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Ist Corona eine Waffe?

Echsenmenschen auf dem Weg zur Weltherrschaft und Gehirnwäsche am Himmel: Verschwörungstheorien blühen. Welche Folgen das haben kann.

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Die Verschwörungstheorien reißen nicht ab: Angeblich haben Pharmafirmen das Virus in die Welt gesetzt.
Die Verschwörungstheorien reißen nicht ab: Angeblich haben Pharmafirmen das Virus in die Welt gesetzt. © Eduardo Parra/dpa

Von Bettina Ruczynski

Wurde das Corona-Virus bewusst in die Umwelt gebracht, um die Gewinne der Pharma-Industrie zu maximieren? Sollte mit dem Virus ein Krieg entfesselt werden? Dieser Tage kursieren sie wieder, die Verschwörungstheorien, und fügen sich nahtlos an eine lange Reihe von Fabeln und Fragen, die das Internet durchziehen: Fand die Mondlandung in einem Filmstudio statt? Oder in der Wüste von Nevada? Sollen uns Kondensstreifen am Himmel vergiften und unsere Gehirne „waschen“?

Verschwörungstheorien bewegen die Menschen seit Jahrhunderten. Immer wieder befürchten sie, Spielbälle dunkler Mächte zu sein. Ist dazu noch das Grundvertrauen in Institutionen, in Recht und Gesetz, in das Wirken politischer Parteien und der Medien erschüttert, ist der Nährboden für Verschwörungstheorien, alternative Fakten und Fake News aller Art ein idealer. Das hat durchaus Folgen. Die Augen von Hillary Clinton etwa verraten Eingeweihten, dass die Demokratin in Wahrheit ein Reptil ist, das zu den Echsenmenschen gehört. Und diese streben nichts weniger als die Weltherrschaft an. Bis es so weit ist, betreiben sie und ihr Mann einen Kinderpornoring. Etliche US-Amerikaner haben das (und anderen Unsinn) geglaubt und Donald Trump zum Wahlsieg verholfen. Fortsetzung folgt.

Auch hierzulande gibt es krude Theorien, um komplexe politische Sachverhalte zu erklären. Seit Angela Merkel 2015 die Grenzen für syrische und afghanische Bürgerkriegsflüchtlinge öffnete, ist für laute Teile der Bevölkerung die deutsche Kanzlerin schuld an allem und jedem. Die Volksparteien sind es sowieso. Streben sie nicht gar eine „Umvolkung“ an, einen Austausch des deutschen Volkes gegen ein anderes, wie gewisse Partei-Flügel der AfD raunen? Kein Vorurteil scheint zu absurd, dass es nicht eingewebt werden könnte in eine entsprechende Verschwörungstheorie.

Einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass unsichere Verhältnisse die Verbreitung und Popularität von Verschwörungstheorien begünstigen. Denn sie dienen als eine Art Welterklärungsmodell. Nach Kriegen und Revolutionen, im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche und Entwicklungen geben sie Zweifeln Raum und bieten einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge. Durch das Internet und die sozialen Medien erleben sie nicht nur eine rasche Verbreitung, sondern auch eine immense Verstärkung.

Verschwörungstheorien gehen von der spekulativen Annahme aus, dass ein Ereignis, eine Entwicklung oder ein Zustand auf eine geheime Verabredung mehrerer Personen zurückzuführen ist, die ein meist illegales Ziel verfolgen. Dazu werden dann gern Feindbilder auserkoren – denn der Mensch braucht seit jeher Sündenböcke. Die passenden Feindbilder allerdings wechseln über die Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte. Mal sind Hexen Ursache allen Übels, mal die Kommunisten. Lange mussten die Juden als Sündenböcke herhalten – mit entsetzlichen Folgen.

Im Mittelalter gilt der Teufel als Drahtzieher von Verschwörungen gegen die christliche Weltordnung. Die Hexen, zumeist unbescholtene, heilkundige Frauen, werden als seine Werkzeuge betrachtet, gefoltert und in ganz Europa auf Scheiterhaufen verbrannt. Eine Welle von Hexenprozessen und Hexenverbrennungen kostet vom 15. bis zum 18. Jahrhundert Tausenden Unschuldigen in Europa das Leben.

Gefährlichste Hetzschrift des 20. Jahrhunderts

In der Nazizeit trägt die immer wieder verbreitete Lüge von einer „jüdischen Weltverschwörung“ zur Akzeptanz der antisemitischen Verfolgung bei, die im Völkermord an sechs Millionen Juden gipfelt. Die theoretische Basis dafür ist die Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“, nach der sich alle einhundert Jahre mächtige Juden auf dem Prager Jüdischen Friedhof einfinden, um ihre Weltherrschaftspläne zu aktualisieren. Die fiktive Schrift, die angeblich einen jüdischen Weltherrschaftsplan offenbart, entstand 1903 in Russland im Auftrag des Geheimdienstchefs von Zar Nikolaus II., der ein Werkzeug brauchte, um zum Kampf gegen jüdische Mitbürger zu mobilisieren. 

