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Vier Gründe, warum sich die Pflege auch in Sachsen bald massiv verändern wird

Der DAK-Pflegereport zeichnet ein dramatisches Bild der Personalnot und der steigenden Kosten – zeigt aber auch Lösungsideen auf.

Von Kornelia Noack
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Eine Pflegerin (l) und eine Bewohnerin des Pflegeheims schauen zusammen aus einem Fenster.
Eine Pflegerin (l) und eine Bewohnerin des Pflegeheims schauen zusammen aus einem Fenster. © Tom Weller/dpa (Symbolbild)

Dresden. Mehr als 5,2 Millionen Menschen sind in Deutschland auf pflegerische Unterstützung angewiesen. In den kommenden 25 Jahren werden es knapp 2,3 Millionen mehr sein. Das geht aus dem Pflegereport der DAK-Gesundheit hervor, der am Dienstag vorgestellt wurde. Der steigende Personalmangel bedroht jedoch die Versorgung. Das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation verschärft die Situation.

1. Mehr Renteneintritte als Berufseinstiege

Es gibt mehr als 1,14 Millionen professionell Pflegende in Deutschland. Die meisten sind 57 Jahre alt. In den nächsten zehn Jahren erreicht jeder Fünfte von ihnen das Rentenalter. Laut DAK-Report müssten in jedem Bundesland dann um die 20 Prozent des Personals ersetzt werden. Dabei variiere der Bedarf zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und 26,5 Prozent in Bremen. Im Freistaat sind knapp 12.800 von den rund 65.000 Pflegenden älter als 55 Jahre.

Der berufliche Nachwuchs wird kaum ausreichen, um die Berufsaustritte der Baby-Boomer-Jahrgänge aufzufangen. „Wir haben trotz guter Ausbildungszahlen keinen Puffer gegen die berufsdemografischen Dynamiken in der Pflege“, sagt Pflegeexperte und Studienleiter Professor Thomas Klie. Während heute rund 26.000 Menschen mehr neu in den Beruf eintreten als ausscheiden, sinkt diese Arbeitsmarktreserve in fünf Jahren auf gut 5.000. Das Missverhältnis werde sich in den nächsten Jahren dramatisch zuspitzen. Es drohe eine Unterversorgung älterer Menschen.

„In einzelnen Bundesländern werden noch in diesem Jahrzehnt Kipppunkte erreicht, an denen deutlich mehr Pflegende in den Ruhestand gehen als Nachwuchskräfte einsteigen“, sagt Klie. In Bremen und Bayern werde dies nach Berechnungen des Instituts AGP Sozialforschung bereits 2029 der Fall sein. Selbst in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Thüringen, die rechnerisch über eine Reserve verfügen, sei der Arbeitsmarkt praktisch leer gefegt.

Noch nicht berücksichtigt dabei ist der zusätzliche Personalbedarf aufgrund der höheren Zahl an Pflegebedürftigen. „Ein Ausbau der Kapazitäten wird demografiebedingt nicht gelingen. Mithilfe von Wiedereinsteigerprogrammen, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien lassen sie sich bestenfalls stabil halten“, sagt Klie.

2. Neue, flächendeckende Versorgungsformen sind nötig

Die Baby-Boomer sind in der Pflegediskussion das Problem und die Lösung zugleich. Um eine solidarische Pflege und Sorge vor Ort sicherzustellen, werde man daher neue Formen gegenseitiger Unterstützung brauchen, sagt Klie. „Wir als immer älter werdende Gesellschaft benötigen Modelle ,geteilter Verantwortung‘, wie etwa in ambulant betreuten Wohngemeinschaften praktiziert.“ Dafür sei jedoch ein Abbau der Bürokratie notwendig, sagt Klie. Sektoren- übergreifende Versorgungsformen müssten gefördert und in die Planung auf kommunaler Ebene eingebunden werden.

„Eine Mixtur aus nachberuflicher Erwerbstätigkeit und bürgerschaftlichem Engagement könnte einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung leisten“, sagt Klie. Die Bereitschaft dafür ist vorhanden. Laut einer repräsentativen Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach im Rahmen des DAK-Reports sind mehr als 50 Prozent der über 40-Jährigen bereit, Nachbarn, Freunde und Bekannte bei Pflegebedürftigkeit regelmäßig im Alltag zu unterstützen. Zudem brauche es ein flächendeckendes Angebot von Betreuungs- und hauswirtschaftlichen Unterstützungsformen, um pflegende Angehörige zu stärken.

3. Pflegebeiträge und Pflegekosten werden weiter steigen

In der stationären Pflege drohen die Kosten die Pflegebedürftigen finanziell zu überfordern. Seit Jahren schon steigen die Eigenanteile, die Heimbewohner zuzahlen müssen. In Sachsen werden aktuell im Schnitt 2.381 Euro pro Monat für die Pflege fällig.

Zusätzlich könnte bald eine weitere Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge, die jeder Beschäftigte monatlich von seinem Verdienst zahlt, ins Haus stehen. Bereits im vergangenen Juli hatte die Regierung die Beiträge erhöht. Für Kinderlose stieg der Beitrag auf 4 Prozent des Bruttogehalts, für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der Arbeitgeberanteil ging auf 1,7 Prozent herauf. Damit sollten die Finanzen eigentlich bis 2025 abgesichert sein. Nun zeichnen sich laut DAK bereits für das vierte Quartal 2024 deutliche Lücken ab, „die voraussichtlich Beitragssatzerhöhungen noch vor der Bundestagswahl 2025 erforderlich machen“, heißt es. Der Report zeigt zudem auf, dass die Deutschen das Problem durchaus erkennen. Höhere Beitragssätze akzeptieren würden aber laut der Allensbach-Befragung nur 41 Prozent.

4. Pflegepersonal benötigt mehr Kompetenzen

Um das Pflegesystem zu stabilisieren, würde es nach Ansicht von Klie auch helfen, wenn das Pflegepersonal mehr Kompetenzen erhält. „Wir können es uns nicht leisten, unsere Fachkräfte weiter mit fachfremden Aufgaben zu beschäftigen und bürokratisch zu kontrollieren wie bisher“, sagt der Studienleiter. Fachkräfte müssten mehr kompetenzorientiert eingesetzt und in ihrer Eigenständigkeit gestärkt werden. „Ohne sie werden wir die gesundheitliche Versorgung nicht meistern.“

Zudem sind Beschäftigte in der Pflege häufiger krank als in anderen Branchen – und das über alle Krankheitsbilder hinweg. Laut Report führen vor allem Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychische Belastungen zu durchschnittlich über 50 Krankenfehltagen von Beschäftigten in der Altenpflege. In anderen Berufsgruppen sind es rund 30 Fehltage. Dennoch bleibt ein Großteil vergleichsweise lange im Beruf. Knapp 86 Prozent erreichen das reguläre Rentenalter. In anderen Bereichen sind es rund 93 Prozent. „Die gesundheitliche Belastung fordert eine explizite Präventions- und Gesundheitsförderungsstrategie für beruflich Pflegende“, so Andreas Storm, DAK-Vorstandsvorsitzender. (mit dpa)