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Ich hatte Krebs - und vieles nicht gewusst

Nella Rausch fühlte sich mit ihrer Diagnose von Ärzten oft allein gelassen. In einem Buch beantwortet sie Fragen, die sich jeder Patient stellt.

Von Kornelia Noack
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Krebspatient zu sein, ist ein Vollzeitjob (Symbolbild).
Krebspatient zu sein, ist ein Vollzeitjob (Symbolbild). © 123rf

Vor fast acht Jahren erhielt Nella Rausch die Diagnose: Non-Hodgkin-Lymphom. Das ist eine Krebserkrankung des blutbildenden Systems. Die Ersttherapie schlug bei ihr nicht an, daher versuchten die Ärzte, den Krebs durch eine geprüfte, aber noch nicht zugelassene Therapie zurückzudrängen. 2017 erhielt Rausch zudem eine Fremd-Stammzell-Transplantation.

„Warum sagt mir das denn niemand?“ – diese Frage stellte sich Rausch während ihrer Zeit als Patientin öfter. Ihre Erfahrungen mit Ärzten und Therapeuten, Nebenwirkungen oder Reisen mit einer Krebserkrankung teilt die 56-Jährige in ihrem Blog Zellenkarussell und in einem Buch. Ihr Anliegen? Weniger Durchwursteln, mehr Durchblick.

Frau Rausch, was als Erstes auffällt: Sie reden Ihre Leser mit Du an. Warum?

Eine Krebsdiagnose verbindet. Egal, ob Professorin oder Putzfrau, sie alle sind mit der Endlichkeit konfrontiert. Das ist so knallhart, das schweißt schnell zusammen. Man fühlt sich als Schicksalsgemeinschaft. Allerdings wird man durch Krebs nicht zu einem besseren Menschen. Meine Erfahrung ist: Wer unangenehm war, bleibt es. Aber er verändert vielleicht seine Perspektive.

Autorin Nella Rausch
Autorin Nella Rausch © privat

Bezug nehmend auf den Buchtitel: Was hätten Sie denn gern vor Ihrer Krebsdiagnose gewusst?

Sehr viel. Vor allem, dass man das Patientsein als Vollzeitjob begreifen muss, sonst kommt man da nicht durch. Am Anfang heißt es ja oft: Konzentrieren Sie sich mal nur auf sich. Das ist zwar richtig, aber so schließt man den Partner und die Lieblingsmenschen aus. Dabei schafft man das alles nur zusammen. Nach der Diagnose wird man von so vielen Kleinigkeiten überrollt, kommt kaum zum Luftholen. Leider gibt es aber keinen Schalter, an dem man sich einfach die wichtigsten Infos abholt, die man dann nacheinander abarbeitet. Sehr wichtig empfand ich auch, die Situation schnell zu akzeptieren, um nicht zu viel Energie sinnlos zu verschwenden.

Wo haben Sie sich dann informiert?

Die meisten praktischen Infos habe ich von anderen Krebspatienten bekommen. Etwa über Polyneuropathien, ein Kribbeln vor allem in den Beinen als Nebenwirkung der Chemo. Ich hätte gern mehr von den Ärzten erfahren, wie ich die Empfindungsstörungen verhindern kann. Ich kenne eine junge Patientin, die über ihre Beine stolpert, weil sie sie nicht mehr richtig fühlt. Dabei lässt sich das durch Kältesocken und -handschuhe gut verhindern. Informativ sind die Webportale der Deutschen Krebsstiftung und Krebshilfe. Bei Studien sollte man darauf achten, dass sie nicht veraltet sind. Ansonsten natürlich den Arzt fragen und ihn immer wieder löchern.

Sie betonen, wie wichtig die Arztgespräche sind. Viele Patienten trauen sich aber gar nicht nachzufragen.

Es geht ums Überleben, um die Familie, um alles. Wenn das nicht der Zeitpunkt ist, um Stellung zu beziehen und Fragen zu stellen – wann dann? Dass das wichtig ist, habe ich doch selbst erlebt. Ich habe auch schnell gelernt, Notizen zu machen. Vieles vergisst man nach den Gesprächen einfach. Ein guter Arzt zeichnet sich durch Transparenz aus. Darum ist es so wichtig, sich vorzubereiten und seine Fragen aufzuschreiben. Ich hatte immer Zettel und Stift in meinem Schränkchen. Schließlich wünscht man sich doch, bestmöglich versorgt zu werden.

Sie raten auch dazu, sich für die Diagnose eine Zweitmeinung einzuholen?

