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Blick nach vorn richten, kleine Ziele stecken

Notfallseelsorgerin Gerlinde Franke äußerte sich im November optimistisch, erkrankte dann selbst an Corona und rät nun zum Annehmen der Situation.

Von Catharina Karlshaus
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Gerlinde Franke arbeitet seit vielen Jahren als Notfallseelsorgerin. Die Corona-Krise stellt aus ihrer Sicht für viele Menschen eine große psychische Herausforderung dar.
Gerlinde Franke arbeitet seit vielen Jahren als Notfallseelsorgerin. Die Corona-Krise stellt aus ihrer Sicht für viele Menschen eine große psychische Herausforderung dar. © Archivfoto: Kristin Richter

Großenhain. An manchen Tagen fühlt sie sich immer noch wie erschlagen. Ausgelaugt und kaputt. Vor allem die Fähigkeit, sich längere Zeit auf etwas konzentrieren zu können, sei nicht in jenem Maß zurückgekehrt, wie sie es selbst von sich gewöhnt ist. "Ganz offen gestanden hätte ich nicht gedacht, dass der gesamte Körper tatsächlich so arg in Mitleidenschaft gezogen wird", bekennt Gerlinde Franke.

Wie die Leiterin der diakonischen Migrationsberatung des Landkreises Meißen betont, sei sie dabei dennoch sehr dankbar, dass sie vergleichsweise gut davongekommen ist. Immerhin wäre ein großer Teil ihrer Mitarbeiter im Dezember mit dem ansteckenden Coronavirus infiziert gewesen. "Wir haben selbstverständlich die Regeln befolgt und hygienische Maßnahmen ergriffen. Aber unsere Arbeit, die Begleitung von Menschen in den unterschiedlichsten Situationen, besteht nun mal zu einhundert Prozent aus dem Kontakt", gibt Gerlinde Franke zu bedenken. Innerhalb kürzester Zeit seien viele ihrer Kollegen erkrankt gewesen - und zwar richtig. Die Nachwirkungen wären bei den meisten bis heute deutlich zu spüren. Während die einen noch immer keinen Geruchs- und Geschmackssinn zurückerlangt hätten, fühlten sich die anderen nach wenigen Arbeitsstunden sehr ermattet oder bekämen wie sie selbst noch immer schlecht Luft.

Nichtsdestotrotz will die Frau, deren Nummer gern mal in ganz besonderen Situationen des Lebens gewählt wird, nicht klagen. Seit über 20 Jahren als Notfallseelsorgerin in allen Teilen des Landkreises Meißen tätig, beherrscht sie selbstverständlich jene Mechanismen, auf die es gerade in diesen Tagen ankommt. "Mir ist bewusst, dass es jetzt für ganz viele Menschen alles andere als leicht ist! Entweder ringen sie darum, gesund zu werden, sorgen sich um betroffene Angehörige oder hadern aus ganz unterschiedlichen Gründen mit der gegenwärtig tatsächlich sehr außergewöhnlichen Lebenssituation", weiß Gerlinde Franke.

Als Kind wochenlang Quarantäne wegen Gelbsucht erlebt

Es sei unbestritten, dass die Psyche momentan sehr viel zu verarbeiten habe und die meisten Leute dabei auf wenig vergleichbare Dinge im Laufe ihres Lebens zurückgreifen könnten. "Ich dagegen erinnere mich beispielsweise daran, als siebenjähriges Kind mit meiner ganzen Familie in Gelbsucht-Quarantäne gewesen zu sein! Da waren die Anordnungen noch strikter, und die Krankenhausaufenthalte meiner Angehörigen beliefen sich auf bis zu vier Monate", erzählt Gerlinde Franke.

Sie macht keinen Hehl daraus, dass jetzt aber auch ihr die alltäglichen kleinen Begegnungen mit Freunden und Bekannten fehlten. Stattdessen hätte die Familie seit vielen Jahren erstmals wieder Nikolauspakete verschickt, und selbst geschriebene Briefe der Enkel wären zur Weihnachtszeit ins Haus geflattert. "Gleichzeitig erlebe ich, dass Familien mit Kindern im Einklang von häuslichem Lernen und zeitgleicher Berufstätigkeit nach all den Monaten nun kräftemäßig so langsam an ihre Grenzen stoßen. Jedoch wird mir durch meine Mitarbeiter auch gezeigt, das Freizeitaktivitäten jetzt mehr in Familie gestaltet werden und sich dies positiv auf das gemeinsame Leben auswirkt", berichtet Gerlinde Franke.

Es sei wichtig, sich mit solchen unvorhersehbaren Ausnahmesituationen auseinanderzusetzen und nicht in Schuldzuweisungen zu verfallen. Vielmehr stelle sich die Frage: Wo stehe ich gerade? Wie gehe ich mit den Umständen um, brauche ich Hilfe? Verschiedene Beratungsstellen wären telefonisch und per Mail zu erreichen. Schwierig würde es, wenn sich Menschen komplett in sich zurückziehen. Hierfür sollten Freunde und Familie ein offenes Ohr haben. Und auch wenn Pläne schmieden in dieser Zeit sehr schwer sei und die Pandemie einen großen Teil des Alltag bestimme: Es tue Geist und Seele gerade jetzt gut, den Blick nach vorn zu richten und sich kleinste Ziele zu stecken. Vor allem jene, die Freude bereiteten.

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