Das Pamphlet enthält neben reinen Erfindungen Auszüge eines satirischen französischen Romans und wird zur wohl gefährlichsten Hetzschrift des 20. Jahrhunderts. Das Lügenpamphlet trifft den Nerv der Zeit; vor allem im Deutschland der 20er- und 30er-Jahre schenkt man ihm Glauben. Wie jede Verschwörungstheorie vereinfachen die „Protokolle der Weisen von Zion“ komplexe Sachverhalte, brechen sie herunter auf einfache Antworten, auf Gut und Böse.

Aus der Geschichte wurde wenig gelernt: In rechten Kreisen weltweit sind die „Protokolle der Weisen von Zion“ noch immer höchst populär. Auch auf den aktuellen Webseiten von Islamisten wie der Hamas finden sich Auszüge dieser Hetzschrift und munitionieren so den Kampf gegen Israel und die Juden.

So nimmt es kaum Wunder, dass sich eine besonders haltbare Verschwörungstheorie um den Anschlag am elften September auf die Zwillingstürme in New York rankt: Wieder ein jüdisches Komplott. Wieder eine zionistische Verschwörung, um den Krieg gegen die arabische Welt zu rechtfertigen. Juden seien gewarnt worden, an diesem Tag zur Arbeit in die Zwillingstürme zu gehen. Diese Theorie hält sich bis heute hartnäckig; unbeeindruckt von der Tatsache, dass sich unter den Opfern des Angriffs auch zahlreiche Amerikaner jüdischen Glaubens befanden.

Je abwegiger, umso glaubhafter

Verschwörungstheorien sind oft Auswirkungen immenser menschlicher Niedertracht und Gier. Zu ihren frühen Opfern zählen die Templer. Sie sind der älteste geistliche Ritterorden; in ihrer Doppelfunktion als Ritter und Mönche sollten sie das Heilige Land und die Pilger schützen. Ihre Aufnahmeriten und Versammlungen sind geheim, das macht sie verdächtig und angreifbar. Bis heute ranken sich Legenden um diesen Orden, der direkt dem Papst unterstellt war, Privilegien genoss und über enorme wirtschaftliche und militärische Macht verfügte. Die sind dem französischen König Philipp IV. ein Dorn im Auge und wecken Begehrlichkeiten. Mit seinem Kanzler strickt er die Lüge von Ketzerei und Götzenkult. 2.000 Tempelritter werden am 13. Oktober 1307 verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Ihre Vermögen fallen an den König. Papst Clemens löst den Orden auf.

Zur selben Zeit festigt sich die Verschwörungstheorie, die Juden seien mit dem Teufel im Bunde und bereiteten die Vernichtung des Christentums vor. Vertreter der Kirche befeuern die Judenfeindlichkeit bis zur Massenhysterie in Zeiten von Pest und Krieg, Pogrome sind die Folge.

1666 sind es die Jesuiten, die zum Zentrum einer angeblichen Verschwörung werden. In England sollen sie für die Pest und den Großbrand Londons verantwortlich sein. Anklagen und Hinrichtungen sind die Folge. Dass die Anklagen auf Lügen basieren, interessiert die Öffentlichkeit nicht. Nachdem die Jesuiten als Feindbild erledigt sind, konzentrieren sich konservative Kräfte auf das Wirken von aufklärerischen Geheimgesellschaften wie Freimaurer und Illuminaten, die sich angeblich gegen Kirche und König verschwören und die Französische Revolution verursacht haben.

Es ist bemerkenswert, dass Verschwörungstheorien offenbar jegliche Vernunft überwinden. Deshalb werden sie wohl weiter kursieren, egal, mit wie vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, Richtigstellungen und tatsächlichen Fakten man ihnen begegnet. „Solange es die Menschheit gibt, wird es Verschwörungstheorien geben. Sie sind extrem wirkmächtig und nicht totzukriegen. Und je abwegiger eine Theorie ist, umso eher schenkt man ihr Glauben“, meint der Historiker Markus Fussel. Heute, in Zeiten der Globalisierung und eines postindustriellen Zeitalters, erleben Verschwörungstheorien eine solch enorme Blüte, dass der Jury des „Goldenen Aluhuts“, eines Satirepreises für besonders bizarre Theorien, nie die Kandidaten ausgehen – im Gegenteil. Dabei wird wohl auch die Corona-Krise mit ihrer Angststimmung ihren Beitrag leisten.

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