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Dulig zu Alstom-Plänen: "Völlig inakzeptabel"

Kurz vor Weihnachten kommt es dicke: Bei Alstom in Bautzen sollen 150 Stellen gestrichen werden, in Görlitz soll fast die Hälfte der 900 Beschäftigten gehen.

Von Daniela Pfeiffer
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Laute Töne aus Görlitz nach Paris: Damit wollten die Waggonbauer in Görlitz am Freitag signalisieren: Nicht mit uns!
Laute Töne aus Görlitz nach Paris: Damit wollten die Waggonbauer in Görlitz am Freitag signalisieren: Nicht mit uns! © Martin Schneider

Burkhard Reuter, der Alstom Deutschland-Chef, verkündete die Weihnachtsbotschaft der Görlitzer Belegschaft in einer Online-Betriebsversammlung am Freitagmorgen. Nur ist es für die Mitarbeiter des Görlitzer Waggonbaus, der seit einigen Monaten zum Alstom-Konzern gehört, ganz und gar keine frohe Botschaft: Wegen der schlechten Auftragslage, die auch auf längere Sicht noch so bleiben wird, könnten nicht alle Mitarbeiter weiter voll beschäftigt werden. Im Klartext: 400 Leute soll es innerhalb der nächsten drei Jahre treffen - damit sind ausschließlich Festangestellte gemeint. Das ist knapp die Hälfte der 900 Mitarbeiter. Auch Bautzen trifft es. Hier plant Alstom, etwa 150 von 1.000 Mitarbeitern zu kündigen.

Keine neuen Aufträge an Land gezogen

Nach dieser Botschaft sprach Betriebsrat René Straube davon, dass das bestürzende Zahlen seien, "uns allen das aber sehr bekannt vorkommt". Denn auch zu Bombardier-Zeiten waren seit 2015 immer wieder Stellen abgebaut worden. Bis sich Bombardier schließlich ganz zurückzog und Alstom vor zehn Monaten die Werke übernahm. Getan hat sich in der Zeit aber wenig Positives. Man schaffte es nicht, neue Großaufträge an Land zu ziehen - im Gegenteil. Ausschreibungen seien halbherzig und wenig innovativ gewesen, heißt es intern. So hätte es beispielsweise in Görlitz die Chance gegeben, die geplanten neuen Straßenbahnen in der eigenen Stadt bauen zu lassen. Das Angebot, was Alstom unterbreitete, habe aber keine Chance gehabt, so schlecht sei es gewesen, so SZ-Informationen.

Der Görlitzer OB Octavian Ursu (Mitte) trommelt mit für den Erhalt der Waggonbau-Jobs.
Der Görlitzer OB Octavian Ursu (Mitte) trommelt mit für den Erhalt der Waggonbau-Jobs. © Stadtverwaltung Görlitz

Und so hat sich die angespannte Lage für die ehemaligen Bombardierwerke noch mehr verschlimmert. Görlitz und Bautzen sind nicht die einzigen Standorte, die nun vom Stellenabbau betroffen sind. Bundesweit ist von 900 bis 1.300 Stellen die Rede. In Hennigsdorf stehen 380 Jobs auf der Streichliste. "Für den Standort ist das genauso eine Katastrophe wie für uns hier in Görlitz", sagt René Straube, der auch Gesamtbetriebsratsvorsitzender für Deutschland ist und in der Europavertretung sitzt. Und es trifft auch die Schweiz: Nach einem Bericht der Schweizerischen Handelszeitung entlässt Alstom-Bombardier auch am Standort Villeneuve 150 Leute - das sind ein Drittel der Belegschaft. "Damit ist dort bald ganz Feierabend", sagt Straube.

