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In der "Heldenstadt" Leipzig wird das Stasi-Erbe gelüftet

Das deutschlandweit bekannte Museum in der alten Leipziger Stasi-Zentrale "Runde Ecke" will sich erneuern und dabei genau so bleiben, wie es ist. Kann das gelingen?

Von Sven Heitkamp
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In Einweckgläsern bewahrte die Stasi Stoffstücke auf, an denen der Körpergeruch von „Staatsfeinden“ haftete, um sie bei Bedarf mit Hunden aufspüren zu können. Auch das Leipziger Museum in der Runden Ecke verfügt über solche „Geruchskonserven“.
In Einweckgläsern bewahrte die Stasi Stoffstücke auf, an denen der Körpergeruch von „Staatsfeinden“ haftete, um sie bei Bedarf mit Hunden aufspüren zu können. Auch das Leipziger Museum in der Runden Ecke verfügt über solche „Geruchskonserven“. ©  Archivfoto: Robert Michael

Wer der untergegangenen DDR nachspüren will, muss durch Leipzigs Runde Ecke streifen: In der ehemaligen Stasi-Zentrale am Dittrichring steigt Gästen schon im Eingang der Geruch der Vergangenheit in die Nase. Mobiliar, Interieur, Linoleumböden, Tapeten – alles in der Gedenkstätte und dem Museum erinnert an die Zeit vor 1989. Zugleich bekommen Besucher ein beklemmendes Gefühl für die Autorität und die gelegentliche Banalität des SED-Unterdrückungsapparates.

„Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass dies ein Ort von nationaler Bedeutung ist – es gibt bundesweit kein Pendant“, sagt Peter Steinbach, Historiker, Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Runden Ecke.

Auch die DDR-Plattenbauten stehen auf dem Prüfstand

Die Stasi-Bezirksverwaltung war am 4. Dezember 1989 von Demonstranten friedlich erobert und besetzt worden. Trotzdem soll nun nicht mehr alles so bleiben, wie es ist. Das fast zwei Hektar große Areal des Matthäikirchhofs am Rande der Innenstadt, einst von der Staatssicherheit genutzt und heute zu großen Teilen der Stadt gehörend, soll von Bund, Land und Stadt unter anderem zum „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ umgestaltet werden.

Auch der Neubau für Sachsens Stasi-Unterlagen-Archiv soll dort entstehen. Damit geht es auch um einen Teil-Abriss des alten Areals für neue Läden, Wohnungen, Gastronomie und Kultur. Die DDR-Sechsgeschosser, die Flachbauten, Garagen, Keller und Innenhöfe; alles steht auf dem Prüfstand.

Vorwurf: Museum ist selbst zum Museumsstück geworden

Seither steht auch das Bürgerkomitee Leipzig als Träger der Gedenkstätte vor einem heiklen Spagat: Welche Teile der muffigen und vergilbten, einstigen Bezirkszentrale der Staatssicherheit müssen im Original erhalten bleiben, welche können abgestaubt werden, ohne einer Komplettmodernisierung zum Opfer zu fallen? Was darf verändert werden?

Die Debatten werden seit Jahren öffentlich und mitunter heftig geführt. Kritiker – darunter auch frühere Bürgerrechtler – bemängeln etwa, dass das von Laien nach der Friedlichen Revolution aufgebaute Museum selbst zum Museumsstück geworden sei. Sie fordern eine gründliche Überarbeitung der Präsentation nach aktuellen Standards. Viele Besucher loben aber gerade die Authentizität.

Die Stasi bekommt eine zeitgemäße Darstellung

Nun wird es ernst: Dieser Tage beginnt ein Wettbewerb, bei dem Architekten und Stadtplaner nach Lösungen für das Areal suchen. Gleichzeitig hat das Bürgerkomitee um den ehemaligen Bürgerrechtler und heutigen Museumschef Tobias Hollitzer mit Experten ein Entwicklungskonzept für die künftige Ausstellung geschrieben, im Dezember an die Stiftung Sächsische Gedenkstätten nach Dresden geschickt und an diesem Dienstag öffentlich gemacht. Eine Antwort steht bisher aus.

Die Kernbotschaft des Konzeptes lautet: Die historische Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ in den originalen Büroräumen der Spitzel sollten auf jeden Fall erhalten bleiben und um eine zeitgemäße Darstellung der Leipziger Stasi ergänzt werden. „Die historische Nutzung als Stasizentrale einschließlich des Neubaukomplexes sollte nicht grundsätzlich überformt werden, sondern in ihrer Dimension für kommende Generationen unbedingt erfahrbar bleiben“, heißt es in dem Papier.

Einblicke ins Büro des Leipziger Stasi-Chefs Hummitzsch

Die über das Areal verteilten historischen Stasi-Räume wie eine Kegelbahn, der Kinosaal, Bunker-Schutzräume im Keller, das Büro des Leipziger Stasi-Chefs Manfred Hummitzsch und der Wartebereich der Stasi-eigenen Poliklinik sollen bewahrt werden. Das geplante „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ entstehe eben nicht auf neutralem Grund, sondern auf Stasi-Gelände.

Dieser Umstand biete die große Chance, die Geschichte erlebbar zu machen. „Selbstverständlich wollen wir nicht alle Räume beanspruchen“, betont Hollitzer. „Aber wir wollen verhindern, dass man nicht mehr erkennen kann, was hier gewesen ist.“ Über Zeitpläne und Kosten, für die Bund und Land aufkommen müssten, wird in dem Entwicklungskonzept nicht gesprochen.

Die Politik muss diesen Ort auch wollen

Es geht den Autoren zunächst um eine inhaltliche Positionierung. Und die erwartet das Bürgerkomitee nun auch von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Man warte auf eine Antwort und verliere damit viel Zeit, kritisiert Hollitzer. „Wir brauchen den politischen Willen, dass man diesen Ort will“, betont Beiratschef Steinbach, der das Konzept voll unterstützt. „Jedes weitere Jahr frisst Substanz.“ Die Runde Ecke könne umgestaltet werden, ohne auf die Gesamtentwicklung des Matthäikirchhofs zu warten.

Auch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten wünscht sich dringend etwas frische Luft in der Schau. „Wir sind an einer inhaltlichen Erneuerung und Modernisierung der Ausstellung sehr interessiert“, sagt deren Geschäftsführer Markus Pieper. Die Entscheidung über die künftige Förderung und die Beurteilung des Konzeptes treffe der Stiftungsrat in Kürze, am 19. April.

"Gravierende negative Auswirkungen auf die Arbeit"

Dann soll es auch um die laufende institutionelle Förderung des Bürgerkomitees mit seinen zehn Mitarbeitern gehen. Bund und Land fördern den Verein aktuell mit zusammen 350.000 Euro. Hollitzer wünscht sich, dass es künftig 600.000 Euro werden. Die Ausstattung der Gedenkstätte müsse dringend erheblich ausgebaut werden, um das Konzept realisieren zu können.

Kürzungen, wie sie derzeit beim Freistaat im Gespräch seien, hätten dagegen „gravierende negative Auswirkungen auf die laufende Arbeit und die Weiterentwicklung“. Auch um die jährliche Förderung der Stadt von 150.000 Euro, die an die Umsetzung einiger Bedingungen gekoppelt ist, wird seit Jahren hart gerungen. Die Vorlage des mit dem Wissenschaftlichen Beirat abgestimmten Entwicklungskonzeptes gehörte dazu.