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Kommunalwahl: Diese Sonderregel lässt kleine Parteien im Kreis Görlitz zittern

Im Kreis Görlitz bangen kleine Parteien vor der Kommunalwahl, gar nicht erst zugelassen zu werden. Denn dazu brauchen sie Unterstützer – und die müssen persönlich beim Amt erscheinen.

Von Jonas Niesmann
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Wenn FDP-Vorsitzende Kristin Schütz wissen will, wie viele Unterstützerunterschriften sie noch braucht, muss sie selbst zum Bürgerbüro in Görlitz laufen.
Wenn FDP-Vorsitzende Kristin Schütz wissen will, wie viele Unterstützerunterschriften sie noch braucht, muss sie selbst zum Bürgerbüro in Görlitz laufen. © Jonas Niesmann

Kristin Schütz, Vorsitzende der FDP in Görlitz, steht vor dem Bürgerbüro und schaut bestürzt ihre Kollegin an, die gerade zufällig vorbeigekommen ist. Denn die wusste gar nichts von der Misere der FDP. "Wie, und die ganze Frauengruppe auch nicht?", fragt Schütz? Sofort zieht sie ihr Handy aus der Tasche und tippt in eine WhatsApp-Gruppe: "Offenbar ist nicht allen bewusst, dass auch die FDP Unterstützungsunterschriften braucht. Wäre also total toll von euch, ich stehe da auf Listenplatz 1. Eure Kristin."

Am 9. Juni 2024 wird im Landkreis Görlitz gewählt. Die Bürger entscheiden dann über ihre neuen Stadt- und Kreisräte, die sie für die nächsten fünf Jahre vertreten. So weit, so gut. Nur: Zur Wahl darf nicht einfach jeder antreten.

Um auf den Wahlzettel am 9. Juni aufgenommen zu werden, muss eine Partei gewissermaßen erst ihre Relevanz beweisen. Am einfachsten tut sie das, indem sie auch im Sächsischen Landtag vertreten ist oder bereits im letzten Kreistag oder Stadtrat saß. CDU, SPD, Grüne, Linke, Freie Wähler und die AfD im Landkreis Görlitz können sich also entspannt zurücklehnen und die Kandidaten ihrer Wahl direkt ins Rennen schicken. Wenn das nicht der Fall ist, wird es ein bisschen komplizierter.

Im Landkreis Görlitz betrifft das vor allem das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die rechtsextreme Partei Freie Sachsen. Um Plätze im Görlitzer Stadtrat müssen die FDP und das Bündnis Motor Görlitz bangen. Sie müssen nun Menschen auftreiben, die sich für sie aussprechen, indem sie in ihr Rathaus oder Bürgerbüro gehen und dort ihre Unterschrift unter den Parteinamen setzen. So soll ein gewisser Mindestrückhalt des Wahlvorschlags in der Bevölkerung nachgewiesen werden.

Wie viele solcher Unterstützer-Unterschriften eine Partei braucht, das entscheidet sich je nach Einwohnerzahl des Landkreises. Der Landkreis Görlitz hat um die 250.000 Einwohner, laut Wahlgesetz braucht eine Partei damit insgesamt 200 Unterschriften, um antreten zu können. Wenn es wie bei der FDP und Motor Görlitz lediglich um den Stadtrat geht, braucht es nur 160 Unterschriften. Alle anderen müssen nun in jedem der neun Wahlkreise des Landkreises Menschen dazu bringen, für sie zur Behörde zu gehen und per Unterschrift ihre Unterstützung kundzutun.

Persönliches Erscheinen ist ein Sonderweg

Um das Ganze nicht zu einfach zu machen, gibt es noch eine Extra-Regel: Es zählt nicht, wenn jetzt 200 Görlitzer für Sahra Wagenknecht zum Amt gehen. Aus jedem Wahlkreis muss ein Neuntel der 200 unterschreiben, aufgerundet also mindestens 23 Einwohner. Wenn das nur in einem nicht gelingt, kann die Partei im ganzen Landkreis nicht antreten. Bis zum 4. April haben die Parteien Zeit, die notwendigen Unterschriften zusammenzubekommen.

Winfried Bruns, BSW-Kandidat für Kreistag und Stadtrat Zittau, versucht auf dem Zittauer Marktplatz Menschen zum Gang aufs Bürgerbüro zu überreden.
Winfried Bruns, BSW-Kandidat für Kreistag und Stadtrat Zittau, versucht auf dem Zittauer Marktplatz Menschen zum Gang aufs Bürgerbüro zu überreden. © privat

Bei den rechtsextremen Freien Sachsen ist man anscheinend schon nervös, dass das nichts wird: "Bitte verlasst euch nicht darauf, dass ohnehin schon genug Leute gehen, sondern nehmt euch die fünf Minuten", schreibt die Partei auf Instagram. Tatsächlich dürfte es in den meisten Fällen schon etwas länger dauern. Macht die Regelung es kleinen Parteien unnötig schwer, sich für eine Wahl aufstellen zu lassen?

Tatsächlich geht Sachsen mit der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen der Unterstützer einen Sonderweg – zusammen mit Bayern, Brandenburg und Thüringen. In allen anderen Bundesländern werden den Parteien Formblätter für die Unterschriften zur Verfügung gestellt. Mit denen können sie dann auf der Straße Menschen aktiv ansprechen und um eine Unterschrift bitten.

Jens Hentschel-Thöricht organisiert den Aufbau des Bündnisses Sarah Wagenknecht im Kreis Görlitz. Dort läuft es wohl schon ganz gut: Zumindest in einem Wahlkreis habe das BSW die 23 Unterschriften schon zusammen, nach zwei Tagen. Trotzdem: "Es erhöht natürlich die Hürde, wenn berufstätige Menschen während der Öffnungszeiten der Ämter dort persönlich erscheinen müssen", sagt Hentschel-Thöricht. Dabei sollte es doch jedem ein Anliegen sein, mehr demokratische Vielfalt auf den Wahlzetteln zu haben. Das BSW wünscht sich deshalb, dass die Unterstützungsunterschriften, wie in den anderen Bundesländern, ortsunabhängig gesammelt oder, noch besser, digital abgegeben werden können.

Auch die FDP sieht das so. Dort fühlt man sich ohnehin nicht ganz fair behandelt: "Wir sitzen sowohl im Bundestag als auch im Kreistag in Görlitz, müssen aber trotzdem Unterschriften für die Stadtratswahl sammeln", sagt Kristin Schütz. 160 Unterschriften braucht ihre Partei in Görlitz. Wie viele es bisher sind, verrät Schütz nicht, die Zahl sei aber noch nicht dreistellig. Um zu erfragen, bei wie vielen Unterschriften die Partei gerade steht, muss Kristin Schütz selbst jedes Mal persönlich zum Bürgerbüro der Görlitzer Stadtverwaltung gehen.