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DDR-Kunst ist kein Label, das man wie TÜV-Plaketten auf Bilderrahmen kleben darf

Interviewprojekt Kunstszene Ost, Teil 16: Thea Herold schrieb ihre ersten Texte über Kunst in Moskau, realisierte eigene Kunstprojekte und ist Expertin für Schlaf.

Von Sarah Alberti
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Thea Herold, Autorin, Künstlerin und Schlafexpertin, lebt und arbeitet in Berlin.
Thea Herold, Autorin, Künstlerin und Schlafexpertin, lebt und arbeitet in Berlin. © Thomas Kretschel

Frau Herold, Sie haben viele Jahre als Kulturjournalistin gearbeitet. Wo ist Ihr erster Text erschienen?

In der Sächsischen Zeitung, Kreisseite Riesa. Da war ich 14 Jahre alt. Die Kreisredaktionen hatten Jugendredaktionen. Wir waren ganz stolz, dass wir da mitschreiben konnten. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Text über den Lehrer einer Musikschule.

Und da haben Sie Feuer gefangen?

Ich wollte immer schon schreiben. Es gab in der DDR nur eine Universität, wo man den Beruf Diplomjournalist erlernen konnte. Die war in Leipzig. Es war ganz klar: Wenn es für mich in dieser Richtung weitergehen soll, muss ich dorthin.

Wie viel Einfluss hat der Staat auf die Studieninhalte genommen?

Zu 50 Prozent war es schon eine Ausbildung, die parteilich gebunden war. Sie sollte ja auf die Arbeit als Parteijournalist vorbereiten. Es gab Fächer wie Gesellschaftsaufbau und Politik im Sozialismus. Nach der Wende haben wir unsere Ausbildungswege mit Kollegen verglichen, die ihre journalistische Ausbildung in den alten Bundesländern durchlaufen hatten. Stilistik, methodische Ausbildung und die Genreausbildung waren sehr ähnlich. Das war auch in der DDR eine gute und sichere Grundlage, mit der man später arbeiten konnte.

Wie ging es nach dem Studium für Sie weiter?

Ich bin erst einmal als Bürokraft bei Intertext untergekommen. Das war die Fremdsprachenagentur der DDR. Ich habe den Job zum Glück nicht lange machen müssen. Denn Ostern 1984 zogen wir nach Moskau um. Mein Mann war dort als Juniorkorrespondent des Neuen Deutschland akkreditiert.

Wie kann ich mir Ihren Alltag in Moskau vorstellen?

Wir waren eine junge Familie, das Kind acht Monate alt, die Mutter 24, der Vater 25. Wir haben erlebt, wie ein Land in Agonie wie erstarrt ist. Und sich dann in jeder Hinsicht umwendet in eine ausgesprochen bewegliche, neu orientierte Zeit. Glasnost und Perestroika waren ja nicht nur Worte. Das hat tatsächlich für ein Umwälzen in der Gesellschaft gesorgt. Mit dieser Erfahrung kamen wir zurück in die DDR, in der wir uns nicht mehr wirklich auskannten. Es kam uns vor, als würde der Mehltau nun hier auf der Gesellschaft liegen. Zugleich gab es viel Interesse an den Erfahrungen, die wir gemacht hatten. Wir waren unterwegs, um in kleinen Gruppen über die Moskauer Zeit zu erzählen. Wie Wanderprediger.

War von Beginn an klar, dass Sie nur für einen bestimmten Zeitraum in Moskau bleiben würden?

Ja. Es gab eine klare Zeitspanne zwischen dem Wechsel der Redakteure, immer für vier bis fünf Jahre. Nach den Jahren in Moskau bin ich mit dem Gefühl heimgekommen, in der Sowjetunion erwachsen geworden zu sein. Aber ganz anders, als ich in Berlin hätte erwachsen werden können. So bin ich dieser Zeit und diesem Land bis heute noch dankbar. Und ich bin unendlich traurig darüber, was dort aktuell passiert.

War nach Ihrer Rückkehr nach Berlin klar, dass Sie wieder an die Feder wollten?

Nun, in der Zwischenzeit habe ich ja nicht wirklich schreiblos gelebt. Ein Korrespondent aus Österreich fragte mich in Moskau, ob ich für seine Redaktion über Kulturthemen schreiben könnte. Das habe ich gerne gemacht. Vor allem über Ausstellungen. Das ist auch gedruckt worden. Wenn auch unter anderem Namen.

Wie war Ihr Pseudonym?

Nele Buschmann.

Und warum haben Sie vor allem über Ausstellungen geschrieben?

Theaterstücke und Filme musste ich auf Russisch ja so verstehen können, wie sie gesprochen wurden, also meistens sehr schnell. Ein Bild, eine Plastik, eine Installation, die hielt still. Die hielt so lange still, bis ich das Gefühl hatte: So, jetzt haben wir uns verstanden! Einige wenige Texte wurden auch in der DDR im Sonntag gedruckt.

Nach Ihrer Rückkehr waren Sie bis 1989 noch Kulturredakteurin bei der Jungen Welt. Wie frei sind Sie da gewesen?

Es gab eine ganze Reihe von Texten, die nicht erschienen sind und vom damaligen Feuilleton-Chef einfach von der Seite genommen wurden. Meine Hauptarbeit war damals das Organisieren einer Grafikedition. Ich gab ihr den Titel „Beweggründe“. Als die fertig war, im Mai 1989, war das ein sehr umstrittener Titel. Aber ich war bockig, und ich wollte ihn so haben. Er wurde auch so gedruckt. Trotzdem bin ich bald gegangen. Mit dem Schwung aus den „Die-Mauer-ist-gefallen-Monaten“ habe ich mir vom Finanzamt eine eigene Steuernummer geben lassen und war fortan freie Autorin.

Wie war Ihre Gefühlslage im November 1989?

Ungläubig, euphorisch, neugierig. Ich war auch erleichtert, weil ich wusste, dass ich mir ab sofort keine Gedanken mehr darüber machen musste, ob wir ausreisen.

Was war Ihr erster Text, der im Westen erschien?

Das war ein Text beim Tagesspiegel, eine kleine Rezension. Ich hatte den Redakteur und späteren Feuilleton-Chef Bernhard Schulz bei einer Pressekonferenz kennengelernt. Nicht nur wir waren neugierig auf den Westen, der Westen war auch ein bisschen neugierig auf den Osten.

Gab es Momente, wo unterschiedliche Vorstellungen aufeinandertrafen und Verständigung nötig wurde?

Sehr viele. Das eine ist ja: Wird eine journalistische Recherche professionell zu Ende gebracht. Das andere ist: Gelingt es, dieses Stück in der Medienlandschaft unterzubringen, dass es gedruckt und honoriert wird? Hier brauchte es handwerkliche Grundlagen, dort brauchte es anfangs alles: Telefonnummern, Vernetzung, Strategie. Ich habe sehr oft selbstbewusst nachgefragt und bekam Antworten. Und es gab auch viel Ermutigung im persönlichen Gespräch.