Uwe Garbe, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall für Ostsachsen ist genauso bestürzt: "Mit dieser Zahl von Entlassungen war nicht zu rechnen. Wir wussten schon länger, dass etwas kommen würde. Das war klar, Alstom hat ja von Bombardier ein Desaster und leere Auftragsbücher übernommen. Aber das hätte den Franzosen klar sein müssen, als sie im Januar die Werke übernommen haben. Wir als IG Metall und die Betriebsräte haben von Alstom eine Zukunftsstrategie eingefordert, das ist nicht passiert."

Garbe war am Mittag in Görlitz vor Ort, als die unterbrochene Betriebsversammlung vom Morgen kurzerhand draußen fortgeführt wurde. Auch hier fand er nochmal deutliche Worte. "Ich habe die Nachricht am Donnerstagabend bekommen. So eine Hiobsbotschaft vor Weihnachten, das ist ein Unding." Wie man mit der Belegschaft jetzt umgehe, das gehe gar nicht und das werde die IG Metall nicht zulassen.

Auch der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu, der die Nachricht am Freitagmorgen um sechs Uhr erhalten hatte, eilte zum Werksgelände, versuchte, den Kollegen Mut zuzusprechen. Er versprach, alles zu tun, um die Waggonbauer zu unterstützen, habe schon den halben Vormittag Telefonate zu dem Problem geführt. "Die Hoffnung war groß, dass es mit Alstom wieder aufwärts geht, es ist sehr enttäuschend, was stattdessen nun hier passiert", so Ursu. Vor allem den Zeitpunkt so kurz vor Weihnachten kritisierte er: "Was ist das für eine Unternehmenskultur, wie geht man denn mit den Menschen hier um."

2017 schon einmal Großes geschafft

Arbeitskampf ist nichts Neues in Görlitz: Im Januar 2018 gingen viele Bombardier- und Siemens-Mitarbeiter gemeinsam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße. Bei Bombardier gab es schon seit 2015 immer wieder Stellenstreichungen.
Arbeitskampf ist nichts Neues in Görlitz: Im Januar 2018 gingen viele Bombardier- und Siemens-Mitarbeiter gemeinsam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße. Bei Bombardier gab es schon seit 2015 immer wieder Stellenstreichungen. ©  Archivfoto: Nikolai Schmidt

Aber zeitgleich erinnerte er an 2017, als in Görlitz Tausende Menschen gemeinsam auf die Straße gingen - viele von ihnen Arbeiter von Siemens und Bombardier - die für den Erhalt dieser beiden großen Arbeitgeber in der Stadt kämpften. Das werde man wiederholen, wenn es hart auf hart kommt, sagten übereinstimmend der OB, Uwe Garbe und auch René Straube. Um daran zu erinnern, welche Kraft von Görlitz ausgehen kann, wurden die riesigen Trommeln, die auch 2017 im Arbeitskampf zum Einsatz kamen, am Freitag schon mal reaktiviert, um damit ein Signal Richtung Paris zu senden, wo die aktuellen Entscheidungen gefällt werden.

Auch eine kleine Abordnung von Siemens kam spontan ans Werktor und sicherte den Kollegen abermals Unterstützung zu. Die scheidende Chefin der Görlitzer EGZ, Andrea F. Behr fühlte sich ebenfalls stark an 2017 erinnert, als sie mitten im Arbeitskampf ihre Stelle antrat - die zugleich die Wirtschaftsförderung der Stadt abdeckt. "Wir sind es hier in Görlitz gewöhnt, zu kämpfen und werden sicher auch diesmal das Rad irgendwie drehen können", gab sie sich zuversichtlich.

