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Prozess in Dresden: Nach nächtlichem Stadtfest-Umtrunk Frau überfallen

Ein 22-Jähriger hatte angeblich drei Promille Alkohol intus, was ihm niemand anmerkte. So soll er im vergangenen Sommer eine Frau auf dem Stadtfest in Dresden gewürgt haben.

Von Alexander Schneider
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Ein 22-Jähriger hat nach dem Stadtfest in Dresden ein Frau überfallen. Sein Motiv ist bis zum Schluss des Prozesses am Amtsgericht Dresden ein Rätsel.
Ein 22-Jähriger hat nach dem Stadtfest in Dresden ein Frau überfallen. Sein Motiv ist bis zum Schluss des Prozesses am Amtsgericht Dresden ein Rätsel. © Sven Ellger (Symbolbild)

Dresden. Jonas K. war auf dem Dresdner Stadtfest. Dort hatte er getrunken. "Wahrscheinlich Bier und Schnaps", sagt er. An alles, was dann passierte, kann oder will er sich nicht mehr erinnern. Der 22-Jährige sitzt am Freitag vor dem Amtsgericht Dresden. Laut Anklage hat K. am 20. August 2023 eine Frau am Käthe-Kollwitz-Ufer verfolgt. In Höhe der Pfeifferhannsstraße habe er sie plötzlich am Hals gepackt und gewürgt.

Die 33-Jährige habe sich befreien können, doch der Täter habe sie wieder am Hals gepackt und mit beiden Händen fest zugedrückt, habe sie dann an den Haaren gezerrt. Erst als Leute hinzukamen, habe er von ihr abgelassen – es geht um gefährliche Körperverletzung.

Vorstrafen reichen von Sachbeschädigung über Volksverhetzung bis Beleidigungen

"Mein Mandant kann sich nicht erklären, wie es zu dem Übergriff gekommen ist", sagt Verteidiger Peter Hollstein, "er ist heute genau so schockiert wie damals". Der Anwalt betont, dass der 22-Jährige am Tatort geblieben sei und auch den Anweisungen der Polizei Folge geleistet habe.

Doch genau das mag kaum einer in dieser Hauptverhandlung verstehen. Wenige Minuten nach dem Vorfall hat K. auf die Polizei nicht alkoholisiert gewirkt, habe weder gelallt noch geschwankt. Doch der Atem-Alkoholtest vor Ort ergab knapp drei Promille, was selbst die Beamten überrascht habe. Dass sie ihn angesichts dieses schweren Vorwurfs nun nicht in eine Klinik zur Blutabnahme brachten, ist wohl nur mit seinem "orientierten" Verhalten zu erklären. Er habe die Vorwürfe bestritten und behauptet, er habe der Frau helfen wollen, sagt ein Polizist als Zeuge. Doch das passt nicht zu dem angeblichen Filmriss, den K. nun vorgibt. Er sagt selbst, er wisse nicht, was zwischen seinem Stadtfestbesuch und dem Aufwachen in seinem Bett am nächsten Tag gewesen sei.

Jonas K. stammt aus Thüringen und lebt seit einigen Jahren in Dresden. 10. Klasse Hauptschule, mehrere Berufsausbildungen angefangen, nichts zu Ende gebracht, seit dem arbeitslos. Vier Einträge stehen in seinem Register, Sachbeschädigung, Volksverhetzung, mehrere Beleidigungen, Hausfriedensbruch, Diebstahl, alles nach Jugendstrafrecht erledigt. Die letzten drei Jahre ist er offenbar nicht mehr aufgefallen. Nein, er trinke nicht regelmäßig Alkohol, sagt er.

"Hallo, junge Dame"

Die 33-Jährige beschreibt den Angriff eindringlich. Auch sie sei auf dem Stadtfest gewesen, zuletzt unter der Carolabrücke, wo sie ihre Freundin "verloren" habe. Auf dem Nachhauseweg habe sie nach der Sachsenallee das Gefühl gehabt, dass ihr jemand folgt. Der Täter habe sie eine Weile verfolgt, dann angesprochen: "Hallo junge Dame, darf ich Dich ‘was fragen?" Sie habe darauf nicht reagiert, sei weitergelaufen. Er sei ihr gefolgt. Es sei "komisch" gewesen. Dann sei er in einen Seitenweg eingebogen. "Ich dachte, vielleicht hat er mich doch nicht gemeint."

