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Gerhard Richters Diplomarbeit soll in Dresden freigelegt werden

Die Diplomarbeit des weltberühmten Malers Gerhard Richter war Jahrzehnte nicht zu sehen. 2024 soll das Wandbild "Lebensfreude" von 1956 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden freigelegt werden.

Von Birgit Grimm
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Der 91-jährige Maler Gerhard Richter ist immer wieder für eine Überraschung gut.
Der 91-jährige Maler Gerhard Richter ist immer wieder für eine Überraschung gut. © Agentur

Wer möchte schon gern andauernd und vor allem öffentlich an seine Jugendsünden erinnert werden? Insofern kann man Gerhard Richter gut verstehen, dass er seine frühen Arbeiten nicht gelten lassen will. Der Maler, der 1932 in Dresden geboren wurde, in der Stadt studierte und 1956 an der Hochschule für bildende Künste Diplom machte, die DDR noch kurz vor dem Mauerbau verließ, ist inzwischen weltberühmt. Seine Werke erzielen auf dem Kunstmarkt Preise, die ihm und seiner Familie ein gutes Leben ermöglichen, aber die er selbst für ein wenig absurd hält. Sein von ihm autorisiertes Werkverzeichnis beginnt erst mit dem Gemälde „Tisch“, das er 1962 in Düsseldorf gemalt hatte. Was in zuvor in Dresden entstanden war, ließ er lange Zeit konsequent nicht gelten.

Bei seiner Flucht in den Westen konnte der Maler keines seiner Bilder mitnehmen, und auch die ersten Arbeiten, die er 1961 im Westen gemalt hatte, verbrannte er in einer spektakulären Aktion an der Kunstakademie in Düsseldorf. Dennoch dürfte manches frühe Bild des Studenten – unentdeckt oder auch sorgsam gehütet – noch in privaten Stuben existieren.

Gerhard Richter entwarf diese Giebelgestaltung in Görlitz-Hagenwerder.
Gerhard Richter entwarf diese Giebelgestaltung in Görlitz-Hagenwerder. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Drei Wandmalereien in Dresden ausgeführt

Von seinen Wandbildern in Dresden hat nur eins überlebt. Gerhard Richter hatte bei Heinz Lohmar Wandmalerei studiert und in Dresden insgesamt drei Wände bemalt: 1954 in der Mensa der Kunstakademie eine Art „Abendmahl mit Picasso“, das diverse Größen der Kunstgeschichte an einem Tisch versammelte. Es ist zerstört, ebenso wie das Gemälde für die SED-Bezirksleitung. Dort malte er 1958 einen „Arbeitskampf“ an eine Wand des Sitzungssaals. Klassenkampf mit roter Fahne und einer Arbeiterklasse, die die kapitalistischen Ausbeuter besiegt, so eine Darstellung wäre den führenden Genossen bestimmt lieber gewesen. Der „Arbeitskampf“ fiel in eine Zeit, in der die DDR-Kulturfunktionäre der Freiheit der Kunst einen Riegel vorgeschoben hatten und die Malerei von Pablo Picasso und Marc Chagall, von Karl Schmidt-Rottluff und Ernst-Ludwig Kirchner als wirklichkeitsfernen Mummenschanz diskreditierten.

Erhalten blieb in Görlitz-Hagenwerder eine Giebelgestaltung mit einem stilisierten Stadtplan der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz/Zgorzelec und einer Sonnenuhr. Das Bild war immer zu sehen. Aber kaum jemand wusste, dass es von Gerhard Richter ist. Zumindest den Entwurf hat er gemacht, ausgeführt haben sollen die Malerei an der Außenwand des Bürogebäudes andere Künstler.

Foto: Deutsches Hygiene-Museum, Foto: Erich Auerbach, 1969)
Foto: Deutsches Hygiene-Museum, Foto: Erich Auerbach, 1969) © Deutsches Hygiene-Museum, Foto:

60 Quadratmeter sozialistische Lebensfreude

Wesentlicher in Richters Schaffen ist jedoch seine Diplomarbeit von 1956, das gut 60 Quadratmeter große Wandbild mit dem Titel „Lebensfreude“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Seit 1979 ist es nicht mehr zu sehen. Es wurde überstrichen, aber nicht vernichtet. In den Akten des Hygiene-Museums wurde dieser Vorgang vermerkt: „Vom Generaldirektor wurde entschieden, das Wandbild von G. Richter zu überstreichen, um den Originalzustand wieder zu erreichen. ... Außerdem hat G. Richter nach Abschluss seiner Ausbildung 1959/60 Republikflucht begangen.“ Letzteres dürfte der wesentliche Grund fürs Weißen der gestalteten Wand gewesen sein. Auch der Denkmalschutz in Person des ehrenwerten Hans Nadler wurde damals involviert und die Begründung bemüht, dass der Wert des Baudenkmals Hygiene-Museum höher liege als der einer studentischen Arbeit.

An Richters „Lebensfreude“ können die Genossen nun wirklich nichts auszusetzen gehabt haben. Hatten sie auch nicht, zumindest nicht die Prüfungskommission der HfBK. Die Diplomarbeit bekam die Bestnote. Das Bild besteht aus mehreren Szenen, die einen entspannten sozialistischen Alltag zeigen: Glück pur, Lebensfreude, wie sie im Parteibuch stand. Ein junger Mann, der fröhlich sein Kind über den Kopf hebt. Junge Frauen am Strand. Ein Liebespaar, eine junge Familie, Tauben, Blumen, Bäume und im Hintergrund die Industrie, in der Wohlstand erarbeitet werden soll. Alles drin, was das Herz begehrt. In den 50er-Jahren durfte und sollte sozialistisch-realistische Kunst gern bunt und fröhlich daherkommen und nicht so grau wie die Realität vielerorts war.

1994 lehnte der Künstler die Freilegung ab

Als Gerhard Richter 1994 von Martin Roth, dem damaligen Direktor des Deutschen Hygiene-Museums gefragt wurde, ob man das Bild wieder freilegen dürfe, hat er abgelehnt. Es gehöre nicht zu den erhaltenswerten Kunstwerken der Welt, und den Aufwand zur Wiederherstellung könne er nicht billigen, beschied Richter.

Schon vor längerer Zeit habe der Künstler seine Meinung geändert, sagte dieser Tage Dietmar Elger, der Leiter des bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden angesiedelten Gerhard-Richter-Archivs.

Seine Meinung sein Frühwerk betreffend geändert hatte Richter schon vor ein paar Jahren einmal: Er erklärte seine Grafikserie „Elbe“ für gültig. Richter war wohl selbst überrascht von der Qualität der Blätter, die 1957 in der Grafikwerkstatt der Kunsthochschule entstanden waren, als er, wie er selbst einmal sagte, beim Drucken experimentierte. Das Richter-Archiv publizierte davon eine Edition: 31 digitale Tintenstrahldrucke nach Richters 31 Monotypien.

Im nächsten Jahr werden größere Partien von Richters Diplomarbeit freigelegt. Anlass dafür ist die Sonderausstellung „VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR“. Es soll eine Schaurestaurierung werden. Im Februar sollen die Details bekannt gegeben, die Hintergründe erläutert und die Geschichten um die „Lebensfreude“ fortgeschrieben werden.