SZ + Sachsen
Merken

Boom bei Schönheits-OPs: "Spritze, Spritze, Spritze, Geld, Geld, Geld"

Der Markt für künstliche Schönheit wächst rasant. Deutsche lassen sich am dritthäufigsten spritzen, OPs nehmen zu. Auf Antwortsuche in OP-Saal und auf Instagram.

Von Franziska Klemenz
 12 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Philipp Triemer spritzt einer Patientin Botox
Philipp Triemer spritzt einer Patientin Botox © Jürgen Lösel

Ein elektrisches Zischen, es riecht nach Grill. Haut weicht, darunter prangt rotes Fleisch aus einem Schlitz. Stefan Passin legt das Laser-Skalpell zur Seite, das geschnitten und verödet hat. „Das hier ist ein gutes Beispiel für die Natürlichkeit in Dresden“, sagt er.

Ein Donnerstagmorgen im Januar, beleuchtete A-Körbchen-Brüste ragen aus einer blauen OP-Decke wie eine Sonneninsel aus dem Ozean. Passin steckt seine Gummihandschuh-Finger in den Schlitz unter der Brust. Mit einer Pinzette schiebt er Gewebe beiseite, eine Assistentin tupft ab.

Passin betreibt eine Praxis für plastisch-ästhetische Chirurgie am Schillerplatz. In den großzügigen Räumen mit Dielenböden und bunten Gemälden berät und behandelt er. An Operationstagen mietet er sich in einen Saal im Dresdner Westen ein.

Stefan Passin vergrößert, verkleinert und strafft regelmäßig Brüste. Hier verwandelt er ein A- in ein B-Körbchen.
Stefan Passin vergrößert, verkleinert und strafft regelmäßig Brüste. Hier verwandelt er ein A- in ein B-Körbchen. © Jürgen Lösel

„Wir sind in Sachsen sehr auf Natürlichkeit bedacht. In Düsseldorf oder München sind die Implantate im Schnitt 100 Milliliter größer.“ Seine Patientinnen wollen meist 250 bis 350 Milliliter große Implantate. „Das macht es einfacher, als wenn wir 400er-Implantate in eine zierliche Patientin reinwürgen müssten.“

"Wenn du beim Bachelor ohne Dekolleté aus der Limousine steigst, kann du gleich wieder einsteigen"

Die Patientin auf dem OP-Tisch will ein pralles B-Körbchen. 285 Milliliter Silikon. Eine Assistentin öffnet ein violettes Päckchen mit Schnörkeln, greift eine Plastikschale, die wie eine überdimensionierte Kontaktlinsen-Packung aussieht.

Das Implantat schwimmt in einer antibiotischen Flüssigkeit. Die Silikon-Halbkugel fällt in eine Plastikhülle, die an eine Spritztüte für Torten erinnert. Konditorinnen malen Kringel, Passin spritzt ein Implantat in die Brust. Er näht den Schlitz zu, schneidet Fäden ab.

Im Radio läuft „Prisoner“ von Miley Cyrus und Dua Lipa, die Griffe wirken routiniert und unaufgeregt. Assistentinnen plaudern, während sie blutgetränkte Tupfer in den Müll werfen. Schönheitsoperationen sind Routine. Der Trend geht zu immer auffälligeren Ergebnissen.

„Wenn du beim Bachelor im Fernsehen ohne Dekolleté aus der Limousine steigst, kannst du auf der anderen Seite gleich wieder einsteigen“, sagt Passin.

90 Prozent Patientinnen Frauen, 80 Prozent Ärzte Männer

In der Statistik der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie führen Brustvergrößerungen 2022 bei jüngeren Patientinnen das Ranking an. Von den 18- bis 40-Jährigen hat sich rund ein Fünftel Implantate einsetzen lassen. Viele lassen sich ihre Brüste straffen, mit Eigenfett vergrößern oder verkleinern.

