Es berichten Thilo Alexe, Heinrich Löbbers, Doreen Reinhard, Christiane Raatz, Juliane Richter, Alexander Schneider, Andreas Weller, Tobias Winzer, Tobias Wolf
Auch wenn Neonazis ihre Kundgebung abgesagt haben: Präsenz zeigten sie doch an diesem 13. Februar. Beim traditionellen Gedenken auf dem Heidefriedhof stehen etwa 70 Rechtsextremisten am Ende einer Reihe, die von Regierungschef Stanislaw Tillich und Oberbürgermeisterin Helma Orosz angeführt wird. Im vergangenen Jahr hatten Rechte bereits vor der Gedenkfeier Kränze niedergelegt, die dann weggeräumt wurden. Jetzt sind die Unerwünschten wieder dabei. „Der Versuch, das Gedenken an die Zerstörung Dresdens und den Krieg für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, ist schäbig und unerträglich“, hat der Ministerpräsident noch am Vormittag zu Protokoll gegeben. Hier und jetzt muss Tillich aber das Unerträgliche ertragen.
Der Täterspuren-Mahngang
Die Menschenkette
Stilles Gedenken
Alle sind überrascht und ratlos angesichts der neuen Strategie der Rechtsextremisten. Zwar ruft Oberbürgermeisterin Orosz vor etwa 400 Teilnehmern dazu auf, sich alten und neuen Nazis entgegenzustellen. Der Heidefriedhof, betonte Orosz, solle ein Lernort werden, der die Geschichte Dresdens begreifbar macht. Doch auf dem Friedhof, wo Opfer der Luftangriffe, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge liegen, ist das schwierig. Und so liegen neben den weißen Rosen eben auch Kränze der NPD.
Ganz nazifrei ist der Tag also doch nicht. Morgens herrscht eine merkwürdige Mischung aus Erleichterung und Katerstimmung. Erleichtert nehmen viele zur Kenntnis, dass keine offizielle rechtsextreme Demonstration angemeldet und nicht mit Krawallen zu rechnen ist. Ebenso enttäuscht sind sie aber, dass am Vorabend erstmals seit Jahren wieder Rechtsextreme durch die Innenstadt marschierten. Der Versuch, das zu blockieren, war gescheitert.
Was Tausende Menschen jedoch nicht daran hindert, am Gedenktag friedlich auf die Straße zu gehen. Laute Musik hämmert aus den Lautsprechern, rosa Luftballons steigen in die Luft, vereinzelt fliegen Klobürsten hoch – die neuerdings ein Zeichen des Widerstandes sind. Die Stimmung ist ausgelassen beim Auftakt zum Mahngang „Täterspuren“. Begleitet von vielen Polizisten ziehen 2 000 Leute hinter dem rosa Transparent des Bündnisses „Dresden nazifrei“ los, um an verschiedenen Stationen an die Nazi-Vergangenheit der Stadt zu erinnern. „Dresden ist keine unschuldige Stadt“, betonen Redner immer wieder. Der „Opfermythos“ müsse zerstört werden.
Wie immer ist auch der Jenaer Pfarrer Lothar König dabei, dessen Prozess wegen der Ausschreitungen im Jahr 2011 derzeit ausgesetzt ist. Dass es dieses Mal keinen Nazi-Marsch gibt, freut den Rauschebart: „Dafür sind wir jahrelang auf die Straße gegangen.“ Vielleicht werde es ja im nächsten Jahr gar keinen 70. Gedenktag mehr geben, sagt König. Sängerin Annamateur alias Anna Maria Scholz hält ein selbstgebasteltes Plakat in die Höhe: Nazi schadet Ihrem Kind. „Es ist wichtig, dass man auch mit Humor auf die Straße geht“, sagt sie.
