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Prozess am Landgericht Görlitz: So leicht findet die Schleusermafia Fahrer

Ein Leipziger Architekt muss sich seit Mittwoch vor dem Görlitzer Landgericht für sechs Fahrten mit 150 Flüchtlingen verantworten - und gesteht.

Von Frank Thümmler
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Der angeklagte Architekt (links) mit seinem Verteidiger Rechtsanwalt Roman Sommer im Gerichtssaal im Landgericht Görlitz.
Der angeklagte Architekt (links) mit seinem Verteidiger Rechtsanwalt Roman Sommer im Gerichtssaal im Landgericht Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Eigentlich war es nur eine einfache Mitfahrgelegenheit. Der heute 50-jährige, deutsche Architekt wollte mit seinem VW-Bus aus dem Westen des Landes Richtung Berlin und hatte seine Fahrt über eine Online-Plattform im Internet angeboten. Mitfahren wollte nur ein Syrer. Man kam ins Gespräch. Der Syrer meinte, dass sich heutzutage mit einem solchen Fahrzeug, noch dazu mit verdunkelten Scheiben, viel leichter viel Geld verdienen ließe – mit dem Transport von Flüchtlingen über die Grenze nach Deutschland - und dass er das organisieren könne. Der Architekt, persönlich und beruflich gerade in einer Krise und damit in akuten Geldnöten, überlegte nicht allzu lange.

In Polen und Ungarn schon erwischt

Eine Woche später wagte der Architekt die erste Fahrt, wurde noch in Polen erwischt. Er kam für drei Monate in Untersuchungshaft, Kleintransporter und auch der für seinen Beruf sehr wichtige Laptop mit Architekten-Software wurden beschlagnahmt. Beides hat er bis heute nicht wieder. Seine persönliche und finanzielle Situation hatte sich noch einmal erheblich verschlechtert.

Die irre Idee, seine Probleme mit einem Verdienst als Schleuserfahrer zu lösen, gab der Architekt deswegen noch lange nicht auf. Auch nicht, als er bei einer nächsten Fahrt in Ungarn wieder ertappt und dort zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Nach einem Jahr, im Mai 2023, kam er raus aus dem Gefängnis mit der Auflage, Ungarn binnen 72 Stunden zu verlassen.

Zu Hause in Deutschland, der Architekt lebte in Leipzig, waren die Probleme inzwischen noch größer. Schulden waren weiter aufgelaufen, die Wohnung zwangsgeräumt, das Mobiliar weg. Der Architekt hatte alsbald wieder Kontakt mit seinem syrischen "Organisator", absolvierte zwischen dem 13. Juli und dem 29. August 2023 insgesamt sechs Fahrten von der Slowakei nach Deutschland, organisiert immer auf die gleiche Weise.

Gemeinsam mit dem Syrer (der bezahlte) wurde auf den Namen des Architekten ein Transportfahrzeug gemietet, für nur einen Tag. Der Architekt, der noch Spritgeld mitbekam, fuhr Richtung Bratislava, wo er dann über sein Handy den genauen Standort für "seine Ladung" mitgeteilt bekam. Er lud die Flüchtlinge, wohl ausnahmslos Syrer, in sein Fahrzeug und fuhr damit über Polen nach Deutschland, reiste wohl über die A 4 in Ludwigsdorf ein und setzte die Flüchtlinge dann in der Gegend um Bautzen ab, dokumentierte das mit seinem Handy (was ihn später auch verriet).

Er schleuste so 17, 12, 16, 50, 18 und 40 Flüchtlinge ein, und erhielt pro Flüchtling rund 100 Euro, insgesamt etwa 10.000 Euro. Für die letzte Fahrt nicht, denn nach dem Absetzen der Flüchtlinge wurde er von der Polizei an der Autobahn in Dresden bei einer Kontrolle durch Zivilfahnder der Bundespolizei gefasst und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Das alles gestand der 50-Jährige am Mittwoch beim ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Görlitz unter Vorsitz von Richter Uwe Böcker.

Verständigung vor Gericht scheitert

Fast wäre es zu dem Geständnis vor Gericht nicht gekommen, denn nach der Anklageverlesung war eine Verständigung über das Strafmaß gescheitert. Richter Böcker hatte gegen ein allumfassendes Geständnis eine Strafe zwischen drei Jahren/neun Monaten und vier Jahren in Aussicht gestellt.

Dem Staatsanwalt war das zu wenig, dem Angeklagten und seinem Verteidiger zu viel. Schließlich gestand der Architekt auch ohne Deal alles, streitet aber zwei wesentliche Bestandteile der Anklage ab: Er sei nicht Mitglied einer Bande gewesen, und der durchgeführte Transport der Flüchtlinge, in aller Regel sitzend auf der Ladefläche, sei alles andere als menschenunwürdig oder lebensgefährlich gewesen. Er habe Pausen gemacht, für frische Luftzufuhr gesorgt und sei vorausschauend gefahren, ohne Raserei und plötzliche Bremsmanöver zum Beispiel.

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In der Anklage steht das anders. Demnach hat es eine Bande gegeben - mit dem Organisator, dem jetzt angeklagten Architekten als Fahrer und mindestens einem weiteren Syrer, der dem Architekten auch das "verdiente" Geld in bar brachte. Das Gericht unter Vorsitz von Uwe Böcker muss also klären, ob sich das deutlich strafschärfende "Bandenmäßige" beweisen lässt, zumal der Verteidiger ausführt, dass die dafür notwendigen Absprachen zur Aufgabenteilung völlig gefehlt hätten.

Zweiter zentraler Punkt der Beweisaufnahme dürften die Zustände im Auto während der Schleusung sein. Angeklagt ist auch eine lebensgefährdende Art und Weise des Einschleusens, auch weil der Architekt gerast sein soll, sodass die Insassen teilweise über die Ladefläche geflogen seien. Einige der Geschleusten sollen als Zeugen gehört werden, so sie denn erscheinen.

Insgesamt sind sechs weitere Verhandlungstage angesetzt. Der Versuch des Gerichts, angesichts des Geständnisses das Procedere zu verkürzen, schlug zumindest vorerst fehl. Ein paar Pluspunkte dürfte der Angeklagte aber bereits gesammelt haben. Seine Kooperation führte dazu, dass die beiden anderen Beteiligten und eine Frau, die einmal als Begleiterin dabei war, bei einer Razzia gefasst werden konnten.