Die Botschaft vom Sonntag ist wenig erfreulich: Noch immer gibt es keine Einigung über einen Handelsvertrag zwischen Großbritannien und der EU. Am 31. Dezember aber läuft die seit dem Brexit im Februar geltende Übergangsphase endgültig aus. Viel Zeit bleibt also nicht mehr.
In Görlitz dagegen ist am Montag eine Brexit-Frist verlängert worden. Allerdings eine ganz andere, weitaus erfreulichere. Die für Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Tourismus zuständige Europastadt GmbH hat in ihrer Brexit-Kampagne zu einer Päckchenaktion für Freunde und Verwandte aufgerufen. Sie verschickt Weihnachts-Genuss-Päckchen an Polen, die aktuell in Großbritannien leben.
Auch polnische Oblaten sind enthalten
Die Päckchen enthalten neben Leckereien wie Ministollen, Lebkuchen und getrockneten Steinpilzen, auch die in Polen traditionellen Oblaten. Jeder, der will, kann die Adresse seiner Verwandten oder Bekannten und persönliche Wünsche für diese bei der Europastadt GmbH einreichen. Das sollte ursprünglich nur bis Montag möglich sein, wurde nun aber ohne Datum verlängert. „Ziel ist es, die polnischen Verwandten und Bekannten so auf die Vorzüge der deutsch-polnischen Stadt aufmerksam zu machen“, sagt Eva Wittig von der Europastadt GmbH. Weder Absender noch Empfänger müssen für das Päckchen etwas bezahlen: Das Projekt wird über die Fachkräfteallianz des Freistaates Sachsen gefördert.
„Die Aktion ist angelaufen und wir haben die ersten Päckchen gepackt“, sagt Eva Wittig. Zur exakten Päckchenzahl schweigt sie, aber offenbar sind es noch nicht so viele wie erhofft. „Wir planen mit 200 Päckchen“, erklärte sie vorige Woche.
Erfolgsmessung ist schwierig
Die Brexit-Kampagne läuft seit einem Jahr. Unter anderem kommen Zuzügler in Videos und Blogbeiträgen zu Wort, die von ihren Erfahrungen hier erzählen und ihr Leben an beiden Seiten der Neiße zeigen. Eine direkte Erfolgsmessung im Sinne von „Wie viele Personen sind wegen der Kampagne zugezogen“ ist schwierig, sagt Eva Wittig: „Sie melden sich natürlich nicht bei uns. Wir haben aber Aufmerksamkeit erreicht und das ist schon ein großer Erfolg.“ Viele nationale und internationale Medien hätten berichtet, erst kürzlich sei die internationale Nachrichtenagentur AFP deswegen zum Interview in Görlitz gewesen.
Viele der derzeit 4.000 Polen, die in Görlitz leben, haben von der Brexit-Kampagne insgesamt und der Päckchenaktion im Speziellen gehört. „Meine Schwester ist mit ihrer Familie schon nach Polen zurückgekehrt, als sich der Brexit abzeichnete“, sagt Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum. Sie hat jetzt keine Verwandten oder Freunde mehr in Großbritannien. „Aber ich finde die Aktion sehr gut und habe die Info an andere weitergeleitet“, sagt sie. Bei Facebook habe sie sogar einen Aufruf dazu gestartet.
Ohne Sprachkenntnisse ist es hart
Katarzyna Wilk-Sosnowska, die beim städtischen Kulturservice arbeitet, stammt auch aus Polen. „Ich habe gute Bekannte aus meiner Heimatstadt, die jetzt in England leben“, berichtet sie. Ein Päckchen hat sie denen aber nicht geschickt. „Wenn sie mit dem Gedanken spielen würden, herzuziehen, würde ich das sofort tun“, sagt sie. Aber sie weiß, dass ihre Bekannten nicht in Görlitz wohnen möchten. Hauptgrund ist die Sprache. „Ohne Deutsch geht es hier im Alltag nicht, aber meine Bekannten sprechen kein Deutsch und können sich auch nicht vorstellen, schnell noch eine Sprache zu lernen.“ Das sei sicher für viele Polen eine große Hürde: „Auch ich konnte am Anfang kein Deutsch, das war sehr schwierig.“
Renata Urdas lebt schon seit 20 Jahren hier und betreibt ein Immobilienbüro in Görlitz. Die Kampagne sei nicht schlecht, um Görlitz bekannter zu machen, sagt sie. Görlitz sei für Polen wie sie tatsächlich ein guter Ort zum Leben: „Man hat Arbeit und auch sonst alles, was man braucht.“ Ein Päckchen habe sie aber nicht geschickt: „Ich kenne keine Polen, die in Großbritannien leben.“ Die Tochter von Freunden sei vor einem Jahr nach Görlitz zurückgekehrt, andere sind ihr nicht bekannt.
Polin sieht noch andere Zielgruppe
Der in Görlitz lebenden Kunsthistorikerin Katarzyna Zinnow geht es ähnlich: „Ich habe keine Verwandten in Großbritannien.“ Aber sie glaubt nicht, dass viele Polen aus Großbritannien nach Görlitz ziehen würden. Viele hätten sich bewusst für dieses Land entschieden. Aber Katarzyna Zinnow hat viele polnische Bekannte, die aus Westdeutschland nach Görlitz gezogen sind. Hier können sie weiter in Deutschland leben, aber sind trotzdem ganz nah an ihrer polnischen Heimat. In dieser Zielgruppe sieht die Kunsthistorikerin mehr Potenzial als in Brexit-Polen.
Hier geht es direkt zur Kampagne.