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Der große Ärger, wenn Patienten ihre Termine nicht absagen

Für niedergelassene Ärzte, wie Sebastian Weigel aus Dresden, bedeuten unzuverlässige Patienten Leerlauf und finanzielle Einbußen. Der Ärzteverband fordert daher eine Strafgebühr. Wie realistisch ist das?

Von Kornelia Noack
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Wartet vergeblich auf seinen Patienten: Dr. Sebastian Weigel in seiner chirurgischen Praxis in Dresden.
Wartet vergeblich auf seinen Patienten: Dr. Sebastian Weigel in seiner chirurgischen Praxis in Dresden. © Jürgen Lösel

Es ist Operationstag bei Dr. Sebastian Weigel. Acht Eingriffe stehen auf dem Plan des 43-Jährigen, der eine chirurgische Praxis in Dresden-Strehlen führt. Als Nächstes ein Karpaltunnelsyndrom bei einem älteren Herren – ein Routineeingriff, bei dem eingeengte Nerven im Handgelenk wieder freigelegt werden. Der Instrumententisch ist gedeckt. Das Skalpell liegt bereit, ebenso Tupfer und Verbandsmaterial. Spritzen und Kanülen sind desinfiziert. Die Narkose ist vorbereitet, und eine Schwester hat den OP-Bereich steril gemacht. Alles ist vorbereitet. Wer fehlt, ist der Patient.

Vorher abgesagt hat der seinen Termin nicht – wie immer ein großes Ärgernis für das gesamte Team. Und kein seltenes. Etwa 10 bis 20 Prozent seiner OPs fallen aus, weil Patienten einfach nicht erscheinen, sagt Weigel, der sich auf Knie-Operationen und Gelenkspiegelungen spezialisiert hat.

Probleme in sieben von zehn Praxen

Dass auch seine Kollegen nicht selten umsonst auf ihre Patienten warten, bestätigen die Ergebnisse einer Online-Befragung im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Rund 2.200 Personen hatten im Spätsommer daran teilgenommen. Sieben von zehn Praxen beklagten dabei Probleme mit verpassten Terminen. Bei 44 Prozent gehe es um 5 bis 10 Prozent aller Termine, zu denen Patienten nicht erscheinen. Bei rund 16 Prozent gehe es um bis zu einem Fünftel aller Termine.

Welche Konsequenzen das für eine Praxis wie die von Sebastian Weigel hat, sehen die Säumigen nicht. Da ist zum einen der Leerlauf. Jemanden kurzfristig dazwischenschieben, so wie es vielleicht bei einem Hausarzt mit vollem Wartezimmer möglich wäre, ist bei aufwendigeren Facharztterminen nicht drin. „Wenn ein Patient nicht absagt, nimmt er einem anderen den Termin weg. Das ist nicht fair bei den ohnehin monatelangen Wartezeiten“, sagt Weigel. Die Gründe für das Nichtabsagen seien nach seiner Erfahrung unterschiedlich. Patienten sind irgendwo anders schneller drangekommen, sie haben den vereinbarten Termin verschwitzt, sind kurzfristig verhindert oder denken: So schlimm ist es gar nicht mehr, ich gehe einfach nicht hin.

Ohne Behandlung kein Honorar

Zum anderen sind da die finanziellen Folgen. „Ein nicht abgesagter Termin bedeutet für mich jedes Mal einen Verdienstausfall“, sagt Dr. Weigel. Denn ohne ärztliche Leistung, keine Abrechnung über die Krankenkasse. Für die ausgefallene Karpaltunnel-OP beispielsweise hätte das Honorar des Chirurgen bei rund 250 Euro gelegen. Material-, Personal- und Raumkosten abgezogen, wäre ihm etwa ein Viertel davon als Verdienst geblieben – ohnehin eine überschaubare Summe. Doch weil der Patient nicht erschienen ist, bekommt er gar nichts – bleibt aber auf Ausgaben sitzen. Und das, wo die Kosten in vielen Praxen gerade explodieren, durch Inflation, gestiegene Personal- und Energiekosten.

Zwar sollen die ärztlichen Leistungshonorare im kommenden Jahr um 3,85 Prozent steigen. Insgesamt sollen damit rund 1,6 Milliarden Euro mehr in die Versorgung fließen. Allerdings dürfte dies weder die enormen Kosten decken noch den Kostendruck in den Praxen senken. Die ärztliche Vergütung ist gedeckelt und damit endlich.

