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Von New York nach Cunewalde

So viele Top-Künstler wie in Salzburg: Das neu aufgestellte Lausitz-Festival startet. Es wird einzigartig – auch dank Corona.

Von Bernd Klempnow
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Singt sonst nur auf den allerersten Bühnen von New York, Wien und Salzburg: Superstar Elina Garanca.
Singt sonst nur auf den allerersten Bühnen von New York, Wien und Salzburg: Superstar Elina Garanca. © Oliver Killig

Gidon Kremer wird das Publikum des Lausitz-Festivals zum Jubeln bringen. Zweimal, zum Beginn und fast zum Ende, tritt er bei den am Sonnabend im Cottbuser Theater startenden Festspielen auf und wird berührende Musik von Weinberg, Schumann und seinem geliebten Bach solistisch zu Klavierbegleitung und mit seinem Trio interpretieren. Doch eines können sich die begeisterten Zuhörer abschminken: Kremer, einer der ersten Geiger der Welt, gibt keine Autogramme: „Ich bin nicht prinzipiell gegen Autogrammwünsche. Ich bin nur jemand, der diesen Huldigungen nichts abgewinnen kann“, sagt der Lette.

Millionen für versteckte Schönheiten

Der stets bescheiden gebliebene Violinist deutsch-jüdischer Abstammung mag diese Form von Fetisch nicht fördern? „Nach einem Konzert soll ich in Kameras lächeln. Wie kann ich das, wenn die Seele nach solchem Kraftakt leer ist oder manchmal ein nagendes Gefühl der Unzufriedenheit zurückbleibt?“ Und Kremer zitiert den großen Pianisten Glenn Gould, wonach Musik ein Zwiegespräch zwischen der Partitur und dem Künstler sei. „Wer Zeuge eines solchen Gespräches war, bewahrt sich das Wunder am besten, wenn er innehält oder sich leise entfernt.“

Gidon Kremer eröffnet am Sonnabend das Lausitz-Festival: Er vermag es, selbst verwöhnte Kollegen zu begeistern. Foto: dpa
Gidon Kremer eröffnet am Sonnabend das Lausitz-Festival: Er vermag es, selbst verwöhnte Kollegen zu begeistern. Foto: dpa © dpa

Es dürfte in den nächsten Tagen viele dieser Wunder in der Nieder- und Oberlausitz geben. Denn das erstmals stattfindende Mehrsparten-Festival, nach einem vagen Versuch mit wenigen Veranstaltungen 2019, wird bis zum 16. Oktober gut 50 Veranstaltungen mit Konzerten, Theateraufführungen, Installationen, Vortragsreihen und philosophische Diskurse bieten. Ziel des über das Strukturstärkungsgesetz des Bundes mit gut vier Millionen Euro finanzierten Festes ist es, „die Wandlung der Lausitz als kulturelles Thema von europäischem Format und globaler Bedeutung zu reflektieren, die internationale Aufmerksamkeit auf den Reichtum der Region zu lenken und die Kräfte der Kulturschaffenden aus der Region deutlich zu bündeln“, sagt einer der Schirmherren, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Das Lausitz-Festival solle dabei helfen, den Stolz und das Selbstbewusstsein in der Region zu stärken – und dies von Lübben bis Zittau und Doberlug-Kirchhain bis Bad Muskau. Trägerin des Festivals ist die Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH.

Schon 2019 gab es den ersten Versuch solches Festivals, der sich als Schnellschuss erwies. Es mangelte an Vorbereitungszeit und dem Willen zur Zusammenarbeit auf vielen Seiten. In diesem Jahr ist alles anders. Die Zusammenarbeit mit den regionalen Instituten klappt. Das Festival bietet so viele Top-Künstler und Persönlichkeiten, wie sie in diesem Jahr bislang wohl nur die Salzburger Festspiele hatten.

Empfehlungen: So gastiert die wichtigste Pianistin, die scheue Martha Argerich. Die Frau, die sich rar macht, ist dreimal zu erleben – mit Chopin in der Lutherkirche Görlitz, mit dem Meistercellisten Mischa Maisky in der Görlitzer Synanoge und mit Beethovens genialem 2. Klavierkonzert bei der Neuen Lausitzer Philharmonie in der Dorfkirche Cunewalde.

An Sängern sind unter anderem Tenor Michael König, Bariton Michael Volle und Sopranistin Christiane Karg – mit Mahler und Schubert – zu hören. Würde diese Besetzung schon beste Häuser adeln, konnte der Künstlerische Leiter Daniel Kühnel mit Tenor Rolando Villazon und Mezzosopranistin Elina Garanca Interpreten gewinnen, deren Konzerte in New York, Wien oder anderen Metropolen überbucht sind.

Ebenso facettenreich wie großartig sind die anderen Angebote, etwa mit Jazzern wie Martin Tingvall und Brad Mehldau. Das Theater Lausanne kommt mit dem szenischen Liederabend „King Size“ vom Schweizer Star-Regisseur Christoph Marthaler, einem Meister der theatralen Zwischentöne. Es gibt Vorträge, Kunst, Diskussionen ... Es lohnt, die Internetseite des Festivals in Ruhe zu studieren.

Bach in der neu öffnenden Synagoge

Nur, wie gelang es dem Festival-Chef Kühnel, so viele Größen zu engagieren? Er sagt: „Wenn man diesen Weltstars, bei Martha Argerich kann man von einer der wenigen, vielleicht der einzigen Musikerlegende unserer Zeit sprechen, von der Lausitz erzählt, davon, was diese Region ausmacht und was sie durchmacht, dann schafft man es, sie zu begeistern und dann kommen sie auch gerne.“ Sicher: Coronabedingt sind derzeit viele Künstler frei und nehmen jedes der derzeit wenigen Angebote an. Kühnel hält gegen: „Allen Künstlern, ob aus der Lausitz oder woanders her, ob jung oder berühmt, war es sehr wichtig, dass sie auf die Eigenheiten und Besonderheiten unseres Festivals eingehen wollen, dass sie nicht einfach nur irgendein Programm zeigen, sondern eins, dass zum Lausitz-Festival passt.“

Und auch die Region setzt sich besonders ein. So verweist Kühnel darauf, dass „die Stadtväter von Görlitz die Synagoge für den Duo-Abend mit Martha Argerich und Mischa Maisky vorzeitig öffnen“.