SZ + Görlitz
Merken

"Ein Ende der Koalition hat eine Mehrheit bei Mitgliedern der FDP im Kreis Görlitz"

Kreisvorsitzende Kristin Schütz ist dennoch der Auffassung, dass Regieren besser ist. Im SZ-Interview sagt sie aber auch, was besser werden muss.

Von Sebastian Beutler
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Kristin Schütz will die Bundesregierung noch nicht aufgeben.
Kristin Schütz will die Bundesregierung noch nicht aufgeben. © Martin Schneider

Es ist ein bewegter Jahresauftakt für die FDP. In einer parteiinternen Abstimmung konnten die Mitglieder sich über den Verbleib der Partei in der Berliner Ampel-Regierung äußern, an diesem Sonnabend kommt die FDP-Spitze zum traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart zusammen und ab nächster Woche drohen Proteste von Bauern, Spediteuren und Handwerkern gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Wie die FDP-Vorsitzende im Kreis Görlitz, Kristin Schütz, die Lage sieht, erklärt sie im SZ-Interview.

Frau Schütz, ein Drittel der FDP-Mitglieder haben sich an der parteiinternen Abstimmung über einen Verbleib der FDP in der Ampelregierung beteiligt. 52 Prozent waren am Ende dafür. Sie auch?

Ja. Ich habe meinen Mitgliedern zu Weihnachten gesagt, jeder liebt den Verrat, aber niemand den Verräter. Wenn man unzufrieden ist mit der Arbeit der Regierung, muss man es besser machen, aber nicht hinschmeißen. Wahr ist aber auch: Nach den Diskussionen mit den Mitgliedern im Kreisverband habe ich den Eindruck, dass bei der Abstimmung im Kreis Görlitz unter den FDP-Mitgliedern sicher ein Ende der Koalition eine Mehrheit gefunden hat.

Wie unzufrieden sind Sie mit der Politik der Ampelregierung?

Wir haben uns 2021 in die Ampel begeben als FDP, um das Land zu verändern. Das hat eine große Mehrheit unter den FDP-Mitgliedern gefunden. Aber in der Zwischenzeit haben wir zu wenig herausgestellt, was wir alles erreicht haben, aber zugleich auch unter welch erschwerten Bedingungen. Denn den Ausbruch des Ukraine-Krieges und die wirtschaftlichen Folgen mit Inflation und hohen Energiekosten konnte zu Beginn dieser Regierung niemand ahnen.

Der Initiator der Abstimmung in der FDP, ein Mitglied wie Sie, hat jetzt erklärt, die Ampel-Politik sei nicht schlecht vermittelt, sondern einfach schlecht. Finden Sie das auch?

Nein. Das teile ich in dieser Schwarz-Weiß-Darstellung nicht.

Was läuft denn gut?

Erstmals haben wir es geschafft, die Einkommenssteuer durch den Ausgleich der kalten Progression zu senken. Damit werden Berufstätige umfassend entlastet. Das war zu Zeiten der Großen Koalition aus CDU und SPD nicht möglich. Der Grund- und Kinderfreibetrag sowie das Kindergeld sind erhöht, der Bundestag verkleinert, das Bafög reformiert, unbegrenzter Zuverdienst in der Rente ermöglicht und vieles mehr.

Die Menschen bewegt aber eher, dass alles teurer wird und dass selbst mit höheren Löhnen nicht wirklich mehr in der Geldbörse ist?

Zunächst einmal haben die Bürger mehr in der Tasche, die Löhne steigen, das Bürgergeld auch. Andererseits aber holt uns die Wirklichkeit ein und frisst die Inflation diese Erhöhungen zum Teil wieder auf. Die hohen Energiekosten schaden der Wirtschaft sehr, die Inflation macht den Leuten zu schaffen. Das sind nur zwei der Themen, die für Unmut unter der Bevölkerung sorgen. Andererseits wollen wir die Klimaziele erreichen, um unsere Welt zu erhalten. Dafür wurde 2019 durch CDU und SPD die Besteuerung von CO₂ beschlossen, deren Erhöhung wir zwar 2023 aussetzen konnten, nun aber durch den Wegfall des Energie- und Klimafonds erhöhen müssen. Sich für den Klimaschutz einzusetzen, begrüßen übrigens auch zwei Drittel der Bevölkerung.

Torsten Herbst (li.) aus Dresden ist einer der einflussreichsten FDP-Abgeordneten im Bundestag. Er setzt sich auch für viele Vorhaben im Landreis Görlitz ein.
Torsten Herbst (li.) aus Dresden ist einer der einflussreichsten FDP-Abgeordneten im Bundestag. Er setzt sich auch für viele Vorhaben im Landreis Görlitz ein. © Matthias Wehnert

Was erwarten Sie denn vor allem von der Bundesregierung?