Kassenärzte-Chef ist für Strafgebühr

Wegen des Ärgers mit unzuverlässigen Patienten hatte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, eine Ausfallgebühr für nicht wahrgenommene Termine ins Gespräch gebracht. Angemessen wäre „eine von den Kassen zu entrichtende Ausfallgebühr, wenn deren Versicherte Termine vereinbaren und dann nicht wahrnehmen“. In Physiotherapien zum Beispiel, wo Termine bekanntermaßen straff geplant werden, sind Aushänge wie diese schließlich durchaus üblich: „Bei Nichterscheinen oder einer Terminabsage innerhalb von weniger als 24 Stunden, behalten wir uns vor, Ihnen eine Gebühr in Rechnung zu stellen.“

Die gesetzlichen Krankenkassen und Patientenschützer warfen Gassen schnell versuchte Abzocke vor. „Ein immer tieferer Griff in die Taschen der Beitragszahler löst keine Probleme“, sagte etwa Helge Dickau vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. „Wie wäre es denn mit einem finanziellen Ausgleich für Patienten, die viele Stunden Lebenszeit in Warteschleifen und Wartezimmern ärztlicher Praxen verbringen?“ Allerdings: Warum lange Wartezeiten für Patienten entstehen, erwähnten die Kassenvertreter nicht.

"Termine vergeuden ist unsolidarisch"

Auch Radiologe Dr. Klaus Hamm kennt das Problem. „Ich bin überzeugt davon, dass nicht abgesagte Termine keine Rolle mehr spielen würden, wenn Patienten eine Selbstbeteiligung für ihre Behandlungen zahlen müssten. Wir müssen weg von diesem egoistischen Anspruchsdenken, das viele Patienten immer noch haben“, sagt der Vorsitzende des Landesverbandes der Radiologen. In seiner Chemnitzer Gemeinschaftspraxis werden CT, MRT, Mammografien und Sonografien angeboten. Die Termine für solche Untersuchungen sind begehrt und werden eng getaktet vergeben.

Dennoch – auf ein bis zwei bestellte Patienten warten Hamm und seine Kollegen pro Tag vergeblich. „Wir müssen den Patienten vermitteln, dass sie mit den vorhandenen Ressourcen, sprich den begrenzten Arztterminen, verantwortungsvoll umgehen“, sagt Hamm.

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) stimmt den Forderungen von Gassen prinzipiell zu. „Uns ist bekannt, dass viele Arztpraxen einer Strafgebühr für säumige Patienten positiv gegenüberstehen“, sagt Dr. Sylvia Krug, stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Vor allem Psychotherapeuten, Radiologen, Internisten und Chirurgen könnten Ausfälle nicht einfach kurzfristig kompensieren. „Wenn die ohnehin knappen Termine vergeudet werden, ist das unsolidarisch.“ Auch der Aufwand für die Vorbereitung, das Vorhalten von Räumen und gegebenenfalls die Bestellung eines Anästhesisten müssten mit betrachtet werden, so Krug. Manche Ärzte im Freistaat würden daher bereits eine Strafgebühr verlangen. Voraussetzung dafür sei aber immer, dass beide Parteien zuvor eine Vereinbarung dazu unterzeichnet haben.

Streitfälle landen oft vor Gericht

Radiologe Hamm hält die Umsetzung einer Strafgebühr für kaum machbar. „Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Und was mache ich, wenn ein Patient nicht zahlt? Das geht dann bis zum Mahnwesen. Das können wir in den Praxen überhaupt nicht leisten“, so der Radiologe.

Rechtlich sind Ausfallhonorare für verpasste Arzttermine tatsächlich nur in Ausnahmefällen möglich. Laut Verbraucherzentrale Bundesverband könnten Patienten einen Kontrolltermin beim Zahnarzt oder Hausarzt durchaus mal kurzfristig absagen, ohne etwas zahlen zu müssen. Verpasse ein Patient jedoch einen aufwendigen Termin und kann die Praxis kurzfristig keinen Ersatzpatienten einbestellen, könne sie eine Gebühr als Schadensersatz in Rechnung stellen – zumindest, wenn sie zuvor darauf hingewiesen hat. Bislang wurden Streitfälle von Gerichten unterschiedlich beurteilt. Die Verbraucherschützer raten: Bei festen Terminen sollte die Absage schriftlich oder per E-Mail erfolgen, damit diese belegt werden kann.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz sparte nicht mit Kritik an Gassens Vorschlag einer Strafgebühr. „Schließlich ist die mangelnde Erreichbarkeit der Ärzte für Patienten das größte Problem“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Ein Argument, das zieht. Zahlreiche Praxen sind für ihre Patienten nach wie vor nur per Telefon zu erreichen – das klingelt angesichts des hohen Stresspegels aber nicht selten stundenlang ins Leere. Selbst willigen Patienten wird es so schwer gemacht, einen Termin frühzeitig abzusagen.

