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Die Ärzte singen eine Hymne an die Demokratie

Sänger Farin Urlaub sagt: „Ich habe das Gefühl, Deutschland wird den USA immer ähnlicher: Alle schreien, keiner hört mehr zu, alle haben recht.“

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"Immer meckern über das scheiß System - das ist sehr bequem", singen Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez (v. l.) von der Band Die Ärzte.
"Immer meckern über das scheiß System - das ist sehr bequem", singen Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez (v. l.) von der Band Die Ärzte. © Wagmüller PR

Die Berliner Punkrockband Die Ärzte („Noise“, „Schrei nach Liebe“, „Zu spät“) macht sich Sorgen um gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Deutschland. Mit Blick auf die Europawahl im Juni haben die Musiker den Song „Demokratie“ vom jüngsten Album mit KI-basiertem Video ausgekoppelt. Wir fragten Bela B, Farin Urlaub und Rod González, was sie damit bewirken wollen.

Wieso ist für Sie die Auskopplung des Songs „Demokratie“ zu diesem Zeitpunkt wichtig?

Farin Urlaub: Ich habe das Gefühl, dass Deutschland den USA immer ähnlicher wird: Alle schreien, keiner hört mehr zu, alle haben recht. Fehler machen immer die Anderen, und Kompromisse gelten schon als eine Niederlage. Bela hielt den Zeitpunkt für gekommen, „Demokratie“ zu veröffentlichen.

Bela B: Es ist doch irre, überall in Deutschland wird für Demokratie geworben. Ich sehe Plakate für Kongresse, Dokumentationen in Funk und Fernsehen, Diskussionsrunden. Eigentlich leben wir in einem demokratischen Staat, der felsenfest auf seiner Grundordnung steht, und doch scheint die Demokratie grad mehr als sonst ein besonders zu schützendes Gut zu sein. Warum zweifeln so viele Leute an ihr? Warum verwenden so viele den Begriff falsch?

Die Ärzte engagieren sich politisch und gesellschaftlich auf verschiedene Weise. Im Video agiert ein Farin-Urlaub-Avatar im Bundestag. Unter welchen Bedingungen ist ein solches direktes persönliches Engagement denkbar?

Bela B: Wir gehören als Musiker automatisch zur künstlerischen Opposition. Unsere Meinungen, unsere Kommentare werden anders und für viele Leute vielleicht auch ehrlicher gelesen als die vieler Politiker. In unserem Rahmen agieren wir politisch, ob nun als Unterstützer von Seenotrettung oder etlichen NGOs, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Unser Labor Tempelhof, wo wir bereits zum zweiten Mal ein Festival so klimaneutral wie nur irgend möglich ausrichten, setzt politische Maßstäbe und inspiriert die gesamte Branche über Landesgrenzen hinweg. All das können wir nur tun, weil wir keine Kompromisse eingehen müssen. Für die Politik sind wir viel zu stur. Diese Freiheit geben wir nicht auf.

Farin Urlaub: Wir agieren als Band politisch, weil Neutralität gar keine Option ist heutzutage. Als echter Politiker wäre ich persönlich allerdings denkbar ungeeignet, schon aus Mangel an jeglicher Kompetenz.

In welcher Form können sich Die Ärzte KI-Experimente auch mit Musik oder Texten vorstellen?

Farin Urlaub: Der große Zeichner Tex Rubinowitz hat mir kürzlich zwei Experimente geschickt, in denen er klassische Texte von Thomas Bernhard und Ernst Jandl von einer KI in verschiedenen Musikstilen interpretieren ließ – das war gleichzeitig schockierend, bescheuert und nichtssagend. Ich für meinen Teil höre lieber Menschen zu. KI ist bisher eher Wiederkäuer als tatsächlich kreativ.

Bela B: Es gab schon immer Musik, die für den Massengeschmack produziert wurde und wird. Wenn das jetzt die KI macht, kann mir nichts egaler sein.

Rod González: Würden wir mehr so Fahrstuhlmusik, Warteschleifen und Supermarkt-Backgroundmusik oder Tiktok-Songs machen, dann würden wir das nur noch benutzen.

In Zeiten von Inflation und Kostenexplosion bieten Die Ärzte Sozialtickets an. Warum ist das wichtig, und in welcher Form ist eine Ausweitung auf andere Produkte vorstellbar?

Farin Urlaub: Immerhin haben wir ja bereits Economy-Versionen von einigen Tonträgern veröffentlicht: billiger, aber eben auch schlechter gespielt, liebloser aufgenommen, mit schlechteren – manche würden sagen: noch schlechteren – Texten.

Bela B: Ich sehe bei Tonträgern kein Problem. Wer sie sich nicht leisten kann, streamt seine Musik. Das Problem ist nur, dass es sich für Musiker eigentlich nicht mehr lohnt. Die Gier hat die Musikbranche an den Abgrund gebracht. Beim Streamen profitieren nur noch die Plattenfirmen.

Auch bei Konzerten?

Bela B: Auch hier halten zuerst Firmen die Hand auf. Ticketpreise von 170 bis 500 Euro sind inzwischen Normalität. 1.000 bis 3.000 Euro hat es im letzten Jahr auch nicht nur einmal gegeben. Wenn es immer so weitergeht, verlieren wir bald auch das Allerwichtigste – das Publikum.

Farin Urlaub: Die Sozialtickets waren eine ganz direkte Reaktion auf die Bands, die gern auch den letzten Euro aus dem Publikum wringen wollen mit VIP-Tickets, Triff-den-Künstler-in-der-Garderobe-Tickets, Sieh-die-Band-von-Nahem-Angeboten – zu bizarren Preisen. Wir fanden es wichtig, auch an diejenigen zu denken, die uns zwar mögen, aber vielleicht gerade schwierige Zeiten durchmachen. Also gibt es bei uns günstigere Tickets, nicht teurere.

Bela B: Wir verdienen trotz Gagen für die Gast-Bands, fairer Eintrittspreise und den Sozialtickets ja trotzdem Geld und können Bühnenmaterial und Roadies fair bezahlen. Die steigende Preiskurve für größere Konzerte ist absurd und hat noch den schlimmen Nebeneffekt, dass weniger Menschen zu kleineren Bands gehen, weil sie kein Geld mehr für Clubkonzerte übrig haben.

Rod Gonzalez: Unsere Sozialtickets verstehe ich als eine Gegenbewegung zur Preispolitik der Ticketingkonzerne, hinter denen sich die Künstlerinnen und Künstler leider gern verstecken, wenn sie der Backlash der mittlerweile horrenden Ticketpreise erreicht.

Das Gespräch führte Gerd Roth (dpa)