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Der Tod ist besser als das, was wir im Iran erleben

Die Iranerin Nina Houshmand lebt seit drei Jahren in Deutschland. Sie ist Fotografin und Aktivistin – das Regime hat sie dazu gemacht, sagt sie.

Von Johanna Lemke
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„Ich bin davon überzeugt, dass ich all diese schlimmen Geschichten genau darum erlebt habe, um heute dafür zu kämpfen, dass sich Dinge in meinem Land ändern“, sagt Nina Housmand. 2019 floh die heute 34-Jährige aus dem Iran nach Deutschland.
„Ich bin davon überzeugt, dass ich all diese schlimmen Geschichten genau darum erlebt habe, um heute dafür zu kämpfen, dass sich Dinge in meinem Land ändern“, sagt Nina Housmand. 2019 floh die heute 34-Jährige aus dem Iran nach Deutschland. © kairospress

Diese Pflanzen in meiner Wohnung in Dresden habe ich alle zusammen bekommen. Ein Restaurant musste schließen und hat sie auf Ebay verkauft. Ich liebe Pflanzen und bin sehr glücklich, von so viel Grün umgeben zu sein.

Wenn Sie nach meiner Geschichte fragen, brauchen Sie Zeit. Wundern Sie sich nicht, wenn ich lächle, obwohl ich schlimme Dinge erzähle. Meine Freunde fragen mich immer: „Nina, wie kannst du lächeln bei all dem, was du erlebt hast?“ Doch ich kann nichts dagegen tun, ich bin nun mal ein Mensch, der viel lächelt.

Ich wuchs auf in Schiras, einer Stadt im südlichen Iran. Später zog ich in die religiöse Stadt Maschad. Ich wollte immer Künstlerin werden, aber meine Eltern sagten: „Mach etwas Ordentliches“. Also studierte ich Elektroingenieurwesen. Mit 19 drängten sie mich, meinen damaligen Freund zu heiraten. Damit begann alles Übel. Er schlug und kontrollierte mich. Ich wollte mich scheiden lassen, doch im Iran kann nur der Mann eine Scheidung fordern. Die Richter meinten, mein Mann habe das Recht, mich zu schlagen. Einer der Richter sagte zu mir, wenn ich mit ihm schlafen würde, könne er die Scheidung bewilligen. Natürlich tat ich das nicht! Ich wollte einfach nur mein Recht.

Nach zwei Jahren Prozess wurden wir geschieden. Ich begann als Ingenieurin zu arbeiten, aber ich hatte keine Freude an der Arbeit. Ich wollte Fotografin werden. Als geschiedene und unabhängige Frau hat man immer noch deutlich weniger Rechte als Männer, beispielsweise einen Kredit für eine Kamera zu bekommen war sehr schwierig. Als ich es endlich geschafft hatte, war ich glücklich. Doch leider blieb es nicht dabei.

Hätten sie die Speicherkarte gefunden, wäre ich jetzt tot

Auf der Straße habe ich oft kein Kopftuch getragen, weil es der einzige Weg war, um gegen die Hijab-Pflicht zu protestieren. Später begann ich in kurzen Videos auch die Regierung zu kritisieren. Ich habe meine Videos nie veröffentlicht, meine Freunde wussten aber von meinen Aktionen. Doch einer meiner „Freunde“ verriet mich: Eines Tages klingelte es an der Tür: Durch den Spion erkannte ich, dass es Polizisten in Zivil waren. Ich rief sofort meine Mutter an, denn alle im Iran wissen: Wenn keine Zeugen dabei sind, dann wird es gefährlich. Ich saß mit dem Rücken gegen die Tür gedrückt, die die Polizisten mit Gewalt zu öffnen versuchten. Irgendwann schafften sie es. Eine Polizistin packte mein Haar und schleuderte mich auf den Boden. In diesem Moment kam meine Mutter die Treppe hoch, das war meine Rettung. Die Polizisten zeigten den Durchsuchungsbefehl der Revolutionsgarde – aber es gab keine Gründe! Sie hatten nichts und suchten nach irgendetwas, das mich verdächtig machen könnte. Sie zerstörten meine Wohnung, nahmen alle elektronischen Geräte mit, meinen PC, meine Kamera. Doch was sie nicht fanden, war eine Speicherkarte, auf der ich alle meine regierungskritischen Videos hatte. In einem unbemerkten Moment konnte ich sie unter die Matratze schieben – hätten sie sie gefunden, wäre ich heute tot.

