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Dresdner Fensterspringer zu Haftstrafe verurteilt

Mike W. flüchtet immer vor der Polizei und zuletzt auch – mit einem beherzten Sprung – aus dem Dresdner Gerichtssaal. Nun stand der Mann vor dem Berufungsgericht.

Von Alexander Schneider
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Der Vorsitzende Richter Andreas Feron (l.) betritt den Saal und erst dann lösen Wachtmeister die Handschellen des Angeklagten Mike W. (Mitte). Nach seiner Flucht im Dezember wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Justizzentrum Dresden verschärft.
Der Vorsitzende Richter Andreas Feron (l.) betritt den Saal und erst dann lösen Wachtmeister die Handschellen des Angeklagten Mike W. (Mitte). Nach seiner Flucht im Dezember wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Justizzentrum Dresden verschärft. © Alexander Schneider

Dresden. Mike W. ist der Grund, warum inhaftierte Angeklagte im Justizzentrum Dresden nun gefesselt darauf warten müssen, bis der Vorsitzende Richter den Wachtmeistern signalisiert, im Gerichtssaal die Handschellen zu lösen. Das war früher lockerer. Doch Anfang Dezember 2022 nutzte Mike W. einen Moment der Unachtsamkeit aus und sprang aus einem Fenster des Sitzungssaals A 1.48.

Sieben Monate hatte das Schöffengericht am Amtsgericht Dresden bis zu diesem Tag gegen W. verhandelt – doch als das Urteil verkündet werden sollte, hüpfte W. in die Freiheit. Wachtmeister fingen ihn wenig später auf dem Friedhof gegenüber ein, wo der 49-Jährige unter einer Regentonne hockte. Den Rest der Urteilsbegründung musste sich W. dann wieder im Gerichtssaal anhören.

Mike W. ist ein personifizierter Fluchtreflex. Auch wenn er sich von der Polizei bemerkt fühlt, tritt er aufs Gaspedal. Sein Problem: Er hat keinen Führerschein, ist vielfach vorbestraft, steht auch am Steuer unter dem Einfluss von Crystal – und hat auch gerne Diebesgut dabei.

Wegen drei Verfolgungsfahrten wurde er an jenem Dezembertag zu zwei Freiheitsstrafen von insgesamt vier Jahren und elf Monaten Haft verurteilt. In der Strafe enthalten ist auch ein weiteres Diebstahlsurteil in Höhe von acht Monaten, denn W. hatte mit seinem Bruder auf einer Dresdner Baustelle Stromkabel gestohlen und wurde beim Versuch, das "Buntmetall" beim Schrotthändler zu veredeln, gefasst.

Am Donnerstag fand nun die Berufung am Landgericht Dresden statt. Dort gab W. erstmals persönlich zu, die Taten begangen zu haben: eine Verfolgungsfahrt im August 2017 bei Klipphausen, als die Polizei öffentlich nach ihm gefahndet hatte; eine Verfolgungsfahrt im November 2021 über mehr als acht Kilometer und bis zu 140 Sachen quer durch Weinböhla; und eine weitere recht kurze Flucht in der Dresdner Gerokstraße im Dezember 2021. Seit dem sitzt der 49-Jährige wieder in Untersuchungshaft.

1991 "Justizlaufbahn" eingeschlagen

W. hatte seine "Justizlaufbahn" bereits als Jugendlicher am Kreisgericht Freital begonnen – vor inzwischen 32 Jahren: wegen Fahrens ohne Führerschein. Damals war er 17, lernte Tierzüchter in einer Agrargenossenschaft, die es nicht mehr lange geben sollte. Später lernte W. Koch, hat auch als Gerüstbauer gearbeitet - nie lange und oft unterbrochen von Gefängnisaufenthalten für Diebstahl, Betrug, Hehlerei und vor allem wieder und wieder für Fahrens ohne Führerschein sowie einer Reihe weiterer klassischer Verkehrsdelikte wie Unfallflucht, Kennzeichenmissbrauch oder gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr.

Es waren meist weniger schwere Delikte, aber eben sehr viele. Jede Haftstrafe saß Mike W. bis zum letzten Tag ab, weil er auch nie eine Bewährungszeit durchgehalten hatte. Inzwischen sind es rund sechzehneinhalb Jahre hinter Gittern. Der Dresdner Strafverteidiger Michael Sturm, W.s langjähriger Begleiter auf seinem Weg, lobte die Fahrkünste seines Mandanten und sagte: "Gott sei Dank ist niemand zu Schaden gekommen."

Auch Sturm betonte, dass oft Flucht das Motiv von W.s gewesen sei. Das sei nachvollziehbar und per se nicht strafbar. Auch für den Sprung aus dem Fenster des Amtsgerichts drohe dem 49-Jährigen keine Strafe. Immerhin habe sein Mandant nun die Vorwürfe akzeptiert, weshalb er dem Gericht eine längere Beweisaufnahme erspart habe. Die Berufung war daher nur auf die Rechtsfolgen, also die Höhe der Strafe, beschränkt.

Verteidiger kritisiert Kfz-Wettrennen-Vorwurf

Der Verteidiger kritisierte in diesem Zusammenhang, dass der Tatvorwurf "verbotenes KfZ-Wettrennen" - für die Raserei in Weinböhla - erst vor wenigen Jahren zwar wegen tödlicher Verkehrsunfälle bei illegalen Rennen in Städten geschaffen worden sei. In der strafrechtlichen Praxis werde der Vorwurf nun jedoch bei Verfolgungsfahrten mit der Polizei angewendet. Das sei nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen.

Die Berufungskammer lobte die späte Einsicht des Angeklagten und reduzierte die beiden Urteile der ersten Instanz um immerhin acht Monate: W. wurde unter anderem wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, tätlichen Angriffs auf Polizisten und Fahrens "ohne" zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Wegen "überlanger Verfahrensdauer" der Sache aus 2017 gelten drei Monate als vollstreckt. In der Strafe enthalten sind auch die acht Monate für den Buntmetalldiebstahl. Hinzu kommen glatt drei Jahre für die Taten vom Herbst 2021: tätlicher Angriff auf Polizisten, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel (ein demoliertes Polizeiauto), Unfallflucht, verbotenes KfZ-Wettrennen, Trunkenheit im Verkehr.

Die Fahrerlaubnissperre - der Staatsanwalt hatte in beiden Instanzen "lebenslänglich" beantragt - verkürzte das Landgericht von fünf auf drei Jahre. Der Vorsitzende Richter Andreas Feron sagte zur Begründung, die Kammer hoffe, Mike W. habe so eine Perspektive, um nach der langen Haft noch einmal "neu durchzustarten". Wenn Mike W. das mal nicht falsch versteht.