Dr. Stefan Passin, Schönheitschirurg in seiner Praxis am Schillerplatz, zeigt ein Brustimplantat
Dr. Stefan Passin, Schönheitschirurg in seiner Praxis am Schillerplatz, zeigt ein Brustimplantat © Jürgen Lösel

„Manche leiden richtig, kriegen Nacken- und Rückenschmerzen vom Gewicht“, sagt Passin. Neulich hat er pro Seite 1,7 Kilo abgenommen. „Und die Brüste waren immer noch riesig.“ Rund 90 Prozent der Patientinnen in Deutschland waren 2022 Frauen. Gut 80 Prozent der Ärzte Männer.

Stefan Passin hat seine Praxis 2018 eröffnet. „Ich wollte immer was Chirurgisches machen“, sagt der 42-Jährige. Es macht Spaß. Auch wenn man ab und zu spezielle Patienten hat, die einem den letzten Nerv rauben mit falschen Erwartungshaltungen.“

"Sieben Liter Fett absaugen macht kein glattes Bein"

Von Fett, zum Beispiel. „Sieben Liter absaugen macht kein glattes Bein. Das bleibt wellig. Menschen haben total falsche Vorstellungen, was wir mit unserem Handwerk leisten können.“

In der Statistik der internationalen Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie stieg die Anzahl von Eingriffen in vier Jahren um ein Drittel. 2021 gab es global gut 12,8 Millionen Operationen, 17,5 Millionen non-operative Eingriffe. Beide haben zugenommen, Letztere gut 54 Prozent.

Auf dem Ranking der Injektionen hat Deutschland sich mit mehr als einer halben Million Behandlungen 2021 auf Platz drei hochgespritzt, nur in den USA und Brasilien haben sich mehr Menschen Botolinumtoxin, Hyaluron oder Calcium injizieren lassen.

Das Risiko von Botolinumtoxin, besser bekannt als Botox, schätzt die Europäische Arzneimittelbehörde geringer ein als das von Aspirin. Stefan Passin widerspricht Gerüchten wie einer gesteigerten Demenz-Wahrscheinlichkeit: „Würde Botox dement machen, wüssten manche Patienten ihren Namen nicht mehr.“

Massenhaft neue Kundinnen dank Corona-Pandemie

Philipp Triemer lebt von non-operativen Eingriffen. Zu Beginn der Pandemie bangte er, dass Patienten ausbleiben könnten. „Ich bediene einen Luxussektor“, sagt der gelernte Narkosearzt, der im edleren Teil der Dresdner Neustadt sitzt. „Wenn man spart, dann an Luxus.“ Es kam anders. „Der Fokus hat sich viel auf das Selbst gelegt. Nicht zuletzt, weil viele im Homeoffice waren.“

In Videokonferenzen sahen Menschen sich ständig selbst. Oft von unten, unvorteilhaft belichtet. „Das hat Bedürfnisse geweckt.“ Für Reisen oder Konzerte konnten Leute ihr Geld nicht ausgeben. „Gewaltig zugenommen haben Behandlungen der Zornesfalte. Dann der Doppelkinnregion. Und die Augenregion ist noch mehr in den Fokus gerutscht.“ Auch weil Masken Nase und Mund verdeckten.

Mit Ästhetik habe Triemer schon immer arbeiten wollen, begann den Facharzt für Dermatologie. „Aber im klinischen Alltag sieht man ständig entzündliche Hauterkrankungen, offene Beine, das ist überhaupt nicht ästhetisch.“ Parallel zur Arbeit als Anästhesist bildete Triemer sich weiter, reduzierte die Arbeit in der Klinik.

„Jetzt bin ich auf 400 Quadratmetern mit sieben Angestellten.“ Nach SZ-Recherchen hat Triemers Umsatz 2018 noch 44.000 Euro betragen. Vier Jahre später sollen es 950.000 Euro gewesen sein.