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Olaf Schubert wird Enthüllungsjournalist

Rollentausch zum 75. Geburtstag der Sächsischen Zeitung: Olaf Schubert entlockt SZ-Redakteur Andy Dallmann etliche unbequeme Wahrheiten.

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Pullunder-Tausch: Olaf Schubert (l.), TV-erfahrener Betroffenheitslyriker aus Dresden, interviewt exklusiv Andy Dallmann (55), Redakteur im SZ-Feuilleton.
Pullunder-Tausch: Olaf Schubert (l.), TV-erfahrener Betroffenheitslyriker aus Dresden, interviewt exklusiv Andy Dallmann (55), Redakteur im SZ-Feuilleton. © Karl-Ludwig Oberthür

Bislang war es stets umgekehrt; Olaf Schubert wurde von Andy Dallmann zu verschiedenen Themen interviewt. Jetzt stellte jedoch der Dresdner Betroffenheitslyriker dem SZ-Redakteur all die Fragen, die er immer schon mal loswerden wollte.

75 Jahre SZ – was hat sich für Sie beruflich in diesen 75 Jahren verändert?
Ach, eigentlich wenig.

Wieso denn nicht?
Weil sich im Kern nicht viel am Job des Journalisten verändert hat. Du versuchst ja immer, spannende Geschichten aufzutun, mit Menschen zu reden und die Wahrheit herauszufinden. Ich glaube, da ändert sich auch künftig nicht viel. Die wirklich coolen Geschichten haben vor 75 Jahren funktioniert, die funktionieren jetzt ebenso.

Gut, das war’s schon. Danke und viel Erfolg für die nächsten 75 Jahre! Haha, nee, nee, so schnell bin ich natürlich nicht zufrieden; wir müssen schon noch ein bissel ins Detail gehen. Dransein und die Wahrheit verbreiten, die Wahrheit unter das Volk streuen – können Sie reinen Herzens und Gewissens sagen: Ja, die Saat der Wahrheit war es stets, die ich auf den Acker der Buchstaben streute?
Unbedingt!

Ja? Gab es nie einen Moment, in dem Sie dachten: Das ist jetzt soooo langweilig, das peppe ich wenigstens ein kleines bisschen auf?
Nee, als praktizierender Journalist habe ich das nie gemacht. Als Volontär dagegen schon, ja, da habe ich mal getrickst.

Olaf Schubert (l.) entspannt vorm Interview mit Andy Dallmann.
Olaf Schubert (l.) entspannt vorm Interview mit Andy Dallmann. © Karl-Ludwig Oberthür

Oha! Das müssen wir klären. Doch zunächst einmal: Was ist ein Volontär?
Eine Art Journalisten-Lehrling. Zwei Jahre lang wird man vor allem praktisch ausgebildet, macht aber zudem Seminare mit und einen Lehrgang an einer Journalistenschule. In meinem Fall war das 1993 die Berliner Außenstelle der Henri-Nannen-Schule. Dort ist es passiert.

Jetzt wird es interessant... Sie haben die Wahrheit geschönt?
Schlimmer. Ich habe eine Reportage vollständig erfunden.

Als Mahner im Pullunder bringe ich jetzt auch in diesem Fall die Wahrheit ans Licht. Also: Was genau ist damals passiert?
Wir wurden über ein verlängertes Wochenende nach Hause geschickt und sollten mit einer Reportage zurückkommen. Leider hatte ich mich daheim etwas verzettelt; Stichworte: Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Am Montag saß ich im Zug und hatte – nichts. Auf der Fahrt nach Berlin dachte ich mir dann auf der Basis von ein paar echten Eindrücken aus, wie es während der Vorstellung hinter der Bühne der Staatsoperette zugeht.

Und diese Lügengeschichte wurde dann in der ganzen Welt verbreitet?
Das ist nirgends erschienen. Der Dozent hat es gelesen, für gut befunden und fertig. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das Ganze überhaupt benotet wurde.

Ich verstehe. Das war demzufolge vom Prinzip her nichts anderes, als wenn man in der Schule die Hausaufgabe abgeschrieben hätte?
Kann man so sagen.

Gut, das hat ja jeder gemacht. Bis auf mich natürlich. Heißt das vielleicht, dass manchmal gar nicht genug passiert, damit man die Zeitung mit Texten füllen kann?
Ich bin mir ganz sicher, dass viel mehr passiert als das, was es in die Zeitung schafft.

Olaf Schubert mal ohne Pullunder, den trägt diesmal Andy Dallmann. Schubert hat dafür den Stift sicher in der Hand.
Olaf Schubert mal ohne Pullunder, den trägt diesmal Andy Dallmann. Schubert hat dafür den Stift sicher in der Hand. © Karl-Ludwig Oberthür

Man kann nicht den ganzen Tag vorm Computer abhängen, rumgucken, dann das Internet vom vorigen Tag kopieren und abdrucken. Oder doch?
Das wäre Selbstmord auf Raten. Es ist eher so, dass das Internet voller Geschichten ist, die Leute aus Zeitungen rauskopiert haben.