Eine kleine Siemens-Vertretung kam am Freitagmittag spontan zum Werktor der Kollegen vom Waggonbau, um Solidarität zu bekunden.
Eine kleine Siemens-Vertretung kam am Freitagmittag spontan zum Werktor der Kollegen vom Waggonbau, um Solidarität zu bekunden. © Martin Schneider

In Bautzen war es dagegen am Freitag recht ruhig. Die Überraschung war aber auch hier groß. Hier ist - im Gegensatz zu Görlitz - eine recht gute Auslastung, wie Gerd Kaczmarek, Betriebsratsvorsitzender im Werk Bautzen, gegenüber der SZ bestätigt: "Unsere Auslastung ist bis Ende des nächsten Jahres sehr gut. Danach wird es weniger", so Kaczmarek. "Ich bin überrascht von der Anzahl und der Mitteilung noch vor Weihnachten. Das verunsichert alle Beschäftigten, weil noch nichts Konkretes bekannt ist." Konkret wird es wahrscheinlich kommende Woche. Dann soll es für den Betriebsrat konkretere Informationen geben.

René Straube sagt aber zumindest für Görlitz, dass man an allen Fingern abzählen könne, wen es treffen werde: die Mitarbeiter in der Fertigung. Keine Aufträge, keine Arbeit. Zwar werden aktuell noch einige Aufträge abgearbeitet, aber Neues fehlt.

Dennoch ist er davon überzeugt: "Mit der richtigen Strategie ist Alstom zukunftsfähig und der Erhalt aller Arbeitsplätze möglich." Das hatte Straube bereits in einem SZ-Interview im Sommer gesagt. „Unsere Autobahnen werden niemals breit genug sein, um die Bedürfnisse in Bezug auf die Beförderung von Personen und Gütern zu bewältigen. Es ist 5 vor 12, aber nicht zu spät. Die Bahnbranche hat eine zentrale Rolle in den anstehenden Prozessen rund um Klimawandel und bei der Energie- und Verkehrswende. Anpassung der Auslastung an die Kapazitäten ist das Gebot der Stunde. Nur innovative Entwicklung, Investitionen und Qualifizierung sorgen für eine sichere Zukunft!“

Siemens-Kollegen und Dana Dubil (mit Mikrofon in der Hand) vom DGB Ostsachsen sichern Unterstützung zu.
Siemens-Kollegen und Dana Dubil (mit Mikrofon in der Hand) vom DGB Ostsachsen sichern Unterstützung zu. © Martin Schneider

Der Alstom-Konzern selbst sprach am Freitag lieber von Wachstum, das erreicht werden soll - und einem kompakten Transformationsplan, mit dem die "operative Effizienz und Produktivität im Einklang mit den lokalen Kapazitäten erhöht" werden sollen. Das Wachstum des Unternehmens in Deutschland sei aber verbunden mit der Umverteilung der Kompetenzen für laufende und zukünftige Projekte. Dabei sollen bis zu 700 neue Stellen in den Bereichen Digitalisierung, Engineering und Software sowie Services entstehen - aber hier werden nur Berlin, Mannheim und Braunschweig erwähnt. Den Stellenabbau in Hennigsdorf, Bautzen, Görlitz, Salzgitter, Mannheim und Siegen bezeichnet Sprecher Jörn Bischoff hingegen als "eine Anpassung der Positionen in der Fertigung". Man verpflichte sich, diese Anpassung sozialverträglich durchzuführen.

Dulig will mit Habeck sprechen

Das will in Görlitz und Bautzen aber niemand hinnehmen. Die Kampfansage ist klar und deutlich: „Wir werden mit unseren Mitgliedern und den Betriebsräten an den betroffenen Standorten nach zukunftsfähigen Lösungen suchen, um die Standorte in ihrer heutigen Form zu erhalten. Wir werden eine belastbare und nachhaltige Strategie von Alstom einfordern. Wir werden gemeinsam mit Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren für die Zukunft der Werke kämpfen“, so Uwe Garbe von der IG Metall.

Ein Politiker äußerte sich auch gleich am Freitagvormittag: Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Er sprach von einem "vergifteten Weihnachtsgeschenk", das Ganze sei "völlig inakzeptabel". Die Entscheidung sei weder wirtschaftlich klug noch nachvollziehbar. Dulig wolle nun mit dem neuen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck darüber sprechen.