Das Universum wollte, dass ich es schaffe

Ein Jahr dauerte mein Prozess. Ich musste mich gegen herbeigezogene Vorwürfe verteidigen. Sie wollten herausfinden, für wen ich arbeite. Am Ende konnten sie nichts beweisen – aber ich war zerstört. Sie hatten meine Kamera und mein Handy demoliert, mein Bankkonto auf null gesetzt und mir die Arbeitserlaubnis entzogen. Am schlimmsten war, dass ich niemandem mehr traute.

Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich mich nicht als Aktivistin bezeichnet, auch nicht als Feministin. Ich hatte ja nur privat die Umstände kritisiert und wollte einfach Gerechtigkeit, das war schon früh so bei mir. Aber durch all die Repressionen wurde ich zur politischen Aktivistin. Sie haben mich dazu gemacht.

Ich wollte nicht mehr leise sein. Ich hatte einige Follower auf Instagram und begann nun offensiv, Filme gegen das Regime zu teilen und eigene Videos zu machen. Mir wurde aber auch klar, dass ich im Iran nicht mehr sicher war. Eine Freundin erzählte mir von einem neuen Visa-Programm in Deutschland für Ingenieurinnen und Ingenieure. Ich rechnete nicht damit, genommen zu werden, aber es klappte wirklich: Ich bekam das Visum. Das war wie ein Wunder. Das Universum wollte, dass ich es schaffe.

Lieber sterbe ich, als vergewaltigt zu werden

Kurz bevor ich nach Deutschland kommen konnte, passierte noch etwas Schreckliches. Ich war in Teheran, um mein Visum abzuholen. Mit dem Visum in meinem Rucksack ging ich an einer großen Straße entlang zum Flughafen, um in meine Heimatstadt zurückzukehren. Ich fragte einen Mann nach dem Weg – doch er lenkte mich in ein Gebüsch und packte mich. Passiert mir das jetzt wirklich, mit dem Ticket in die freie Welt in der Hand?, dachte ich. Er hatte ein Messer und drückte mir die Kehle zu. „Entweder ich vergewaltige dich oder ich töte dich.“ Ich wusste: Lieber sterbe ich, als vergewaltigt zu werden. Darum wehrte ich mich mit aller Kraft und biss ihm so fest in die Hand, bis er blutete. Er geriet in Panik und ließ von mir ab. Das Gesicht voller Blut schleppte ich mich an der Straße entlang, doch niemand hielt an, um mir zu helfen. Erst nach einer Weile stoppte ein Auto – eine Frau saß darin. Ich erzählte ihr, was passiert war, und sie wollte mich zur Polizei bringen. Aber ich hatte so oft erlebt, dass einem dort nicht geholfen wird. Also brachte sie mich zum Flughafen, der Flieger hatte viele Stunden Verspätung. Männer und Frauen wurden getrennt in zwei Warteräume gebracht, dort sahen die Frauen meine Verletzungen, und ich erzählte ihnen meine ganze Geschichte. Sie weinten mit mir, weinten über ihre eigenen Geschichten körperlicher und psychischer Gewalt. Wir weinten gemeinsam.

