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Dutzende Bulgarinnen in Dresden sexuell ausgebeutet

Corona-Pausen, ausländische Zeugen und ein untergetauchter Anwalt – ein spektakulärer Rotlicht-Prozess ist nach zwei Jahren vor dem Dresdner Landgericht zu Ende gegangen.

Von Alexander Schneider
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In Dresden sind Dutzende Frauen aus Bulgarien zur Sexarbeit gezwungen worden.
In Dresden sind Dutzende Frauen aus Bulgarien zur Sexarbeit gezwungen worden. © Sebastian Gollnow/dpa (Symbolfoto)

Dresden. Menschenhandel, Zwangsprostitution, Vergewaltigung – etwas mehr als zwei Jahre hat sich eine Strafkammer des Landgerichts Dresden mit drei Angeklagten aus dem Dresdner Rotlicht-Milieu befasst. Nach fast 50 Sitzungstagen und einigen Turbulenzen endete die in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Hauptverhandlung nun mit der Verurteilung aller drei Angeklagten.

Es geht um die Geschäfte der 44-jährigen Daniela P. und ihrem kurz vor dem Prozess verstorbenen Ehemann (43). Die beiden Bulgaren haben, so das Ergebnis der Beweisaufnahme, ab 2015 ein illegales Wohnungsbordell in der Pennricher Straße betrieben, nachdem sie bereits zuvor einige Jahre in einem Bordell in Reick tätig gewesen waren. Bald betrieben sie einen Escort Service und eröffneten ein als Massagestudio getarntes zweites Bordell in der Hamburger Straße und schließlich, ab Frühjahr 2019, das "Night Bunnies" in der Zwickauer Straße, ihr erstes "legales" Etablissement. Lange ging das nicht gut. Schon im Herbst 2019 durchsuchte die Polizei die Objekte und legten den Betreibern sowie zwei Mitbeschuldigten das Handwerk. Hintergrund waren Anzeigen ehemaliger Prostituierter aus Bulgarien.

Mal mit, mal ohne Kondom

Bei den Mitangeklagten handelt es sich um eine Prostituierte (37) und ihren 34-jährigen Zuhälter. Sie haben nach Überzeugung des Gerichts andere Mädchen zu Liebesdiensten beziehungsweise bestimmten Sexpraktiken gezwungen. Zudem soll der Mann, Bozhidar Y., Frauen in Bulgarien gezwungen haben, in Dresden für ihn anzuschaffen. In der unerwartet langen Beweisaufnahme gelang es nicht, dem Angeklagten alle Vorwürfe der Anklage zu beweisen. So war die Dresdner Staatsanwaltschaft etwa davon ausgegangen, dass das Trio und der Verstorbene als Bande Dutzende Frauen ausgebeutet haben. Die Kammer stellte nun fest, dass der 34-Jährige der Zuhälter der 37-Jährigen war, die beiden aber nicht mit den Betreibern als Bande agiert hätten. Gleichwohl habe auch die 37-Jährige mit ihrem Partner andere Frauen zu den Sexdienstleistungen gezwungen.

Die Auswertung umfangreicher Telefongespräche belege auch, dass manchen Kunden Geschlechtsverkehr ohne Kondom ermöglicht wurde, auch wenn das dahinterliegende Muster für die Entscheidungen nicht klar geworden sei, so der Vorsitzende Richter Magnussen. Zahlreiche ehemalige Prostituierte mussten für ihre Vernehmung aus Bulgarien anreisen, darüber hinaus habe es auch Videovernehmungen mit Frauen gegeben, die in Bulgarien bleiben wollten oder mussten.

Hauptangeklagter kommt möglicherweise frei

Weiter hat das überraschende Ausscheiden eines Dresdner Strafverteidigers für Verzögerungen gesorgt. Rechtsanwalt Frank Hannig, er war Bozhidar Y. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, habe wochenlang nicht mehr auf Kontaktversuche reagiert. Er sei 2022 nur an vier von 16 Sitzungstagen anwesend gewesen, sagte Magnussen, nachdem die Kammer Ende Oktober 2022 zufällig erfahren hatte, dass Hannig seine Rechtsanwaltszulassung schon Wochen zuvor abgegeben habe. Verteidiger Bert Albrecht, er war Y. Anfang 2022 als zweiter Verteidiger beigeordnet worden, um das Verfahren zu sichern, hatte daraufhin erfolglos beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen.

Der Hauptangeklagte Bozhidar Y. wurde nun unter anderem wegen Zuhälterei, schweren Menschenhandels, besonders schwerer Zwangsprostitution und Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er saß bereits seit mehr als drei Jahren in Untersuchungshaft, sein Haftbefehl wurde nun aufgehoben. Nach Magnussens Angaben habe Y. ziemlich genau zwei Drittel der Strafe bereits verbüßt und könne darauf hoffen, die Reststrafe nicht mehr absitzen zu müssen.

Die Hälfte der Einnahmen musste abgegeben werden

Seine damalige Lebensgefährtin erhielt eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Die 44-jährige P. wurde zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Gegen sie sei noch ein Steuerstrafverfahren anhängig. Magnussen sagte, fast alle Prostituierten hätten ausgesagt, sie hätten 50 Prozent ihrer Einnahmen abgeben müssen, nicht nur 35 wie vertraglich vereinbart. Es seien mehr als 100 Verträge mit Sexarbeiterinnen sichergestellt worden.

Verfahren wie diese seien im Landgericht Dresden nicht an der Tagesordnung, so der Vorsitzende Richter. Die Kammer habe jedoch den Eindruck gewonnen, dass die gesetzliche Neuregelung der Prostitutionsausübung, die "eigentlich" dem Schutz der Prostituierten diesen sollte, "diesen Anspruch nicht unbedingt widerspiegelt". So werde etwa die Kondompflicht immer wieder umgangen. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Hauptangeklagten Y. sieben Jahre Haft und für die beiden Frauen jeweils Freiheitsstrafe ohne Bewährung gefordert. Verteidiger Albrecht plädierte auf drei Jahre und drei Monate Haft.