Dass sie uns in den Regionen zuhört und unsere Hinweise und Kritiken ernst nimmt. Mit Beginn des Ukraine-Krieges haben wir auf die Situation vor Ort hingewiesen: auf die schädlichen Folgen der Embargo-Politik im Russland-Handel, auch auf die illusionären Vorstellungen, wie schnell die Ukraine-Flüchtlinge in Arbeit vermittelt werden können. Da geht es um die schnelle Anerkennung von Berufsabschlüssen und Sprachkompetenz, teilweise ist das auch Ländersache. Das gehört ja auch zu dem Problem: Die Länder haben im Oktober der Erhöhung des Bürgergelds im Bundesrat zugestimmt und im November sagen sie dann, das geht so nicht. Vor allem aber stört uns, die Außendarstellung der Regierung. Sie sollte erst die Probleme intern klären und anschließend mit den Lösungen nach außen treten.

Die FDP liegt bundesweit in Umfragen bei etwas mehr als fünf Prozent, in Sachsen eher bei ein, zwei Prozent. Ist das nicht eine schlechte Ausgangslage für dieses Wahljahr? Sie selbst wollen mit der FDP im Kreis Görlitz bei der Landtagswahl zehn Prozent erreichen.

Die Lage ist schwierig, das ist richtig. In erster Linie wollen wir in den kommenden Monaten zeigen, wie wichtig die FDP ist. Was für Erfolge es im Bund gibt und was im Freistaat nicht umgesetzt wird, weil es keine FDP im Landtag oder in der Regierung gibt.

Gerade im Handwerk, im Mittelstand sitzt der Frust tief über die schlechte Wirtschaftspolitik der Regierung und des grün geführten Wirtschaftsministeriums. Das waren mal Milieus, wo die FDP besonders gut abgeschnitten hat. Warum gelingt es ihnen nicht mehr, diesen Frust für sich zu gewinnen?

Der Frust ist angekommen. Aber Regierungshandeln geschieht nicht so, dass in einer Koalition von drei Partnern, einer alles durchsetzen kann und die anderen nichts. Der Wegfall des Agrardiesel-Zuschusses hat das Wirtschaftsministerium vorgeschlagen. Wir können nicht alles verhindern. Die Verständigung vom Donnerstag hinsichtlich der nun nur schrittweisen Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel bis 2026 trägt eine starke Handschrift der FDP.

  • Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.

Würden Sie als FDP in eine Regierung mit der AfD in Sachsen eintreten?

Nein, da wäre auch meine Schmerzgrenze erreicht.

Können Sie sich eine Situation vorstellen, wo die Regierung in Berlin jetzt doch noch scheitert?

Ich wüsste nicht, an welcher Stelle das noch passieren könnte. Die Grünen haben in den vergangenen zwei Jahren so viele Kröten schlucken müssen - ich denke an die Verschärfung der Asylpolitik, an das Investitionsbeschleunigungsgesetz, schauen Sie sich an, wie schnell es geht, ein LNG-Terminal in der Nordsee zu errichten -, das muss man auch erst mal politisch verkraften.

Die Repräsentationslücke zwischen Berlin und dem Kreis Görlitz ist so groß wie nie zuvor. Auch schon während der Schröder-Regierung wählten die Menschen hier mehrheitlich andere Parteien als die, die damals die Regierung bildeten. Aber es gab mit dem direkt gewählten CDU-Abgeordneten noch jemand, der sich auch dem Gemeinwohl verpflichtet fühlte und sich für Projekte in der Region einsetzte. Dieses Mal ist alles anders. Der direkt gewählte Abgeordnete ist AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der gegenüber Journalisten frei eingeräumt hat, dass er sich in Berlin nicht für spezielle regionale Projekte einsetzen will. Und die Koalitionsparteien haben bei der Wahl etwas mehr als 20 Prozent im Kreis Görlitz erhalten. Ist deswegen vielleicht auch die Stimmung so schlecht, weil die Erwartungen so auseinandergefallen sind?

Es ist schade, wenn Ihre Wahrnehmung so ist. Wir haben mit dem FDP-Abgeordneten Torsten Herbst einen Politiker im Bundestag, der sich sehr für den Kreis Görlitz einsetzt und im wichtigen Haushaltsausschuss sitzt. Auch in der Region ist er sehr oft unterwegs und informiert sich. Vorhaben wie die Etablierung des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz oder des Bauforschungszentrums in Bautzen unterstützt er genauso wie das Wachsmannhaus in Niesky oder auch das Unternehmen Spekon, das sehr unter der Embargopolitik leidet. Aber ich beobachte schon, dass es der CDU mit ihren Vertretern in den Kommunen und beim Kreis nicht so leicht fällt, auf einen FDP-Abgeordneten zuzugehen und mit ihm gemeinsam zu arbeiten. Aber die Situation mit starken AfD-Ergebnissen ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich langfristig, in Verantwortung der CDU, abgezeichnet.

Und was sagen Sie zum AfD-Abgeordneten Chrupalla?

Er ist das beste Beispiel dafür, dass eine Stimme für die AfD eine verlorene Stimme ist.