Hier kann ich ohne Angst die Stimme meines Volkes sein

Kurz darauf geschah es wirklich: Ich flog nach Deutschland. Erst als das Flugzeug den Boden berührte, wusste ich: Jetzt bin ich sicher. Zuerst kam ich nach Stuttgart, dann nach Berlin. Dort erfuhr ich, dass ich, selbst wenn ich einen Job finden würde, nach sechs Monaten zurück in den Iran hätte fliegen müssen für ein neues Visum – das war zu riskant. Also riet man mir, Asyl zu beantragen. So wurde ich zur politisch Geflüchteten.

Von Berlin aus wurde ich nach Dresden geschickt. Schon im Zug erlebte ich das erste Mal Rassismus: Ich zeigte meinen Geflüchteten-Nachweis auf dem Handy, der auch als Ticket galt, doch der Schaffner redete in schnellem Deutsch auf mich ein, er wollte ein gedrucktes Ticket sehen. Das Abteil war voll von Menschen, doch niemand half mir. Ich weinte die verbleibende Zeit der Fahrt über. Keiner der Mitreisenden sagte ein Wort.

Ich kam in eine Dresdner Flüchtlingsunterkunft. Doch dort sind Frauen auch nicht sicher, wir wurden öfter von geflüchteten Männern belästigt. Selbst der Security fehlte gegen einige Gruppen der Mut einzuschreiten. Wie kann das sein, dachte ich mir, ich bin doch hergekommen, damit mir nichts mehr passiert.Irgendwann erfuhr ich vom Montagscafé. Das ist eine Veranstaltung des Staatsschauspiels Dresden, bei der sich Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete treffen. Ich lernte Musiker und andere Künstler kennen – endlich fand ich Gleichgesinnte. Ich singe in der Kangaroo Band, das ist ein Projekt der Banda Internationale. Mithilfe von Freunden fand ich auch eine kleine Wohnung, in der ich mich sehr wohl fühle. Mein Tisch steht am Fenster, ich liebe es, bei der Arbeit rausschauen zu können und die Sonne und die grüne Natur zu genießen.

Ich bin dankbar für jeden Moment

Jetzt bin ich glücklich. Ich tue das, was ich immer wollte: Ich arbeite als Fotografin und Video-Creatorin, mache Musik. Aber mehr denn je bin ich Aktivistin für die Revolution im Iran. Ich habe 30.000 Follower auf Instagram, die meisten aus dem Iran. Soziale Medien sind dort noch immer ein sehr wichtiges Kommunikationsmittel. In Deutschland kann ich endlich die Stimme meines Volkes sein. Ich kann über Missstände berichten, ohne Verfolgung zu befürchten. Ich bin davon überzeugt, dass ich all diese schlimmen Geschichten genau darum erlebt habe, um heute dafür zu kämpfen, dass sich Dinge in meinem Land ändern.

Was derzeit im Iran passiert, bewegt mich sehr. Ich bin stolz auf all die Frauen und Männer, die aufstehen gegen das Mullah-Regime. Sie fragen mich, warum die Menschen dort so mutig sind und trotz der vielen Toten weiter protestieren? Ich kann es Ihnen sagen: Das Leben im Iran ist furchtbar, die Menschen verarmen, haben kaum Freiheiten und müssen für grundlegende Menschenrechte kämpfen – es einfach ist kein Leben. Selbst der Tod ist nicht schlimmer als das.

Meine Mutter macht sich große Sorgen um mich, und ich vermisse sie sehr. Eines Tages möchte ich zurück in meine Heimat gehen, aber derzeit würde das nicht gehen – man würde mich schon am Flughafen verhaften wegen meiner Arbeit auf Instagram.

Ich bin dankbar für jeden Moment, in dem ich hier bin, ich will keine Minute verschwenden. Das ist das, was ich allen Menschen hier sage: Ihr habt so viel Freiheit, nutzt eure Chancen! Häufig sehe ich hier Menschen, die nicht zufrieden sind mit ihrem Leben. Vielleicht hilft eine Reise außerhalb Europas, um die Welt mit anderen Augen zu sehen.