Dresdener Hausarzt mit eigener App

Sebastian Weigel ist für seine Patienten per E-Mail und Telefon erreichbar. Dabei bietet die digitale Welt viele Möglichkeiten für den Arzt-Patient-Kontakt – von Whatsapp über Online-Kalender bis zur Terminerinnerung. Viele Mediziner scheuen sich dennoch. Sie fürchten zu viel Aufwand, technische Probleme und hohe Kosten.

Dr. Martin Deile, Hausarzt in Dresden, bietet seinen Patienten eine auf seine Praxis zugeschnittene App an, die er in seine Praxissoftware eingebunden hat. Wer sie nutzen möchte, muss sich einmalig persönlich in der Praxis identifizieren – damit die digitale Verbindung auch wirklich sicher „Ende-zu-Ende-verschlüsselt“ ist. Knapp 650 seiner Patienten verwenden die App bereits und verwalten darüber nicht nur ihre E-Rezepte und Krankschreibungen, sondern auch ihre Termine. Zusätzlich können Patienten einen Online-Kalender auf Deiles Webseite nutzen. Diese Anwendung kostet den Hausarzt rund 34 Euro im Monat – bei Software-Kosten von insgesamt 700 Euro. „Das Geld ist das eine, aber um die Vorteile für Arzt und Patient zu nutzen, muss man sich damit beschäftigen“, sagt Deile. Die Einstellungen des Online-Kalenders etwa habe er selbst vorab vornehmen müssen.

Telefonassistenz sortiert Patienten-Anrufe

Lösungen gibt es viele. Eine liefert zum Beispiel die Firma PraxisConcierge und verspricht ihren Kunden „Ruhe in der Rezeption“. Vor etwa vier Jahren gegründet, stattet das Start-Up aus Baden-Württemberg inzwischen über 500 Arztpraxen mit einer automatischen Telefonassistenz aus, 15 davon in Sachsen. „Ruft ein Patient an, landet er bei einer Computerstimme und wird durch ein Menü geführt“, sagt Gründer Simon Kuttruf.

Den Wortlaut der Ansagen kann der Praxisinhaber bestimmen. Am Ende erhalten die Praxis-Mitarbeiter die Anrufe verschriftlicht und sortiert in einer Tabelle angezeigt. „Mit einem Klick können sie dann Termine dem Online-Kalender oder Rezeptwünsche der Patientenakte zuordnen“, erklärt Kuttruf. Mit 40 Praxis-Systemen seien die Programme kompatibel Kostenpunkt: knapp 150 Euro pro Monat. Im Angebot hat das Start-Up auch automatische Terminerinnerungen per E-Mail – dafür müssen Patienten ihre Adressen in der Praxis hinterlegt haben.

"Gefragt ist mehr Eigenverantwortung"

Trotz aller Digitalisierung – auch Hausarzt Deile wartet manchmal umsonst auf Patienten. Einen Nachmittag in der Woche bietet er sportmedizinische Checks an. Dauer: jeweils eine Stunde. Früher sei etwa jeder zehnte Patient nicht erschienen. „Nun erinnern wir immer zwei Tage vorher telefonisch an den Termin“, sagt Deile. Zudem spreche er Patienten gezielt an, sollten sie öfter eine Untersuchung verpassen. „Verpasste Termine belasten ja auch das Vertrauensverhältnis“, so der 42-Jährige.

Das sieht auch Chirurg Sebastian Weigel so. Für seine normalen Sprechtage vergibt er mittlerweile kaum noch Termine. „Ich arbeite in einem Fach mit Akutpatienten. Wegen der hohen Zahl ist deshalb eine terminliche Organisation fast nicht möglich.“ Patienten könnten daher unangemeldet kommen, sollten aber Geduld mitbringen. „An so einem Tag schaue ich mir 80 bis 90 Patienten an, mit Terminvergabe wären es deutlich weniger, zumal dann Akutfälle keinen ausreichenden Platz mehr hätten“, sagt Weigel. Lediglich seine OP-Termine und Wiedervorstellungen taktet er ein.

„Gefragt ist mehr Eigenverantwortung der Patienten“, so der Chirurg. „Es geht um unsere wirtschaftliche Existenz und damit auch um die Versorgung der Patienten.“