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Großenhain: Wölfe im Jogger-Gelände gesichtet

Zwei der Tiere wurden jetzt am helllichten Tag auf dem "Exer" nahe der Kläranlage im Großenhainer Ortsteil Kleinraschütz gesehen. Ein Grund zur Sorge?

Von Thomas Riemer
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Aus diesem Blickwinkel hat Elisabeth Lorenz im April zwei Wölfe beobachtet. Müssen sich die Großenhainer jetzt sorgen?
Aus diesem Blickwinkel hat Elisabeth Lorenz im April zwei Wölfe beobachtet. Müssen sich die Großenhainer jetzt sorgen? © Kristin Richter

Großenhain. Elisabeth Lorenz gesteht, dass sie einigermaßen verdutzt war. Am 20. April wollte die Geschäftsführerin des Abwasserzweckverbandes Gemeinschaftskläranlage Großenhain in ihrem Büro in Kleinraschütz gerade das Fenster schließen und noch mal Blumen gießen, als sie zwei Wölfe erblickte. Das war so gegen 15.30 Uhr - also am helllichten Tag. Die Tiere seien "ganz entspannt in den Büschen verschwunden", erzählt sie. "Wahrscheinlich hatten sie eine Fährte aufgenommen."

Nein, generell habe sie keine Angst vorm bösen Wolf, fügt Elisabeth Lorenz hinzu. Doch sie sagt auch, dass sie kein "Fan" der Ansiedlung in unseren Breiten ist. Denn aus Gesprächen mit Jägern wisse sie, dass diese anderswo durch Wölfe bereits ihre Jagdhunde eingebüßt haben, sich selbst sogar "freischießen" mussten. Zudem ist gerade das Areal des früheren "Exers" in der Kleinraschützer Heide beliebtes Terrain für Jogger und Hundehalter für die Gassi-Runde. Und: zur nächsten Wohnbebauung auf der Skassaer Straße sind es Luftlinie höchstens 400 Meter.

Im Rathaus schon bekannt

Im Großenhainer Rathaus ist die Wolf-Sichtung bekannt, allerdings sei es nach langer Zeit auch der einzige Hinweis gewesen, so Stadtsprecherin Diana Schulze. Generell gebe man derartige Informationen an die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamtes weiter. Diese stimme sich dann mit der Fachstelle Wolf ab. "Jeder, der Wölfe - und dies ist in unserer Region überall möglich - sichtet, sollte grundsätzlich die Fachstelle Wolf informieren, welche extra dafür eingerichtet wurde und die entsprechende Fachkompetenz besitzt", rät Diana Schulze.

Elisabeth Lorenz macht sich sehr viele Gedanken, auch wenn "wir leider mit der Ansiedlung dieser Tiere leben müssen". Denn sie sorgt sich generell um die Wildtierbestände in den betroffenen Regionen. Rotwild sei ständig auf der Flucht vor Wölfen, und angesichts aktueller Wald-Umzäunungen wegen der Schweinepest "hat der Wolf leichtes Spiel". Er könne schließlich jeden Zahn überwinden, während beispielsweise junge Rehe dort hängenbleiben würden. Die Sinnhaftigkeit dieser Zäune erschließt sich Elisabeth Lorenz nicht. "Wir maßen uns da etwas an, ohne einen Erfolg bei der Bekämpfung der Schweinepest zu sehen", kritisiert sie die politischen Vorgaben.

Dezember 2019: Ein oder mehrere Wölfe haben ein Schaf an der Röder nahe dem Kaufland in Großraschütz getötet. Anwohner sind ob solcher Vorfälle beunruhigt.
Dezember 2019: Ein oder mehrere Wölfe haben ein Schaf an der Röder nahe dem Kaufland in Großraschütz getötet. Anwohner sind ob solcher Vorfälle beunruhigt. © Kristin Richter

Von der Fachstelle Wolf heißt es auf Anfrage, dass im Monitoringjahr 2020/2021 in Sachsen zwei Rudel bestätigt worden sind, die ihr Territorium zumindest zum größten Teil im Landkreis Meißen haben: das Rudel Raschütz und das Rudel Großenhain. Zudem hätten zwei weitere Rudel, Königsbrück II und Laußnitzer Heide, einen Teil ihres Territoriums im Landkreis Meißen.

