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Unfall oder Unfug? 20-jähriger Pechvogel in Kamenz vor Gericht

Ein junger Mann rauscht mit dem Auto an einen Mast der Telekom. Eigentlich eine Bagatelle, wenn da nicht der Staatsanwalt und gewisse Vorgeschichten wären.

Von Torsten Hilscher
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Sky Rene Maik Jesert musste sich wegen "Störung von Telekommunikationsanlagen" vor dem Amtsgericht Kamenz verantworten. Dabei hatte der 20-Jährige nur einen Bagatellunfall.
Sky Rene Maik Jesert musste sich wegen "Störung von Telekommunikationsanlagen" vor dem Amtsgericht Kamenz verantworten. Dabei hatte der 20-Jährige nur einen Bagatellunfall. © Matthias Schumann

Kamenz. Sky Rene Maik Jesert steht ein wenig verloren vorm Amtsgericht in Kamenz. Der 20-Jährige hat an diesem sonnigen Vormittag gleich einen Termin drinnen im Gebäude, Saal 107, den Grund dafür findet er befremdlich. "Ich bin aus Versehen gegen einen Mast gefahren", schildert er die Geschichte und sagt noch immer erstaunt. "Weil ich aber eine Kupferplatine der Telekom erwischt habe, wird das gleich als so'n Anschlag gewertet ..." Er stellt die Hand schräg und demonstriert eine Art Bordstein, der dafür sorgte, dass sein Auto an das Metall am Mast gelangte.

Gerichtssprecherin Susanne Kühnel erklärt, was die Staatsanwaltschaft zusammentragen ließ: "Der Angeklagte soll am 29. März 2023 in Medingen auf der Hauptstraße beim Abbiegen mit seinem Fahrzeug von der nassen Fahrbahn abgekommen und dabei gegen einen Telefonmasten gestoßen sein. Dabei soll ein Schaden von 651,43 Euro entstanden sein. Es ist ein Strafbefehl (Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 50 Euro) ergangen, gegen den der Angeklagte Einspruch eingelegt hat."

Verteidiger beantragte Einstellung des Verfahrens

"1.500 Euro, die mich wirtschaftlich ruinieren würden", sagt Sky Rene Maik Jesert zur Begründung. Erneut schüttelt er den Kopf und schaut nervös auf die Uhr. Sein Anwalt sitzt noch in einer anderen Verhandlung. Erst ganz kurz vor Verhandlungsbeginn werden sich beide nochmal schnell abstimmen können.

Das Ganze war doch eigentlich eine Bagatelle, findet dann auch Verteidiger Philipp Burchert aus Dresden. "Das ist doch dasselbe, als wenn man gegen einen Lichtmast fahren würde." Der junge Anwalt aus Dresden ist sichtlich erbost, dass das Verfahren nicht wie von ihm beantragt eingestellt wurde. Dabei haben sein Mandant und er den staatsanwaltschaftlichen Vorwurf grundsätzlich eingeräumt.

Doch der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Mast und einem der Telekom ist der zwischen maximal "Sachbeschädigung" oder eben gleich "Störung von Telekommunikationsanlagen", wie im vorliegenden Fall. Oder laut Staatsanwaltschaft "fahrlässig den Betrieb einer öffentlichen Kommunikationsanlage beschädigt zu haben".

Die gesetzlichen Regeln sind uralt

Das fällt in Deutschland unter Strafrecht und wird bei erwiesener Schuld auch schon mal streng bestraft, bei größeren nachgewiesenen Delikten droht sogar Gefängnis. Selbst wer seinem Nachbarn nur einen Streich spielt und dessen Telefonkabel durchknippst, kann belangt werden.

Die gesetzlichen Regeln sind uralt. Sie stammen zum Teil noch aus der Zeit, als Deutschland - das geteilte und vorher das ungeteilte - noch Postminister hatte und die Post ein Staat im Staate war. Als die Post noch das Monopol auf Telefonie, Briefe, Pakete, Telegraphie, Rundfunk und ab den 1930ern auch aufs Fernsehen hatte. Als die Post mit ihren Gebäuden noch ganze Straßenzüge belegte und eigene Pensionskassen für ihre Beamten pflegte, die den Gesamthaushalten kleiner Staaten ebenbürtig waren.

Das alles muss wissen, wer über den Fall von Sky Rene Maik Jesert staunt. Genau genommen hat der junge Mann richtig Pech, wie es auch Richter Eckhard Laschewski formuliert - in der Verhandlung und auch kurz darauf im ganz kleinen Kreis. Denn Jesert hat ein "Vorleben". Das klingt spektakulär und lässt sogar eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe mit im Saal sitzen. Vom "schweren Jungen" ist er trotzdem weit entfernt.

Urteil: 40 Stunden gemeinnützige Arbeit

Aufgewachsen unter anderem in Radeburg, der Vater Pilot, daher der erste Vorname. Unauffälliger Schüler bis zur 2. Klasse. Dann aber Schulwechsel, es wird ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom festgestellt, kurz ADHS. Hauptschulabschluss. Die Lehre zum Straßentiefbauer geht schief, obwohl er laut anwesender Jugendgerichtshelferin die praktische Prüfung schafft. Anders die Theorieprüfung. Da macht ihm vor allem der wirtschaftstheoretische Teil zu schaffen.

Danach arbeitet er bei einem Pizzadienst, aktuell bei der Post. Feste Stelle, unbefristet. Die Eltern greifen finanziell noch mit unter die Arme. Jesert wohnt mit einem Kumpel in einer Wohngemeinschaft in Ottendorf-Okrilla zusammen. Zwar gibt es noch einen Eintrag im Bundeszentralregister. Aber das darin aufgeführte "Delikt" wurde nie strafrechtlich verfolgt. Am Ende sind es "Entwicklungsdefizite", die den Staat bei Jesert genauer hinschauen lassen.

Der richterliche Beschluss in Sachen Telekommunikationsmast lautet nach zehnminütiger Verhandlung: 40 Stunden gemeinnützige Arbeit, zu leisten bis Ende März 2024 samt Nachweis. Dann ist das Kamenzer Gericht endgültig zufrieden.

Den Schaden am Mast hatte übrigens bereits die Haftpflichtversicherung des jungen Mannes übernommen, alles war geklärt. Sendeausfälle hatte es nicht gegeben. Wurde hier also die berühmte Maus zum Elefanten? Ein kurzer Dialog zwischen Richter und Vertreter der Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Verhandlung sagt einiges: "Das hätte man auch alles einstellen können." - "Naja, es trifft nicht den Falschen."