SZ + Sachsen
Merken

Berauscht vom Drogengeld: Wie zwei Tonnen Heroin nach Grumbach kamen

Eines der spektakulärsten Drogengeschäfte, die es je in Deutschland gab, wird am Landgericht Dresden verhandelt. Es geht um zwei Tonnen Heroin. Welche Rolle spielt der Iran in diesem Kriminalfall?

Von Gunnar Klehm & Alexander Schneider
 9 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Auch ein Dresdner Kaufmann muss sich jetzt wegen Heroin-Schmuggels vor Gericht verantworten. Die Sicherheitsvorkehrungen im Prozess am Landgericht sind hoch.
Auch ein Dresdner Kaufmann muss sich jetzt wegen Heroin-Schmuggels vor Gericht verantworten. Die Sicherheitsvorkehrungen im Prozess am Landgericht sind hoch. © Foto: SZ/Veit Hengst

Er hat Todesangst. In Handfesseln begleitet von zwei Justizwachtmeistern betritt Serkan B. durch eine Seitentür den Verhandlungssaal im Landgericht Dresden. Der großgewachsene, schlanke Mann mit pechschwarzen kurzen Haaren war mal ein ganz passabler Basketballspieler. Bis in die 2. türkische Liga hat er es in seiner Jugend geschafft. Statt einer steilen Sportkarriere ging es dann aber bergab.

Jetzt muss sich der inzwischen 41-Jährige als einer der Drahtzieher des größten Heroin-Schmuggels, den es je in Deutschland gegeben hat, vor Gericht verantworten. Und er muss erklären, warum ausgerechnet das kleine Grumbach bei Dresden als Umschlagplatz für insgesamt zwei Tonnen der harten Droge ausgesucht wurde.

Verhandelt wird unter besonderen Sicherheitsauflagen. Neben Serkan B. sind gleichzeitig vier weitere mutmaßliche Schmuggler angeklagt, ein weiterer Türke, zwei Iraner und der Deutsche Torsten N. Besucher des Prozesses sind durch eine gepanzerte Scheibe vom Verhandlungssaal getrennt. Trotzdem ist auf den Plätzen für die Öffentlichkeit alles gut zu hören.

Lieferung sollte in die Niederlande gehen

Selbstbewusst tritt Serkan B. vor Gericht auf, redet laut und deutlich auf Türkisch. Jedes Wort wird simultan übersetzt. Nur wenn es um die Produzenten des Heroins geht, wird der Angeklagte einsilbig. Wem das Heroin eigentlich gehört, wisse er bis heute nicht. Ob das Gericht dem Glauben schenkt, ist offen.

B. fürchtet um sein Leben, wenn er mal wieder aus dem Gefängnis entlassen werden sollte. Das sagt er im Prozess ganz offen in seiner Einlassung, landläufig Geständnis genannt.

Seit Ende Oktober wird am Landgericht Dresden verhandelt. Die Staatsanwaltschaft wirft den fünf Angeklagten sowie weiteren, noch nicht identifizierten Tatbeteiligten vor, in drei Fällen in den Jahren 2021 und 2022 mehr als zwei Tonnen Heroin nach Deutschland und von dort in die Niederlande geschmuggelt zu haben. Bei der dritten Lieferung flog der Drogenhandel auf. In den ersten beiden Fällen sollen jeweils mehr als sieben Millionen Euro mit dem Weiterverkauf erzielt worden sein. Unklar ist, an wen die Millionen geflossen sind.

Der Weg führte über Dubai

Die Beweislage ist erdrückend, wie die Staatsanwaltschaft bereits in der Anklageverlesung dargestellt hat. Details wissen aber nur Serkan B. und seine Komplizen. Über mehrere Stunden und auf Nachfragen einer Richterin erklärt der 41-Jährige, auf welchem Weg das Heroin aus dem Iran nach Sachsen gelangt ist. Er sei ausschließlich für die Logistik zuständig gewesen, habe einen Weg finden sollen, wie Hunderte Kilogramm der Droge in einer einzigen Lieferung vom Iran über Deutschland nach Holland gelangen könnten.

Als er 2020 einen Freund im Iran besucht habe, hätten sie beide begonnen, mögliche Heroinlieferungen zu planen. Serkan B. hatte bereits Erfahrungen mit dem Handel von Kosmetikartikeln und hatte auch als Reiseveranstalter gearbeitet. Zusammen wurde ausbaldowert, wie die Herkunft aus dem Iran verschleiert, wie Röntgenanlagen auf Flughäfen ausgetrickst werden können und wie im internationalen Warenverkehr „die Wege funktionieren“.

Alsbald kam man darauf, dass die Lieferung vom Iran nach Dubai transportiert und dort die Ware mit gefälschten Papieren via Indien nach Hamburg verschifft werden sollte. Er habe erst daran gedacht, das Heroin als Halva, eine türkische Süßigkeit, zu tarnen. Dann sei er auf die Idee gekommen, es in Seife zu verpacken.

