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Über sieben Stunden an der persönlichen Leistungsgrenze

Ralf Kretschmer aus Nasseböhla hat zum 30. Mal den Wasalauf absolviert. Für den 65-Jährigen ein ganz besonderes Highlight.

Von Thomas Riemer
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Start zum 100. Wasalauf am 3. März: 16.000 Sportler nahmen teil, darunter auch Ralf Kretschmar aus Nasseböhla.
Start zum 100. Wasalauf am 3. März: 16.000 Sportler nahmen teil, darunter auch Ralf Kretschmar aus Nasseböhla. © TT NEWS AGENCY via AP

Großenhain. Drei Tage nach dem Wettkampf ist Ralf Kretschmer schon wieder sehr erholt und entspannt und freut sich auf den Freitag. Denn da kommen endlich seine Enkel wieder zu Besuch. Nach wochenlanger, selbst auferlegter Pause. Denn Ralf Kretschmer ist jedem Risiko aus dem Weg gegangen. Nichts wäre schlimmer für ihn gewesen, als sich vor dem 3. März einen Schnupfen "einzufangen".

Der Grund: Der Mann aus Nasseböhla bei Großenhain hatte ein Ziel vor Augen: Mit 65 Jahren wollte er unbedingt zum 30. Mal in Folge am legendären Wasalauf, dem Skimarathon über 90 Kilometer in Schweden, teilnehmen - ein lang ersehntes Ziel. Dem ordnete sich - wie auch in den Vorjahren - alles unter.

Ralf Kretschmer hat es geschafft. Unter 16.000 Teilnehmern landete bei der 100. Auflage des Events er nach sieben Stunden, vierzehn Minuten und vierzehn Sekunden auf dem 2.938. Platz. „Es war wegen der äußeren Umstände ein sehr schwerer Lauf, am Ende aber einer meiner stärksten“, erzählt er. Denn: Am Start herrschten "Albtraumbedingungen". Plusgrade und Regen hatten das Areal neben dem Starterfeld in Schlammwüsten verwandelt. Als Kretschmer aus dem Auto stieg, sackte er zentimetertief in den Acker. Mit total verdreckten Schuhen erreichte er das Tor zur Startgruppe 4. Dort zog er die sauberen Skischuhe an und verstaute die dreckigen, eingewickelt in einen Müllbeutel, in dem Rucksack, der zum Ziel transportiert wird.

Auf der Strecke selbst lief es dann aber richtig gut für ihn. Vor allem wieder im letzten Teilstück. "Da habe ich sogar in den Anstiegen viele Läufer überholt", freut er sich. Was vielleicht am guten Material lag - seine Skier hatte er sich von einem Experten präparieren lassen.

Kurz nach dem Zieleinlauf: Ralf Kretschmer hält die Medaillen des 100. Wasalaufes in der Hand. Für in war es die 30. Teilnahme.
Kurz nach dem Zieleinlauf: Ralf Kretschmer hält die Medaillen des 100. Wasalaufes in der Hand. Für in war es die 30. Teilnahme. © Foto: privat

Doch es war wohl insgesamt die ihm eigene akribische Vorbereitung auf das Highlight. "Die Formsteuerung in der Vorbereitung hat absolut gestimmt", sagt Ralf Kretschmer. Im Klartext: Er war auf den Moment topfit. Mit seinen 65 Lenzen sei er "über sieben Stunden an meine persönliche Leistungsgrenze gegangen".

Er hat sein Rennen vom 3. März genau analysiert. Und festgestellt: "Bei besseren Bedingungen wäre eine Leistung wie 2005 möglich gewesen." Da hatte er mit einer ungeheuren Willensleistung den aus seiner Sicht besten Wasalauf absolviert und mit Anfeuerung von Ehefrau Kerstin auch die begehrte Medaille für "Siegerzeit plus 50 Prozent" errungen. Eine von sechs. Kerstin war auch beim Jubiläumslauf dabei und im Ziel eine wertvolle Hilfe.

Dieser Wasalauf war für den Nasseböhlaer ein ganz besonderer. Nicht nur, weil es der 100. überhaupt war. Denn mit mit 30 Teilnahmen stieg Ralf Kretschmer in den "Veteranen-Club" auf. Als zweiter deutscher nach einem Sportler aus Wolfenbüttel. Was bedeutet: Er darf ab kommendem Jahr mit einer personifizierten Startnummer ins Rennen gehen. "Deshalb wird es dann für mich eine Zugabe geben - sozusagen der Rausschmeißer", sagt er lachend. Und lässt trotzdem offen, ob die 31. Teilnahme wirklich seine letzte sein wird.

Bei diesem Gedanken wird er nachdenklich. "Ich fühle mich zwar wie ein Mittvierziger", sagt er. Und hält beständig sein Wettkampfgewicht von etwa 67 Kilo. Doch die Sportwissenschaft sagt auch: Ab einem Alter von etwa 50 Jahren geht es "langsam abwärts", das ist nicht aufzuhalten. Ralf Kretschmer nimmt das zur Kenntnis, kennt seine Grenzen. „Der Sport bringt für mich zwar ein paar Entbehrungen mit sich, aber auf der anderen Seite einen enormen Gewinn an Lebensqualität, den man nicht hoch genug bewerten kann“, macht er deutlich.

Keinen seiner nun 30 Wasaläufe hat er vorzeitig beendet. Und bis heute die vierte Startgruppe - mit einer kurzen Pause - erfolgreich verteidigt. Das hat den begnadeten Athleten gewurmt. Die 30 Jahre hat er inzwischen für sich in vier Etappen geordnet. Der Analytiker eben. Die erste reichte von 1995 bis 1997. "Da hatte der Wasalauf für mich den Charakter eines Volkssportlaufes", sagt er. Von 1998 bis 2012 sei er dann "ehrgeizig und leistungsorientiert" nach Schweden gereist. Bis 2015 gab es einen kleinen "Durchhänger" und den vorübergehenden Rückfall in die fünfte Startgruppe. "Da habe ich weniger und nicht intensiv genug trainiert", blickt Ralf Kretschmer selbstkritisch zurück. Die Gründe kennt er. Gerade war er nach Arbeitslosigkeit wieder ins Berufsleben zurückgekehrt - das forderte seinen Tribut.

Deshalb holte er sich 2015 neue Motivation bei einem Trainingscamp mit dem heutigen Skilanglauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder. Kretschmer nennt es seine "semiprofessionelle Phase", die ihn ungeheuer motivierte. Auch ausrüstungstechnisch, wie einräumt, habe er seitdem "aufgerüstet, ohne jeden Wahnsinn mitzumachen". Das Ergebnis gibt ihm recht. Seitdem geht er viele Dinge professioneller als früher an und konnte dadurch den altersbedingten Leistungsabfall bislang weitgehend kompensieren.

Seinen 31. Wasalauf will er auf jeden Fall noch absolvieren. Schon wegen des Veteranen-Status. Wie es danach weitergeht, lässt der Nasseböhlaer offen. Als "Ski-Rentner" mag man ihn sich tatsächlich noch nicht ernsthaft vorstellen.