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Kommentar: Ein starkes, gelassenes Dresden

Annette Binninger über den 13. Februar in Dresden

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Es hat sich etwas verändert in Dresden. Nicht gerade über Nacht, aber binnen weniger Jahre. Der 13. Februar hat sich seit den 90er-Jahren völlig gewandelt. Vom aufgeregt-hektischen Durcheinander, als Rechtsextremisten erstmals drohten, den Dresdnern ihren Erinnerungstag zu stehlen – bis gestern. Erstmals gelang es, dieses Gedenken wieder in Würde zu begehen. Doch es ist ein anderes Gedenken geworden. Ohne Neonazi-Aufmarsch, ohne Steinewerfer und Brandstifter. Dafür gefüllt mit einem neuen, lebendigen Sinn. Nach vorne gewandt, stolz und manchmal fast schon heiter-leicht. Diese Bürger halten zusammen, sie umschließen ihre Stadt wie eine Burg, in der ihre Werte wohnen: Toleranz, Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und der Wunsch nach Frieden. Was für eine starke Geste. Was für ein schönes Bild.

Tausende kamen wieder zur Menschenkette und zu vielen anderen stillen, manchmal auch schrill-lauten Aktionen, obwohl sie wussten, dass die braunen Hetzer diesmal gar nicht aufmarschieren. Viele haben ihren Anteil daran, dass der 13. Februar so ablief. Die Dresdner, die sich Jahr für Jahr Neonazis entgegenstellen. Viele tausend Gäste, hunderte Helfer, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und die Polizisten, die Jahr für Jahr versuchen, Gewalt zu verhindern.

Endlich gibt es mehr Gelassenheit auf allen Seiten, ja, vielleicht ist sogar ein wenig Routine eingekehrt. Vor einem Jahr lernten wir noch, was es heißt, Proteste in Sicht- und Hörweite zuzulassen. Jetzt stand Oberbürgermeisterin Helma Orosz einen Abend zuvor mittendrin, wenige Meter entfernt von einer Neonazi-Demo. Gestern dann sprach Helma Orosz erstmals in dieser Klarheit über Dresden, das eben keine „unschuldige Stadt“ damals war. Neue, nachdenkliche Töne.

Es hat sich viel verändert. Doch dies wird nur von Dauer sein, wenn das Erleben des 13. Februars sich nicht nur auf diesen Tag beschränkt. Jeder Tag ist eine Gelegenheit, das zu verteidigen, was wir gestern wieder erlebt haben. Ob vor dem nächsten Asylbewerberheim, im täglichen Streit für mehr Gerechtigkeit, Demokratie und Mitmenschlichkeit oder eben am nächsten 13. Februar.

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