In der Frauenkirche ist es gegen 16 Uhr still und leer. Angela Willing und Sabine Zelms sind Touristen aus Rostock, wollen aber trotzdem gedenken und haben von der Menschenkette gehört. Weil sie durch die ausländerfeindlichen Krawalle von Rostock-Lichtenhagen selbst „gebrannte Kinder“ seien, entzünden sie Kerzen in der Kirche. „Es ist erschreckend ruhig in der Stadt“, stellen die beiden fest.
Christine Neumann wertet diese ruhige Stimmung positiv. Schon zum siebten Mal ist sie eigens aus Neustadt/Sachsen angereist, um hier zu helfen. Sie ist sich sicher, dass nach der Menschenkette der Platz vor der Frauenkirche gefüllt sein wird. Abends werden dort wieder die Glocken läuten
Die Kette ist schon Routine
Derweil kommen immer mehr Menschen in die Innenstadt, um die Menschenkette zu bilden, die zur Tradition wird. Es ist längst nicht so kalt wie in anderen Jahren, trotzdem hat sich Oberbürgermeisterin Orosz warm eingepackt in Daunenjacke, Schal und Pelzmütze. Am Rathaus hält sie eine bewegende Rede, bekennt sich dazu, dass Dresden „keine unschuldige Stadt“ ist. Dann legt sie am Denkmal für die Opfer der Luftangriffe neben der Tiefgarage am Altmarkt mit anderen weiße Rosen nieder.
Der Bauherr der Menschenkette ist in diesem Jahr eine Frau: CDU-Stadträtin Christa Müller. Sie macht das zum ersten Mal, doch das Ereignis ist Routine geworden, aus Fehlern wurde gelernt. Auch aus dem Technik-Zusammenbruch im vorigen Jahr. „Da hat die Stadt richtig investiert“, sagt Müller und zeigt auf einen Karton mit neuen Funkgeräten. Nichts soll die Verbindung stören. Souverän läuft auch die Schulung im Stadtmuseum ab. 120 Helfer werden aufgeteilt in Ober- und Unterordner. Ein Gerücht hat Müller am Morgen kurz aus dem Konzept gebracht. Es hieß, Nazis wollten sich in die Ordnergruppen einschleusen. „Wir haben noch zwei Experten dazubestellt, die sich die Leute genau angeschaut haben“, sagt sie. „Ohne Ergebnis.“
Kurz nach 17 Uhr, als alle Helfer in Richtung Zentrum ausschwirren, macht sich auch Christa Müller auf den Weg – in Ballerinas und Nylonstrümpfen. „Ach was, kalt ist mir nicht. Dabei kommt man doch ins Schwitzen.“ Hilflos schraubt sie am ebenso neuen wie unbekannten Funkgerät herum: „Hallo, hier ist Müller. Hört mich jemand?“ Rauschen. Dann muss sie eben laufen und die neuralgischen Stellen selbst untersuchen. Kurz nach halb sechs trudeln die ersten Meldungen ein: „Vor dem Polizeipräsidium sind große Lücken… Am Külz-Ring sieht es auch noch nicht gut aus… Dafür gibt‘s hier an der Kathedrale große Beulen in der Kette.“ Christa Müller flucht leise: „Jedes Jahr das Gleiche, immer haben wir Beulen an der Kathedrale.“
Nach Angaben der Stadt sind es schließlich 11.000, die Hand in Hand stehen, tausend mehr als im vergangenen Jahr. Zum Beispiel die Familie von Gisela Petzold. Die 84-Jährige hat sich mit Tochter, Enkelin und den beiden Urenkeln an der Wallstraße eingereiht. „Uns ist es einfach ein Bedürfnis, hier mitzumachen“, sagt die Rentnerin, die die Zerstörung Dresdens vor 69 Jahren selbst miterlebte – glücklicherweise von Bühlau aus. Auch sie ist erleichtert, dass keine Rechtsextremen marschieren. „Das ist schon ein Erfolg.“
Am Abend bilanziert dann die Polizei, die einen Teil ihrer 26 Hundertschaften schon früher als geplant heimgeschickt hatte: Bis auf ein kleines Scharmützel zwischen Linken und Rechten am Nachmittag blieb alles friedlich.