Schreiben eigentlich noch irgendwelche Menschen Leserbriefe?
Ja, schon. Meist aber per Mail. In meinem Büro hängt der letzte handschriftliche Brief, den ich bekam. Jemand bedankte sich – mit Füllhalter auf Büttenpapier – 2013 für meine Rezension des Deep-Purple-Konzerts in der Messe.

Kommt mehr Lob oder mehr Tadel an?
Prinzipiell vielleicht fünf Prozent Lob, der Rest ist Missfallen in allen Schattierungen.

Au backe... Könnte man sagen: 95 Prozent Tadel, fünf Prozent Lob und eine Mehrheit von 99 Prozent schreibt: Mir ist das ganz egal?
Äh... ja, das könnte man.

Wie ist es im Sektor Kultur, in dem ich mich ja nun gar nicht auskenne, was sorgt für die meiste Aufregung? Rezensionen von Ausstellungen, Konzerten? Man könnte ja eh meinen, das liest – ich will jetzt nicht sagen: die Elite –, aber doch der gehobenere Stand?
Ach nee, das ist schon ein sehr gemischtes Publikum. Und der Anlass kann quasi alles sein. Sogar ein leicht kritischer Text über eine kleine Ausstellung.

Aber selbst in besseren Kreisen wird wohl gern mal zur Verbalkartätsche gegriffen?
Ja, der Ton ist über die Jahre rauer geworden. Das nervt schon.

Da fragt man sich doch sicher: Warum um Gottes willen bin ich Journalist geworden? Haben Ihre Eltern einst vielleicht gesagt: Junge, lerne lieber was Vernünftiges? Gebrauchtwagenhändler oder Zirkusclown zum Beispiel.
Zu DDR-Zeiten hätte sicher speziell mein Vater wenig Freude daran gehabt, wäre ich als Journalist im SED-Auftrag unterwegs gewesen. Mich hat das damals gar nicht gereizt. Ich wollte lieber Künstler sein und habe es, wenig erfolgreich, mit Lyrik versucht. Nach der Wende ergab sich zufällig die Chance, bei der SZ anzufangen. Eine glückliche Fügung, denn als Lyriker wäre ich inzwischen bestimmt verhungert.

Ist da also etwas dran, dass ein Rezensent ein verhinderter Künstler ist?
Hm. Grundsätzlich eher nicht. Obwohl eine Affinität zum Thema schon hilft.

Eine persönliche Affinität zur Arbeit schadet ja nie, die haben viele. Der Psychologe als sein treuester Patient, der Lockführer als sein eigener Anhänger. Entschuldigung; ich tendiere zum Abschwiff, da fehlt mir wohl das journalistische Handwerk. Apropos: Ist der Beruf des Journalisten zuletzt vielleicht etwas in Verruf geraten, entwertet, abgenudelt, ausgeleiert worden?
Möglich. Was damit zu tun hat, dass diese Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. Jeder, der im Internet drei zusammenhängende Sätze in einem Blog veröffentlicht, darf sich Journalist nennen. Das finde ich überhaupt nicht gut.

Wie schwer ist es, die Variable zu finden zwischen Vorlieben und öffentlichem Auftrag? Bei der Berichterstattung über den Auftritt eines ... Betroffenheitslyrikers geht es ja nicht nur um den eigenen Geschmack, wenn man schreibt: Der Typ sieht geil aus. Davon darf man sich nicht blenden lassen, oder?
Stimmt. Das Wichtigste ist, aus meiner ganz privaten Sicht, Erfahrung – je mehr man gesehen hat, desto besser kann man vergleichen und einordnen.

Wie steht es um die Eitelkeit, gerade weil man viel gesehen hat? Angenommen, bei einem Konzert ist die Hütte voll, alle finden’s geil und man schreibt trotzdem: Die haben keine Ahnung, der dampfende Haufen Scheiße riecht nicht lecker, nur weil 1.000 Fliegen drauf sitzen. Passiert das?
Niemals aus Prinzip. Das wäre wirklich dämlich und extrem unprofessionell.

Gibt es Journalisten, die prinzipiell dazu tendieren, Dinge wohlwollend zu betrachten und welche, die mit Furor den Verriss pflegen? Nach dem Motto: Macht ja viel mehr Spaß, ist spektakulärer und bringt mir Aufmerksamkeit.
Da muss ich mich leider wiederholen: So etwas ist absolut unprofessionell. Wer nach diesem Muster arbeitet, macht den Job sicher nicht lange. Wichtig ist zu begründen, warum genau man etwas blöd fand. Andersrum auch, also wenn man etwas ausdrücklich lobt. Und ganz ehrlich: Mir macht Lob viel mehr Spaß als Verriss.

Es scheint ja so, als wären Sie ganz glücklich mit dem, was Sie täglich machen. Und jetzt bitte ein Verriss: Was ist das Blödeste an Ihrem Job?
Ganz klar: Das sind Konferenzen aller Art.

Das bringt mich spontan auf eine Idee. Die gleichgeschaltete Presse, die Politiker, die Bilderberger und Bill Gates stecken ja alle unter einer Decke. Könnte man bei einer solchen geheimen Konferenz mal persönlich dabei sein? Ich frage das für einen Freund...
Versuchen können wir es. Aber die Warteliste ist sehr, sehr lang.