Seifenfabrik im Iran involviert

Serkan B. reizte offenbar die in Aussicht gestellte Bezahlung von 500 Euro je geschmuggeltem Kilo Heroin. Das bedeutete mehr als 300.000 Euro, denn geplant wurde die erste Ladung mit 690 Kilogramm. Die kam tatsächlich bis zur Übergabe an den Abnehmer nach Holland. Wenn es schon nicht mit dem großen Geld im Sport geklappt hatte, wollte B. nun auf diese Tour zum Millionär werden, denn es sollte nicht bei einer Lieferung bleiben.

Problematisch war jedoch, dass B. kein Deutsch spricht. So wurden weitere Mittäter hinzugezogen, unter anderem ein Deutsch sprechender Iraner aus Bad Gottleuba-Berggießhübel am Rand des Osterzgebirges. Das Geld wurde aufgeteilt. Doch alle Beteiligten flogen auf und stehen nun mit vor Gericht.

Mit einer Fabrik im iranischen Täbriz wurden nach Aussage des Hauptangeklagten die Produktion organisiert. Er selbst habe die Größe der Gussformen und Verpackungen abgesprochen. Irgendwann sei das Heroin in der Fabrik in Stücken in einer Art Wachs angekommen. Danach sei die Seife drumherum gekommen. Zur Tarnung seien auch reine Seifenstücke produziert worden. „Auf einer Palette waren die oberen beiden Lagen echte Seife und die unterste auch“, erklärt der Angeklagte. Dazwischen seien die Packungen mit dem Heroin gewesen.

„7 Extract Soap“ hieß die Seifenmarke. Tatsächlich findet man Werbung dafür mit dem Produktionsort Täbriz im Iran bis heute im Internet. Ob es einen Zusammenhang gibt, muss noch geklärt werden.

Anfang mit legalen Geschäften

Dass es in der Strafverfolgung keine Zusammenarbeit mit iranischen Behörden gibt, macht die Aufklärung der Hintergründe schwierig. Dass Iraner involviert gewesen sein müssen, deutet der Angeklagte nur in einem Nebensatz an. Es war Corona-Zeit und Hygieneprodukte wie Seife habe der Iran im eigenen Land behalten wollen. „Unsere Ware durfte das Land aber verlassen“, erklärt B.

Der Angeklagte kooperiert nicht ohne Grund. Er möchte nach der Hälfte der Haftzeit, wie lange sie auch immer dauern möge, von Deutschland nach Serbien oder in die Türkei abgeschoben werden. Er besitzt diese beiden Staatsbürgerschaften. Oberstaatsanwalt Jan Hille nimmt die Aussagebereitschaft wohlwollend zur Kenntnis. Zugeständnisse macht er keine. Zumal Serkan B. auch erklärt hat, keine Nachfragen der Staatsanwaltschaft zu beantworten.

Doch wann kam nun der deutsche Kaufmann aus Grumbach ins Spiel? Auch er hat schon vor Gericht ausgesagt. Weil 2016 weitreichende Lockerungen der Iran-Sanktionen in Kraft getreten waren, hielt er das Land für einen interessanten Handelsmarkt. Mit dem Iraner aus Bad Gottleuba-Berggießhübel hatte er bereits einige völlig legale Geschäfte abgewickelt.

Dokumente wurden gefälscht

Unter anderem hatte er eine Ladung Rum einer unbekannten Marke beim Zollamt ausgelöst, um ihn zu verkaufen. Mit beiden Männern hatte auch der Rechtsanwalt und regional bekannte Lokalpolitiker Markus Funken Geschäfte abgewickelt. Auch dieser ist gegenwärtig inhaftiert und wird gesondert verfolgt, wie es heißt.

Im Falle der Drogenlieferungen dachte anfangs der Dresdner Kaufmann Torsten N., der eine Lagerhalle in Grumbach und im mittelsächsischen Geringswalde angemietet hatte, dass es tatsächlich um den Handel mit Seife ging. N. sei bei der ersten Lieferung noch nicht eingeweiht gewesen, erklärte Serkan B. vor Gericht. Mit den falschen Papieren kam die Seife im Hafen in Hamburg an. Von dort an kümmerte sich der Dresdner um den Weitertransport. Es sei allerdings schwierig gewesen, die Seife loszuwerden. Sie war zwar als Bio deklariert, doch fehlten Zertifikate.

Ohne dass N. davon wusste, wurden beim ersten Mal die Packungen mit dem Heroin aus der Lieferung entnommen und per Kleintransporter nach Holland gebracht. In einer abgelegenen Seitenstraße habe Serkan B. das Heroin dann an den Abnehmer übergeben. Dazu erhielt er eine Telefonnummer. Mehr wisse er nicht.