Dann habe K. hinter einem Baum gestanden und die beobachtet. "Ich bin schneller gelaufen." Sie habe versucht, mit dem Handy ihre Freundin zu erreichen. Als sie in die Pfeifferhannsstraße einbiegen wollte, habe der Angeklagte sie plötzlich gepackt. Im Würgegriff. Sie habe "richtige Todesangst" gehabt. Wie sie aus der Umklammerung gekommen sei, könne sie nicht sagen. Dann seien sie hingefallen, "ich war auf allen Vieren." Er habe sie von hinten gewürgt. "Das war's jetzt", habe sie gedacht.

Dann sei sie wieder losgekommen. Gelaufen. Er habe sie eingeholt, an den Haaren gerissen, der Inhalt ihrer Tasche habe sich auf die Straße ergossen. "Er sagte, ich soll nicht so laut schreien." Sie habe einen Radfahrer gesehen, der einfach weitergefahren sei. Erst als drei Passanten kamen, zwei Männer und eine Frau, und fragen, ob alles in Ordnung sei, habe K. abgelassen.

"Die sind bei mir geblieben", sagt die 33-Jährige. Der Angeklagte habe seine Hände hochgehoben und "Es ist doch nichts" gesagt. Er habe so getan, als habe er ihr helfen wollen, "weil ich herumgeschrien habe". Neun Minuten habe der Angriff gedauert, sagt sie. Das habe sie an ihrem Handy abgelesen. Sie habe das Telefon um 1.25 Uhr fallen lassen, als sie angegriffen wurde und versucht hatte, eine Freundin zu erreichen. Und um 1.34 Uhr aufgehoben.

Die gelernte Kosmetikerin war zwei Wochen arbeitsunfähig, noch heute gehe sie abends nicht allein vor die Tür, habe Angst und bekäme Panikattacken, "wenn jemand hinter mir läuft", sagt sie. Wenn es klappt, werde sie nach der Arbeit von einer Kollegin nach Hause begleitet.

Angeklagter bittet um Entschuldigung - und will in Haft

Jonas K. bittet sein Opfer nach ihrer Aussage um Entschuldigung: "So etwas ist bei mir noch nie vorgekommen. Ich schäme mich dafür." Am Ende sagt er sogar selbst, für so eine Tat käme nur eine unbedingte Haftstrafe in Betracht. Die Staatsanwältin hatte zuvor drei Jahre und zwei Monate Gefängnis gefordert, während Verteidiger Hollstein die Sache, auch wegen der erheblichen Alkoholisierung seines Mandanten mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr für ausreichend gesühnt hielt. Das Motiv des Angeklagten bleibt bis zum Schluss offen. Auch die 33-Jährige weiß nicht, was der Täter von ihr wollte.

Das Gericht verurteilt den Mann zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. "Der Gesellschaft ist unserer Ansicht nach besser geholfen, wenn Sie engmaschige Bewährungsauflagen erhalten, als ins Gefängnis müssen", sagt Richter Thomas Hentschel, der Vorsitzende des Schöffengerichts. K. muss der 33-Jährigen ein Schmerzensgeld zahlen, zur Alkohol- und Drogenberatung und 40 Arbeitsstunden pro Monat leisten, solange er noch arbeitslos ist, entschied das Gericht. Darüber hinaus wird er einem Bewährungshelfer unterstellt und die Dauer der Bewährung auf drei Jahre bestimmt.

"Den Filmriss glauben wir Ihnen nicht", sagt Hentschel. Das Verhalten des angeklagten während der Tat und seine Reaktionen gegenüber den Polizeibeamten sprächen klar gegen die behauptete Amnesie.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. K. akzeptierte den Schuldspruch, aber die Staatsanwaltschaft wird ihn nochmal überdenken.