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Beeinflusst die künstliche Befruchtung das Familienleben?

Kinderwunschbehandlungen belasten Paare stark. Jetzt wollen Wissenschaftler auch unter sächsischen Familien herausfinden, ob das nach der Geburt anhält.

Von Susanne Plecher
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Ein lange ersehnter Moment.
Ein lange ersehnter Moment. © dpa

Exakt 1.018-mal führte eine künstliche Befruchtung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Zeitraum 2018 bis 2021 zum ersehnten Ziel: der Geburt eines Kindes. 5.886 Paare hatten sich in dieser Zeit der psychisch und körperlich anstrengenden Behandlung unterzogen. Das zeigen Daten des Deutschen IVF-Registers. Doch sie zeigen nicht, wie sehr Mütter und Väter auch nach geglückter Behandlung noch unter dem Stress leiden – oder inwieweit sich ihre Erziehung von der anderen Eltern unterscheidet.

Forscher der Uni Zürich suchen für eine Studie auch in Sachsen nach Familien, die ihre Erfahrungen mit ihnen teilen. Worum es geht, erklärt Psychologin Julia Jeannine Schmid im Gespräch mit saechsische.de.

Frau Schmid, warum greifen Sie das Thema in einer Studie auf?

Weil Unfruchtbarkeit und ihre Behandlung für die betroffenen Paare sehr belastend ist. Uns interessiert, Ob diese Belastung und der Stress auch später noch einen Einfluss auf die Familie haben, wenn die Behandlung erfolgreich war und ein Kind auf die Welt gekommen ist.

Was vermuten Sie?

Wir haben uns die Studienlage angeschaut. Es bestehen eher weniger Unterschiede zwischen Familien, die ein Kind mithilfe der künstlichen Befruchtung und jenen, die Kinder auf natürliche Weise bekommen haben. Aber viele dieser Studien sind älter, nicht eindeutig, die Qualität ist nicht gut. Was sie zeigen, sind eher Unterschiede in der Elternschaft. Inwiefern? Zum Beispiel, dass die Mutter-Kind-Beziehung häufig als positiv dargestellt wird, dass die Mütter eine stärkere Bindung zu ihrem künstlich gezeugten Kind verspüren oder dass Mütter ihre Kinder als verletzlicher wahrnehmen und dementsprechend eher eine größere Fürsorge zeigen.

Julia Jeannine Schmid ist Psychologin an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Psychologische Aspekte von assistierter Reproduktion und Social Egg Freezing.
Julia Jeannine Schmid ist Psychologin an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Psychologische Aspekte von assistierter Reproduktion und Social Egg Freezing. © Uni Zürich

Heißt „größere Fürsorge“, dass diese Frauen ihre Kinder am liebsten in Watte packen würden?

Das ist schwierig zu sagen. Aber es wurde tatsächlich mehrfach festgestellt, dass die Mütter sehr fürsorglich sind. Es ist aber nicht klar, ob das noch positiv bewertet werden kann oder schon ins Negative geht.

Was wäre eine negative Folge?

Generell kann man sagen, dass die Kinder, wenn die Mütter sehr ängstlich sind, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine Angststörung entwickeln können.

Zeichnen sich bei den Vätern künstlich gezeugter Kinder ähnliche Tendenzen ab?

Generell gibt es zu den Vätern weniger Forschung, auch weil sie an Studien weniger teilnehmen. Die Vater-Kind-Beziehung scheint aber genauso zu sein wie bei Vätern, deren Kinder auf natürliche Weise gezeugt worden sind.

Wie finden Sie das denn heraus? Eltern werden doch am meisten von sich behaupten, gut für ihre Kinder zu sorgen.

Indem wir uns auf Familien konzentrieren, haben die zwei Kinder – ein künstlich gezeugtes und ein auf natürliche Weise gezeugtes. Diese vergleichen wir mit Familien, die beide Kinder auf natürliche Weise bekommen haben.

Ist das nicht eher eine Seltenheit?

Der Anteil ist tatsächlich höher, als man vermuten würde. Eine Metaanalyse mit 5.000 Müttern hat gezeigt, dass er bei 20 Prozent der Frauen liegt, die, nachdem sie durch eine künstliche Befruchtung ein Kind bekommen haben, auf natürlichem Weg noch einmal schwanger geworden sind. Häufig passiert das in einem relativ kurzen Zeitraum. Die Altersabstände zwischen den Kindern sind oft sehr klein.

Erwarten Sie mit zunehmendem Alter der Kinder eine Angleichung der älteren Fürsorge?

Ja, das erwarte ich.

Wo finden Eltern Hilfsmöglichkeiten, wenn ihr Stresslevel hoch ist?

Wir empfehlen Aufklärung und psychotherapeutische Begleitung zum Beispiel durch Coachings.

Wie lässt sich Stress wissenschaftlich nachweisen? Er ist doch subjektiv empfunden.

Einerseits mit Fragebögen. Anderseits mit Fingernagel- und Speichelproben der Familien. Wir messen darin Hormone wie Cortisol, anhand derer man sehen kann, wie die Familienmitglieder mit Stress umgehen. In den Nägeln kumulieren sie über Wochen. Sie zeigen, wie hoch der Spiegel über einen längeren Zeitraum war.

Weitere Infos und den Teilnahmelink zur Studie (Onlinefragebogen und Probenentnahme) finden Sie hier .