Zumindest wenn man das Gefühl hat, hier läuft was falsch, oder es ist kein Vertrauen in den Arzt da. Und in jedem Fall, wenn die Prognose schlecht aussieht und Therapien empfohlen werden. Reagiert der Arzt komisch auf den Wunsch, ist es der Falsche.

Wie wichtig ist die psychoonkologische Begleitung bei der Therapie?

Enorm wichtig. Psychoonkologen sind wie Botschafter. Sie sind Teil des Behandlungsteams und können den Ärzten die Situation gut beschreiben. In der Regel bieten Kliniken diese Hilfe an, die Kosten übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen.

Und nach der Entlassung?

Mir hat eine Therapeutin für Verhaltens- und Gesprächstherapie sehr geholfen. Man braucht einfach jemanden Neutrales, mit dem man seine Ängste und Gedanken teilen kann. Es hilft, Blockaden zu lösen und wieder mit dem Partner ins Gespräch zu kommen. Man ist ja viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Listen gibt es bei der Krebshilfe, bei der Krebsgesellschaft oder bei Selbsthilfegruppen. Bei einer Terminanfrage sollte man dazusagen, dass man Krebspatient ist. Oft hat man dann bessere Chancen, früher dranzukommen. Abraten würde ich im Übrigen von einer Therapie mit dem Partner, weil sich der andere dann nicht traut, etwas zu sagen.

Nella Rausch: „Warum sagt mir das denn niemand? – Was Du nach einer Krebsdiagnose alles wissen musst“. Das Buch ist bei BoD – Books on Demand, erschienen.
Nella Rausch: „Warum sagt mir das denn niemand? – Was Du nach einer Krebsdiagnose alles wissen musst“. Das Buch ist bei BoD – Books on Demand, erschienen. © BOD

Viele Patienten scheuen sich zu verreisen. Was raten Sie denen?

In Absprache mit dem Arzt geht fast alles. Wir waren damals öfter an der Ostsee. Der Psyche tut ein Tapetenwechsel sehr gut. Und Therapien lassen sich durchaus auch einmal verschieben. Wichtig ist, vorher mit einem Arzt oder einer Klinik vor Ort Kontakt aufzunehmen. Bei mir war es zum Beispiel wichtig, dass ich ein Labor für die Blutkontrollen in der Nähe hatte. Ohne das hätte mein Arzt mich nicht ziehen lassen.

Sie empfehlen auch den Euro-WC-Schlüssel. Was steckt dahinter?

Viele Krebspatienten haben Probleme mit dem Darm oder der Blase und trauen sich daher nicht raus. Mit dem internationalen WC-Schlüssel können sie viele behindertengerechte Sanitäranlagen kostenlos nutzen, zum Beispiel an Autobahnen, Bahnhöfen oder in Fußgängerzonen. Eine Leserin meines Blogs hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich finde das toll. Den Antrag und eine Übersicht über die Standorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es unter www.bsk-ev.org.

„Das dauert etwas länger“ war der Satz eines Arztes in der Notaufnahme, der Ihr Leben verändert hat. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Da ich zuvor für das Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie gearbeitet habe, hatte ich bereits Berührung mit dem Thema. Ich wusste, dass Leukämien schwerer zu behandeln sind als Lymphome. Ich „wünschte“ mir also ein Lymphom. Die Prognose, dass 95 Prozent der Patienten in der Ersttherapie geheilt werden, hat mir viel Ruhe gegeben. Nach dem ersten Schock habe ich mich daher schnell organisieren können. Ich bin sowieso ein Mensch, der mit sehr viel Zuversicht gesegnet ist.

Sie schreiben auch, dass es Krebspatienten guttut, wenn ihr Selbstsystem gut aufgestellt ist. Was bedeutet das?

Ein Neurologe hat mir einmal erklärt, dass die innere Einstellung „Es wird gutgehen“ einen positiven Effekt hat. Es hilft, Energie zu sammeln und sich selbst besser durch diese Zeit zu führen. Außerdem ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen, die die vom Arzt vorgeschlagene Therapie mittragen, dadurch ihre Lebensqualität verbessern. Das hat ja auch eine ganz andere Kraft, als wenn man sich unsicher fühlt.

Wie geht es Ihnen heute?

Eigentlich sehr gut. Eigentlich, weil ich unter Abstoßungsreaktionen nach der Transplantation leide, die chronisch sind. Darum habe ich Probleme mit der Atmung. Meine Lungenkapazität liegt bei 30 Prozent. Wie bei vielen Krebspatienten haben die Chemos meine Augen geschädigt. Darum ist mein Buch in Großbuchstaben gedruckt. Meine Blutwerte sind aber top, ich gelte als krebsfrei. Und ob er je wiederkommt, darüber mache ich mir keine Gedanken.