Im vergangenen Sommer seien im Rudel Großenhain fünf Welpen nachgewiesen worden. Aus dem Rudel Raschütz seien bisher keine Nachweise von Welpen für den vergangenen Sommer bekannt. Von dort vermutet die Fachstelle "am ehesten Wölfe aus diesem Rudel", so Karin Bernhardt, Sprecherin des Sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. "Es können jedoch auch andere Wölfe auf Wanderschaft infrage kommen", fügt sie mit Blick auf die Großenhainer News hinzu.

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Befürchtungen, Unruhe bei Anwohnern - dafür hat die Sprecherin durchaus Verständnis. "Es ist nachvollziehbar, dass es für Anwohner befremdlich ist, auch Wölfe in der Nähe von Ortschaften beziehungsweise Wohnbebauungen zu sehen. Wildtiere, die in einer Kulturlandschaft leben, müssen zwangsläufig an Wohnsiedlungen vorbeilaufen oder diese queren. Das trifft auch auf den Wolf zu. Die sächsischen Wolfsterritorien sind im Mittel etwa 150 bis 200 Quadratkilometer groß. Innerhalb der Territorien liegen demnach fast immer auch Siedlungen", so Karin Bernhardt.

Das sei keine neue Entwicklung und unproblematisch, so lange Wölfe die Orte nicht gezielt aufsuchen, weil sie zum Beispiel auf Kompost- oder Misthaufen regelmäßig Nahrung finden. Meist, so die Sprecherin, kommen Wölfe, wie die meisten Wildtiere, eher abends, nachts und in den Morgenstunden an Wohnsiedlungen heran. "Gelegentlich kann es jedoch auch am Tag vorkommen."

Hunde, bitte an die Leine!

Dennoch sei die Anwesenheit von Wölfen in einem Gebiet kein Grund dafür, sein Freizeitverhalten zu ändern. "Hundehalter sollten jedoch ihre Hunde an der Leine führen, weil es zu Konflikten kommen kann, wenn ein frei laufender Hund auf einen Wolf trifft", räumt Karin Bernhardt ein.

Dennoch beschwichtigt die Sprecherin riesige Bedenken oder gar Ängste. "Wölfe haben keine direkte Angst vor Menschen, sie haben aber auch kein Interesse und sind vorsichtig", erklärt sie. Meist gingen Wölfe Begegnungen mit Menschen aus dem Weg. Wobei junge Wölfe neugieriger und weniger vorsichtig reagieren könnten als ältere Tiere.

Verhaltenstipps seitens der Fachstelle sind schnell zusammengefasst: Sollte sich der Wolf bei einer Begegnung nicht zurückziehen: bemerkbar machen, langsam zurückgehen, reden, rufen oder in die Hände klatschen. "Falls der Wolf Ihnen wider Erwarten folgt, bleiben Sie stehen und schreien Sie ihn an. Versuchen Sie ihn einzuschüchtern, indem Sie sich groß machen, wild gestikulieren und eventuell etwas nach ihm werfen."

Helfen Schweinepestzäune dem Wolf?

Ob das bei einer "normalen" Begegnung wirklich hilft? Und was ist mit den Umzäunungen im Zuge der Schweinepest-Bekämpfung? "Bisher gibt es keine Erfahrungen dazu, ob die Zäune, die zum Schutz vor der Afrikanischen Schweinepest errichtet wurden, dem Wolf die Jagd erleichtern können, indem sie für die Beutetiere Hindernisse darstellen", sagt Karin Bernhardt. Klar sei aber, dass die ASP-Zäune Auswirkungen auf alle Wildtiere, also auch auf den Wolf, haben und Barrieren darstellen können.

Großenhains öffentliche Erfahrungen mit dem Wolf waren bislang eher spektakuläre Nachrichten. Ende 2019 gab es zwei Schafsrisse - ebenfalls nahe von Wohnbebauung beziehungsweise öffentlichen Einrichtungen. Beide Ereignisse wurden dem Wolf zugeordnet. Die Angst ist da - und sie bleibt.