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Rechtsextremismus an Schulen: Wie Lehrer in Görlitz gegenhalten

Hakenkreuze auf den Bänken, Judenwitze im Unterricht: Rechtsextremismus macht vor der Schule nicht halt. Ein Schulleiter erklärt, was man dagegen tun kann.

Von Jonas Niesmann
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"Politisch neutral zu sein heißt nicht, auf dem rechten Auge blind zu sein!" Lehrerin Sylvia Wackernagel und Schulleiter Thomas Warkus vor der Oberschule Innenstadt in Görlitz.
"Politisch neutral zu sein heißt nicht, auf dem rechten Auge blind zu sein!" Lehrerin Sylvia Wackernagel und Schulleiter Thomas Warkus vor der Oberschule Innenstadt in Görlitz. © Martin Schneider

Schüler aus 21 Nationen besuchen die Oberschule Innenstadt in Görlitz. Doch auch sie ist nicht gefeit vor Antisemitismus und Rassismus. Die SZ hat mit Schulleiter Thomas Warkus, seiner Kollegin Sylvia Wackernagel und der Sozialarbeiterin Marlene Gries darüber gesprochen, wie extreme Weltbilder in die Köpfe junger Menschen kommen - und was eine Schule dagegen unternehmen kann.

Die Schulzeit – das verbindet man mit Fußballspielen und dem ersten Mal verliebt sein. Spielen Politik und Weltbilder da überhaupt schon eine Rolle?

Thomas Warkus: Bei Jugendlichen kann man noch nicht von einer gefestigten politischen Meinung im klassischen Sinn sprechen. Eine große Rolle spielen die Eltern – was zu Hause geredet wird, übernehmen vor allem jüngere Schüler erstmal, ohne es groß zu hinterfragen. Aber in den höheren Klassen können sich Weltbilder schon verfestigen.

Sie werben damit, an ihrer Schule werde „Prävention gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ betrieben. Beobachten Sie bei Schülern denn manchmal rechtsradikales Gedankengut?

Marlene Gries: Erstmal muss man unterscheiden zwischen rechts und rechtsextrem. Rechts der Mitte zu sein – im Sinne von bewahrend – ist eine völlig legitime Einstellung. Die Unterscheidung ist wichtig, um Jugendliche nicht zu vergraulen und in diese Antihaltung zu bringen: Aha, jetzt kommt wieder jemand, der mir sagt, wie ich denken soll.

Warkus: Aber es gibt auch Sachen, die gehen ganz klar darüber hinaus. Also Hakenkreuz auf der Tischplatte, Judenwitze, oder ein Hitlergruß. Und man merkt, dass sich die Diskussionen, die in der Gesellschaft gerade stattfinden, auch bei den Schülern widerspiegeln. Wenn wir in der sechsten Klasse Völkerwanderungen durchnehmen, fällt schon mal das Wort ‚Umvolkung‘ oder ‚Überfremdung‘, weil man das mal auf TikTok gehört oder die Oma es gesagt hat. Dann sind wir plötzlich in der politischen Gegenwart, und da muss man als Lehrer dann umschwenken und darauf eingehen.

"Kommt ein Nazi-Witz, muss ich das direkt aufgreifen"

Wie macht man das?

Warkus: Wir hatten dieses Schuljahr in der neunten Klasse eine Juniorwahl durchgeführt, da kam über die drei neunten Klassen hinweg 52 Prozent AfD raus. Klar, AfD heißt für viele hier nicht gleich rechtsextrem. Die Schüler sind trotzdem selbst erschrocken vor dem Ergebnis. Und dann kann man zusammen reflektieren: Was würde es denn bedeuten, wenn wir 52 Prozent AfD hätten? Wir sind ja auch eine Schule mit hohem Migrationsanteil.

Was, wenn solche Themen außerhalb des Geschichts- oder Politikunterrichts aufkommen? Ist zum Beispiel eine Physiklehrerin auf eine Diskussion zu Rassismus vorbereitet?

Warkus: Es gab eine gemeinsame Fortbildung für alle Lehrkräfte, unabhängig vom Fach, wo es darum ging: Wie gehe ich mit Vorurteilen oder Rassismus um, wie reagiere ich, was kann ich zu dem Thema machen? Denn wenn Schüler ein Hakenkreuz auf einer Bank melden oder man einen Nazi-Witz mitbekommt, dann muss man das direkt aufgreifen und einordnen - egal in welcher Stunde.

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Der Holocaust bleibt ein wichtiges Thema

Bringt es denn heute noch etwas, über den Nationalsozialismus zu sprechen?

Sylvia Wackernagel: Natürlich, wir thematisieren das sehr ausführlich, und das ist auch wichtig. Wir erleben, dass viele Schüler wenig zu diesem Thema wissen und nicht sensibilisiert sind. Deshalb schauen wir auch Filme wie ‚Schindlers Liste‘, das ist nochmal direkter, emotionaler.

Warkus: Und es ist auch wichtig zu zeigen: Nationalsozialismus hat nicht irgendwo stattgefunden. Wir nutzen Orte hier in Görlitz und in der Umgebung, um das historische Wissen nahbar zu machen – sei es das Kulturforum Neue Synagoge, das Stalag VIII A oder auch Auschwitz. Es war auch mal eine Holocaust-Überlebende hier, 95 Jahre alt, die erzählte, wie sie hier als Kind in Görlitz gelebt hat, hier in der Nachbarschaft. Es gab sogar ein altes Foto von ihr auf dem Markt. Ihre eigene Schule darauf im Hintergrund zu sehen, das hat die Schüler sehr berührt.