Feste in Indoorspielplatz, Klettergarten, Fußballhalle oder Trampolinpark mittlerweile Standard. Die Nachfrage sei konstant hoch, sagt etwa eine Sprecherin der Jump House-Gruppe, die seit April 2023 auch in Chemnitz eine Trampolinhalle betreibt. „Seitdem haben bei uns über 200 Geburtstagspartys stattgefunden“, sagt Linda Best-Leuffen.

Kinderpartys als Spiegel der Gesellschaft

Durchschnittlich nehmen acht Kinder daran teil. Für die Eltern des einladenden Geburtstagskindes wird das schnell eine teure Angelegenheit. Denn nur das Basispaket mit 90 Minuten Sprungzeit, Getränkeflatrate, Pizza oder Muffins kostet dort ab 32,90 Euro – pro Kind. Das All-inclusive-Paket mit längerer Springzeit und mehr Essen liegt bei 50,90 Euro. Wird der Spaß für acht Kinder gebucht, zahlen die Eltern 407,20 Euro.

Günstiger wird es im Freizeitpark Oskarshausen in Freital vor den Toren Dresdens. Dort stehen drei Geburtstagspakete zur Auswahl. Die Basisvariante mit Geburtstagstisch, Überraschung für das Geburtstagskind, Nutzung der Fahrgeschäfte, buntem Kuchen und Donuts kostet 19,90 Euro pro Kind. Bucht man das Abendessen gleich dazu – wahlweise Chicken Nuggets mit Pommes oder Nudeln mit Tomatensoße– zahlt man pro Kind 27,90 Euro. Hochgerechnet auf die durchschnittliche Teilnehmerzahl von acht Kindern summiert sich der Ausflug auf 223,20 Euro.

Doch, warum sind viele Eltern dazu bereit, dreistellige Beträge für die Geburtstagspartys ihrer Kinder zu zahlen? Feiern diene den Menschen seit jeher dazu, sich bestimmter Dinge zu versichern, sagt der Soziologe Paul Eisewicht. Standen dabei etwa im Mittelalter Heilige im Fokus, gewann mit der Neuzeit der Mensch als eigenständiges Individuum an Sichtbarkeit.

Partyplanung stresst Eltern

„Heutzutage haben Kinder eine sehr hohe Wertigkeit“, sagt Eisewicht. „Man bringt dem Kind viel mehr Aufmerksamkeit entgegen, will ihm alle Chancen bieten – und eben auch besondere Erlebnisse.“

Die Volkskundlerin Gabriele Dafft, die am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte über Alltagskultur forscht, bezeichnet Kindergeburtstage auch als „Spiegel der Gesellschaft“. Das Alleinstellungsmerkmal einer Feier sei Ausdruck von Individualität, die in der Gesellschaft einen großen Wert habe. „Etwas Individuelles zu machen wird anerkannt“, so Dafft. Angebote, die helfen, das umzusetzen, seien für Eltern oft eine Entlastung.

Die Planung der Geburtstage ihrer zwei Kinder stresse sie jedes Mal total, sagt etwa Steffi. „Mein Mann und ich arbeiten beide und haben eh schon genug zu tun.“ In ihrer Stadtwohnung sei zudem wenig Platz. Außerdem funktionierten Klassiker wie Sackhüpfen, Dosenwerfen und Schnitzeljagd ab einem gewissen Alter nicht mehr. „Die Erwartungshaltung ist da recht hoch mittlerweile. Mit der Möglichkeit, woanders zu feiern, wird etwas Druck genommen.“

Den Druck beobachtet auch Sozialpädagogin Dana Mundt von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Das Phänomen „immer größer und toller“ schwinge in vielen Anfragen mit, sagt sie. Soziale Medien wie Instagram, wo Eltern scheinbar den perfekten Kindergeburtstag wuppten, verstärkten den Druck. „Es besteht die Sorge, dass das eigene Kind, das etwa bei einer Trampolin-Party zu Gast war, vor seinen Freunden schlechter dasteht, wenn man nur so eine Topfschlag-Party veranstaltet“, sagt Dana Mundt. Dabei spiele auch die Angst eine Rolle, als schlechte Mutter dazustehen.

Geburtstagsfeier kann Kinder enttäuschen

Die Psychologin und Marktforscherin Birgit Langebartels vom Kölner Rheingold-Institut spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Dramatisierung“ von Kindergeburtstagen. Eltern versuchten heute, so viel Kontrolle wie möglich über die kindliche Entwicklung zu haben, seien dabei aber zunehmend verunsichert und von Selbstzweifeln geplagt.

Bei Geburtstagen zeige sich das mitunter extrem. „Alles soll perfekt sein.“ Das führe dann nicht selten zu einer Überfrachtung. Und zu Enttäuschungen. „Wenn es dann anders läuft als geplant oder ein Kind nicht so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat, droht es schnell zu kippen“, sagt die Psychologin.

Der Erziehungswissenschaftler Ludger Pesch von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin gibt zu bedenken, dass bei einem Geburtstag voller Attraktionen die Idee des Festes schnell in den Hintergrund geraten könne. „Es kann passieren, dass das Event wichtiger wird als der Inhalt.“ Die Kinder könnten sich vor lauter Zerstreuung dann gar nicht einlassen darauf, worum es eigentlich gehen sollte: „Gemeinsam zu feiern.“

Eltern und Kind sollten gemeinsam planen

Verteufeln sollte man die Entwicklung nach Ansicht von Eisewicht aber nicht. „Erst mal ist es ja eine Chance, den Kindern etwas zu bieten, was früher nicht möglich war.“ Problematisch werde es, wenn das Ganze zu einer Spirale werde, bei der nach immer tolleren Erlebnissen gesucht werde. „Dann kommt es zur Reizabnutzung, die immer wieder durch eine weitere Steigerung kompensiert werden muss.“

Die Erziehungsexperten raten Eltern, sich weniger verrückt machen zu lassen. Und gemeinsam und in Ruhe mit dem Kind zu überlegen, wie es seinen Geburtstag feiern möchte, mit wem – und was möglich ist. „Damit sich die Erwartungshaltung nicht zu hochschraubt“, sagt Dana Mundt.

Grundsätzlich seien Kindergeburtstage eine gute Sache, so Pesch. Sie seien ein Baustein des Zusammenlebens. „Ein Geburtstag ist ein herausgehobener Moment. Ihn zu feiern, ist Ausdruck von Wertschätzung gegenüber dem Kind.“ (dpa mit rnw/sp)