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Mehr Musikerinnen in Sachsens Orchestern

Noch dominieren Männer die Kulturorchester. Doch der Trend in Sachsen und Deutschland ist klar – außer in Bayreuth.

Von Bernd Klempnow
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Ist noch das typische Orchesterbild: Eine Musikerin spielt Harfe. Das wird sich ändern, ebenso, dass Instrumente wie Horn und Kontrabass männergeprägt sind.
Ist noch das typische Orchesterbild: Eine Musikerin spielt Harfe. Das wird sich ändern, ebenso, dass Instrumente wie Horn und Kontrabass männergeprägt sind. © dpa

Die Harfe war der Vorbote. Das elegante Zupfinstrument ist seit Jahrzehnten in den Kulturorchestern in weiblicher Hand. Der Grund: Obwohl die Harfe mit einer Größe um die 1,80 Meter und einem Gewicht um die 40 Kilogramm eines der größten und schwersten Orchesterinstrumente überhaupt ist, kann sie unglaublich weiche und chromatisch-schöne Töne erzeugen. Das passte nicht zum Macho-Bild, wie es sich spätestens in den 1960er- und 70er-Jahren entwickelte – Harfenisten waren plötzlich fast überall out. Freilich, bis sich Frauen in anderen Instrumentengruppen durchsetzten, dauerte es. Noch 1960 betrug der Anteil von Musikerinnen in deutschen Sinfonieorchestern gerade mal drei Prozent, 1970 waren es vier Prozent.

Doch es geht – im Sinne der Gleichberechtigung – voran. Eine Studie von Instituten wie dem Deutschen Musikinformationszentrum in Bonn und dem Deutschen Musikrat ergab, dass von den knapp 9.000 Beschäftigten in den deutschen Kulturorchestern jetzt 39,6 Prozent weiblich sind. Erstmals wurde eine umfassende Erhebung dieser Art veröffentlicht. „Am Pult der Zeit“ ist ihr Titel. „Vor allem Spitzenorchester haben beim Frauenanteil Nachholbedarf“, lautet ihr Fazit. Die Zahlen sind aufschlussreich. Positiv: Nach einem halben Jahrhundert hat sich die Zahl der Musikerinnen verzehnfacht. Immerhin 73 der 129 Orchester weisen einen überdurchschnittlichen Frauenanteil aus. Bei sieben Ensembles überwiegen gar die Musikerinnen. Negativ: Je höher die Dienstposition, je besser die Stelle bezahlt ist, desto mehr Männer sind aktiv. „In Spitzenorchestern ist der Anteil von Frauen in höherer Dienststellung mit 21,9 Prozent besonders niedrig“, so die Studie. Und leider liegen Sachsens Klangkörper teilweise noch darunter.

Die Erste Geige wird nur selten von einer Frau gespielt

Zu den Fakten im Freistaat: Ob Elbland Philharmonie Sachsen, ob Dresdner Philharmonie, ob Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, MDR-Sinfonieorchester oder Gewandhausorchester Leipzig – hier sind drei von zehn Pulten weiblich besetzt. Zur Wende war es in der Regel nur ein Pult von zehn, Mitte der 90er-Jahre waren es dann zwei. Vor allem die Staatskapelle Dresden holte zwischendurch auf. Spielten zur Wende nur fünf Damen mit, waren es in den 90er-Jahren schon 16. Heute sind es fast 40 – trotzdem ist die Kapelle mit gut 25 Prozent Frauenanteil das Schlusslicht im Freistaat. Schlusslicht ist das 150-köpfige Renommierorchester auch bei den Konzertmeisterinnen und Stimmführerinnen mit nur zehn und solchen Schwerpunkten wie Harfe und Flöte. Da sind die Philharmonien von Chemnitz über Dresden bis Elbland mit 25 bis 33 Prozent wesentlich frauenfreundlicher. Und fünf Klangkörper, die Philharmonien in Chemnitz, Dresden, Freiberg und des Elblands sowie das MDR-Orchester, haben Erste Konzertmeisterinnen – Staatskapelle und Gewandhausorchester bislang keine.

Die Staatskapelle Dresden, die in der Semperoper musiziert, hat mit 25 Prozent mit den geringsten Frauenanteil im vergleich mit anderen Orchestern im Freistaat Sachsen.
Die Staatskapelle Dresden, die in der Semperoper musiziert, hat mit 25 Prozent mit den geringsten Frauenanteil im vergleich mit anderen Orchestern im Freistaat Sachsen. © dpa-Zentralbild

Auffallend: Bei Künstlern über 45 Jahren dominieren die Männer im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel. Vielfach gab und gibt es bei Musiker-Paaren die Arbeitsteilung, wonach er im Orchester musiziert. Sie bleibt in der zweiten Reihe oder wechselt als Pädagogin die Seiten, um Zeit für Kinder und Familie zu haben.

Perspektivisch interessant: Bei Musikern unter 45 Jahren ist die Gleichstellung annähernd erreicht. Und das dürfte wohl irgendwann in die andere Richtung kippen, denn unter den hochtalentierten Absolventen der Musikhochschulen sind viel mehr junge Frauen als noch vor Jahren. Sie dürften mehr und mehr hör- und sichtbar werden, wie überall in der Gesellschaft, weil engagierte Arbeitgeber immer stärker versuchen, dass Karriereplanung und Familientauglichkeit vereinbar sind. Wobei die – bis zu Corona übliche – intensive Tourneetätigkeit von Spitzenorchestern hier Grenzen setzt.

Eine Ausnahme gibt es zu dem deutschlandweiten Trend. Das jedes Jahr neu zusammengesetzte Orchester der Bayreuther Festspiele ist weiterhin „ein Männerinstrument“, sagt Festspielleiterin Katharina Wagner. Eine Erklärung dafür hat sie nicht. In diesem Jahr sind von den 230 Musikern nur 36 Frauen. Das entspricht nicht einmal der Hälfte des deutschen Durchschnitts.

Nur drei Alpha-Frauen im Freistaat

Doch es fehlt nicht nur an Frauen an ersten und Pulten überhaupt. Auch die meisten Chefs sind testosterongesteuert. Deutschlandweit sind nur acht Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt. In Sachsen gibt es derzeit mit Ewa Strusińska als Generalmusikdirektorin der Neuen Lausitzer Philharmonie nur eine Chefdirigentin. Und Intendantinnen haben nur die Dresdner Philharmonie und das MDR-Kompetenzzentrum Klassik.

Ob es eine Quote braucht? Wohl kaum. Aber starke Rollenvorbilder für Frauen und für Männer. Für Letztere, damit sie beispielsweise in längere Elternteilzeit gehen, ohne um ihren Posten fürchten zu müssen. Denn es wird auch in Traditionsorchestern facettenreicher werden. Beispiel ist die Harfe. Dieses uralte, allerliebste Instrument ist für Männer wieder attraktiv. Davon zeugen nicht nur Klassikstars wie der Franzose Xavier de Maistre. Die Zahl der Bewerber beim Wettbewerb des deutschen Harfen-Verbandes steigt Jahr für Jahr.