SZ + Görlitz
Merken

Kreis Görlitz: Das Pflegegeld reicht nicht mehr fürs tägliche Waschen

Arme Rentner in den Dörfern im Kreis Görlitz sind von den Preissteigerungen in der Pflege besonders betroffen. Eine Reichenbacher Pflegedienst-Chefin will darüber mit Berliner Politikern reden.

Von Constanze Junghanß
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Susann Kothe-Spieß ist Chefin des "Reichenbacher Pflegeteams" mit Sitz an der Löbauer Straße. Am Mittwoch fährt sie gemeinsam mit weiteren ländlichen Pflegediensten nach Berlin, um auf die Probleme aufmerksam zu machen.
Susann Kothe-Spieß ist Chefin des "Reichenbacher Pflegeteams" mit Sitz an der Löbauer Straße. Am Mittwoch fährt sie gemeinsam mit weiteren ländlichen Pflegediensten nach Berlin, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. © Constanze Junghanß

Eine prekäre Situation, die Susann Kothe-Spieß bereits erlebte: Ein einsamer, betagter Mensch auf dem Dorf, aus dem Wasserhahn kommt nur kaltes Wasser, weil das Heizen mit dem Ofen zu kräftezehrend ist, um das noch selbst zu machen. Alte Menschen, die gesundheitlich eingeschränkt und auf Pflege angewiesen sind, schaffen das nicht mehr alleine. In manchen Häusern auf dem Dorf ist der Ofen die einzige Heizquelle. Also hat die Pflegerin ihres Pflegedienstes erst einmal angefeuert, um Wärme in die Stube und die Wasserleitung zu bringen. Das kostet Zeit. Und Geld.

Susan Kothe-Spieß betreibt den ambulanten Pflegedienst „Reichenbacher Pflegeteam“. Ihre Mitarbeiter sind ebenso wie andere Pflegedienste im ländlichen Raum unterwegs. Sie erleben Situationen, die ihnen große Sorgen bereiten. Vor allem mittellose Senioren auf den Dörfern seien von den finanziellen Preissteigerungen in der Pflege direkt betroffen. Zwar gibt es für Menschen mit einem Pflegegrad Leistungen aus der gesetzlichen Pflegekasse, gestaffelt nach dem Grad der Pflege und gedacht beispielsweise für Hilfe beim Waschen und der Medikamenteneinnahme, für das Windeln wechseln und mehr. „Doch für das Geld gibt es immer weniger Hilfe“, sagt Susann Kothe-Spieß. Die Preise für diese Leistungen sind enorm gestiegen, was wiederum mit der gesetzlich geforderten Entlohnung in der Pflege, etwa 22 Euro je Stunde für Fachkräfte, zusammenhängt. Dagegen stiegen die Zuzahlungen der Kassen nicht in dem Maße, wie die Tariflöhne und die Inflation. Und so wird es für die Patienten teurer.

Die Markersdorferin macht das an einem Beispiel deutlich: Wo noch vor wenigen Jahren die rund 690 Euro Pflegesachleistung monatlich im Pflegegrad 2 für das tägliche Waschen, das Kämmen, das Nägel schneiden ausreichten, kommt der Pflegedienst für das Geld (aktuell im Pflegegrad 2 rund 760 Euro Pflegesachleistung) nur noch alle zwei Tage zur Grundpflege, weil die Kosten so sehr kletterten.

Sozialamt muss für viele Rentner einspringen

Wer mehr Unterstützung braucht, muss ins eigene Portemonnaie greifen. „Das können sich aber viele gar nicht finanziell leisten“, sagt Kothe-Spieß. Bei Mittellosen springt auf Antrag das Sozialamt des Landkreises Görlitz ein. „Da sind die Anträge auf eine solche Unterstützung im Kreis massiv gestiegen“, ist die Erfahrung der Fachfrau.

Sie wird durch aktuelle Zahlen des Kreises gestützt. So haben sich die Ausgaben zur Häuslichen Pflegehilfe im vergangenen Jahr praktisch verdoppelt und erreichen nun rund zwei Millionen Euro, die Zahl der Leistungsbezieher stieg um 283, die Zahl der Neuanträge belief sich auf 979 - vier Jahre zuvor registrierte der Kreis erst 400 Neuanträge im Jahr. Mittlerweile ist der Mehraufwand im Sozialamt so hoch, dass die Mitarbeiter nicht mehr hinterherkommen und mit Überlastungsanzeigen diese Situation auch aufgezeigt haben. Der Kreistag soll deshalb an diesem Mittwoch eine weitere Stelle zur Bearbeitung der Anträge auf eine Hilfe zur Pflege schaffen und einrichten.

Eine Rundumversorgung ist auch mit der Bezuschussung durch das Sozialamt nicht möglich. Und wie wirkt sich das aus, wenn das Geld weder vorne noch hinten ausreicht? „Möglicherweise müssen Patienten in vollen Windeln auf den nächsten Einsatz des Pflegedienstes lange warten“, bedauert die Pflegedienst-Chefin.

„Es brennt jedenfalls in der Pflege“, mahnt sie. Patienten gerade auf abgelegeneren Dörfern könnten immer schlechter versorgt werden, da Anfahrtswege lang und die Kosten durch Zeitaufwand und Sprit hoch sind. Orte wie Neißeaue, Groß Krauscha, Buchholz aber auch Lautitz und Maltitz hängen in der Warteschleife, da sich da die Fahrten für die ambulanten Dienste kaum mehr rechnen würden. Mit Bauchschmerzen schaut Susann Kothe-Spieß in die Zukunft: „Die nächste Generation bekommt noch knappere Renten, das sehe ich als große Gefahr.“

Stadt und Land sind nicht vergleichbar

Theorie seitens der politischen Vorgaben und die tatsächliche Praxis seien ein Unterschied, Stadt und Land schwer miteinander vergleichbar. „Wir müssen die Politik wachrütteln“, hat sich die Leiterin des Reichenbacher Pflegeteams vorgenommen. Seit Jahren sucht sie das Gespräch mit der Politik, hatte den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer nach Reichenbach in ihren Pflegedienst eingeladen, auch Jens Spahn, der ehemalige CDU-Bundesgesundheitsminister, war schon da.

Geändert hat sich nichts und Susann Kothe-Spieß kämpft gemeinsam mit anderen Pflegediensten aus der Region weiter. Dazu fährt sie am Mittwoch gemeinsam mit Pflegediensten aus Rothenburg, Hainewalde und Nossen nach Berlin zum Bundestag, um gegenüber Vertretern der CDU auf die prekäre Lage aufmerksam zu machen. „Wir wollen das auf eine höhere Ebene bringen, um gehört zu werden“, sagt sie, ist aber auch enttäuscht, dass andere Parteien beim Bund „kein Interesse an solchen Gesprächen gezeigt haben.“ Eine Reform der Kosten in der Pflege sei jedoch dringend notwendig, um für Patienten gleichsam wie für die Pflegedienste bessere Bedingungen zu schaffen.