Der freundliche Kaufmann

Torsten N. sitzt während seiner Einlassung vor Gericht mit geradem Rücken, die Ellenbogen breit auf den Tisch gestützt, etwas vorgebeugt über seinen vorbereiteten Schriftstücken. Mit einem Finger streicht er im Lesefluss übers Papier. Nichts möchte er jetzt verpassen zu erklären. Seine Ausführungen sind ungelenk, wirken für Zuhörer ohne Vorwissen eher wirr, sodass der Richter irgendwann den Angeklagten und seine beiden Rechtsanwälte auffordert, klarer zu formulieren.

Auf Nachfrage einer Richterin erklärt N., dass einer der Mitangeklagten schließlich Abnehmer für Seife aus der ersten Lieferung in England und Spanien gefunden habe. N. erhielt nach eigenen Angaben 20.000 Euro aus dem Verkauf. Das habe ihn motiviert, bei weiteren Lieferungen mitzumachen. Seine Verteidigungsstrategie ist, alles so darzustellen, dass er in das Geschäft „hineingepresst“ worden sei. Einer aus der Bande habe ihm gedroht.

Die Kommunikation lief per E-Mail. Eine Person sei im Iran damit beauftragt gewesen, alles wie ein normales Handelsgeschäft ablaufen zu lassen. N. habe nur auf Anweisung des Mitangeklagten Yasar K. gehandelt. Richtung Staatsanwaltschaft sagte er, dass er auch kooperiert hätte, wenn er von Kriminalbeamten angesprochen worden wäre. Die Menschen, die ihn in Grumbach als freundlichen Kaufmann erlebt haben, nehmen ihm das sicherlich ab. Auch jetzt vor Gericht wirkt sein Gesichtsausdruck, als würde er lächeln. Eine solche Vertrauensperson hatten die Drahtzieher des Heroinschmuggels offenbar gesucht.

Später machten sich die Drahtzieher des Schmuggels auch noch N.s bislang gescheiterten Kinderwunsch zunutze. Sie stellten erfolgversprechende Kontakte zu einer Kinderwunschklinik in Zypern her. Dort traf man sich später auch.

Festnahme in Grumbach

Irgendwann hatten Fahnder der Polizei die Angeklagten auf dem Radar. Die Männer waren offenbar abgehört worden. Auch mit der Polizei in den Niederlanden gab es eine Zusammenarbeit. Schließlich wurde in Hamburg die 3. Lieferung von Zollbeamten geöffnet. Die Seifenpackungen mit dem Heroin wurden entdeckt, entnommen und mit einem Ersatzstoff von etwa gleichem Gewicht ausgetauscht.

Spätestens am 8. September 2022 flog dann alles auf, als die dritte Lieferung in der Lagerhalle in Grumbach ankam. Das Getöse von dabei eingeschlagenen Türen und Fenstern schreckte die Nachbarschaft in jener Nacht auf. N. wurde von einem Einsatzkommando des Bundeskriminalamts festgenommen. Kurz darauf wurden auch die anderen vier Angeklagten festgenommen, zwei davon in den Niederlanden.

Wie die Staatsanwälte N.s Rolle in diesem Fall bewerten, ist noch nicht vollends klar. Sie kamen bislang kaum zum Zuge. Verhandlungstermine mussten abgesagt werden, weil Schöffen erkrankt sind. Auch wegen einer nötigen Herz-OP des über 60-jährigen Iraners aus Bad Gottleuba-Berggießhübel wurden bereits Verhandlungstermine verschoben.

Von Staatsanwälten werden die Einlassungen von Angeklagten in anderen Verfahren hinter vorgehaltener Hand auch manchmal als Märchenstunden bezeichnet. Was sich in diesem spektakulären Drogen-Verfahren alles beweisen lässt, werden erst weitere Verhandlungen und Zeugenaussagen zeigen. Schon zu Prozessbeginn waren fast zwei Dutzend Termine bis April angesetzt. Das könnte sich mit jeder weiteren unvorhergesehenen Unterbrechung sogar noch verlängern.

Zahl der Drogentoten seit 2012 verdoppelt

Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich angestiegen. Nach Angaben der Bundesregierung waren es 2012 insgesamt 944 Tote. 2022 wurden schon 1.990 Drogentote registriert und hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt. Die häufigste Ursache war eine Vergiftung mit Heroin/Morphin.

Bei den Fällen von Rauschgifttoten ist eine Vergiftung mit Heroin die häufigste Ursache in Deutschland.
Bei den Fällen von Rauschgifttoten ist eine Vergiftung mit Heroin die häufigste Ursache in Deutschland. © Grafik SZ/Gernot Grunwald

Damit nähert sich Deutschland der höchsten, je gemessenen Zahl an Drogentoten aus dem Jahr 1991. Damals wurden 2.125 Personen gezählt. Ein zweites Hoch gab es im Jahr 2000 mit 2.030 Drogentoten.