Nero wiehert und stampft mit den Hufen. Paula Liebig, seine zierliche Chefin, muss fest zupacken, um ihn unter Kontrolle zu halten. Womöglich liegt der Duft einer rossigen Stute in der Luft. Dabei ist Nero kein Hengst mehr, sondern ein Wallach. Neulich war Kastration. Doch bis das hengstische Gehabe sich verliert, sagt sie, wird es noch einige Tage dauern.
Nero ist neu auf der Reitanlage Tögel in Oberfrauendorf im Glashütter Land. Paula Liebig glaubt: Er ist genau richtig hier. Nicht zu groß, nicht zu klein, schöne Farbe, liebe Augen. Jetzt muss er nur noch mit dem Sattel klarkommen. Ob und wie schnell das klappt, weiß Paula Liebig nicht. Nero ist ein Pferd ohne Vergangenheit. Was in den viereinhalb oder fünf Jahren seit seiner Geburt geschah, liegt im Dunkeln. "Wir haben die Katze im Sack gekauft."
Namenlos und ohne Papiere aufgegriffen
Als der Rappe Nero an einem Montagmorgen im März entdeckt wird, hat er nicht mal einen Namen, sondern steht mit drei anderen Großpferden ohne Transportsicherung auf der Ladefläche eines bulgarischen Kleinlasters. Zöllner hatten das Fahrzeug auf der Autobahn A 17 angehalten. Die Tiere kommen ihnen verwahrlost vor. Passende Papiere haben weder Fahrer noch Beifahrer dabei. So wird das Pirnaer Landratsamt alarmiert.
Tatsächlich stellt die Veterinärbehörde gravierende Mängel fest. Nicht nur, dass die Umstände des Transports von A bis Z illegal sind. Die Tiere selbst befinden sich in bedenklichem Zustand: Entkräftung, Atemwegsinfektion, Lahmheit, Wunden. Die Weiterfahrt Richtung Niederlande fällt aus. Die Tiere werden in eine lokale Pferdepension gebracht und dort fürs Erste versorgt.
Wie weiter? Über die Pferde ist rein gar nichts bekannt. Außer den Personalien der Fahrzeugführer gibt es keine Anhaltspunkte. Der Spediteur meldet sich später zwar telefonisch. Das bringt die Behörde aber nicht weiter. "Eine Frist, in der sich die Beteiligten zu entscheidungsrelevanten Tatsachen äußern konnten, verstrich ungenutzt."
Weil es das Amt für ausgeschlossen hält, dass ein Zuständiger sich findet, der zeitnah "rechtskonforme Haltungsbedingungen" herstellen kann, wird die Wegnahme und Versteigerung der Pferde angeordnet. Am Tag vor Himmelfahrt fällt im Hof des Landratsamts auf dem Pirnaer Sonnenstein der Hammer.
Das Amt versteigert immer mal Kurioses, vom Beatles-Autogramm bis zum Motorboot. Pferde sind außerordentlich selten. In den letzten fünf Jahren waren nur zweimal Pferde veräußert worden. Zur Auktion erscheinen zwölf Interessierte, darunter auch Bieter aus dem Landkreis Bautzen und aus Dresden.
Von der Auktionsware zum Dressurpferd
Paula Liebig ist ebenfalls zur Stelle. Für gewöhnlich ersteigert sie keine Pferde. Aber weil die Sache vor der Haustür stattfindet, geht sie hin. Man kann Pech haben, sagt sie, aber eben auch Glück. Vor vier Jahren hat sie schon einmal ein Tier aus schlechter Haltung via Auktion gekauft und anschließend ausgebildet. Heute gewinnt es als Dressurpferd "Highlander Delight's" Preise.
Die Startgebote zwischen vier- und sechshundert Euro sind, die unklare Vorgeschichte eingerechnet, noch immer verlockend. Für ein ordentliches Pferd, so weiß auch Paula Liebig, zahlt man sonst siebentausend - aufwärts. Ihr ist klar, dass sie sehr günstig eingekauft hat, als sie Nero für 750 Euro mitnehmen darf.
Und davon ist sie bis heute überzeugt. Nero macht, abgesehen von den verbliebenen Hengst-Allüren, einen hübschen Eindruck, findet sie. Jetzt wird man ihn viel am Halfter führen und an der Longe gehen lassen. Dann probiert man, den Sattel aufzulegen, dann hängt man sich mal ran. Alles Schritt für Schritt, sagt Paula Liebig. "Man weiß nie, wo die Reise hingeht."
Die Reise soll in Richtung verkaufbares Freizeitpferd gehen. Freizeitpferde sind gefragt, sagt die Fachfrau. Sie müssen Allrounder sein, nutzbar sowohl auf dem Platz, als auch im Gelände, und dabei gutmütig mitarbeiten. Wer nach Feierabend aufs Pferd steigt, der sucht Entspannung, erklärt sie, und keine Kraftproben mit einem "Halbwilden".
Der Erfolg, der ein Verlustgeschäft ist
Nero, so sieht es derzeit aus, wird für die Reitanlage Tögel in Oberfrauendorf ein Gewinn sein. Die anderen drei Pferde haben ebenfalls neue Besitzer. Es handelt sich um Privatleute aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Die Veterinärbehörde in Pirna ist hochzufrieden. Es sei mit Bedacht und mit hohem Bewusstsein für das Schicksal der Tiere geboten worden.
Insgesamt hat der Landkreis für seine "Amtsschimmel" 5.900 Euro eingenommen, gut dreimal mehr als die addierten Startgebote. Das Geld werde mit den entstandenen Kosten für die Verwahrung der Pferde verrechnet, heißt es aus der Behörde. Wie hoch diese seien, werde noch ermittelt. "Die Kosten sind jedoch höher, als der Erlös."
Ein geschmuggeltes Pferd an Krankheit gestorben
Ermittelt wird unterdessen auch bei der Staatsanwaltschaft Dresden im Falle Neros und seiner Leidensgenossen, wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Geldstrafen oder mehrjährige Haft stehen im Raum. Wie Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt zur SZ sagt, würden die Ermittlungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen. "Die Beschuldigten befinden sich nicht in Untersuchungshaft."
Die Ermittlungen richten sich nicht bloß gegen die beiden Bulgaren, die in dem Pferdelaster auf der A17 saßen. Denn am selben Tag stoppte der Zoll auf der A14 bei Nossen eine fast identische Fuhre. Auch dort war es ein Kleinlaster mit bulgarischer Besatzung, der vier "Geisterpferde" ohne jegliche Unterlagen an Bord hatte.
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In diesem Fall hat der Landkreis Meißen die Pferde in Obhut genommen. Sie seien in einem von Dritten betriebenen Stall untergebracht. Weiteres will die Kreisverwaltung in der Sache nicht mitteilen. Es handele sich um ein laufendes Verfahren. Laut Staatsanwaltschaft ist eins der Pferde, eine Stute, inzwischen an einer Erkrankung gestorben. Ob diese bereits beim Aufgriff an der Autobahn bestanden habe, sei derzeit nicht bekannt.