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N-Wort in "Jim Knopf" und Co: Lasst der Kunst ihre Widersprüche

Ein Gymnasium will den Namen Otfried Preußler loswerden, Jim Knopf bekam hellere Haut und Klassiker werden gereinigt. Das ist Bevormundung, kommentiert Karin Großmann.

Von Karin Großmann
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Nach mehr als sechzig Jahren hat der Thienemann Verlag Michael Endes Kinderbuchklassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ samt Nachfolgeband bearbeiten lassen.
Nach mehr als sechzig Jahren hat der Thienemann Verlag Michael Endes Kinderbuchklassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ samt Nachfolgeband bearbeiten lassen. © dpa/SZ Montage

Erich Kästner gehört als Rassist verboten. Denn in mindestens vier Gedichten von ihm taucht das N-Wort auf. Ganz zu schweigen vom biederen Mutterbild in den Kinderromanen des Dresdner Autors. Feministische Fußnägel rollen sich hoch. Das Gemälde „Bei der Kupplerin“ in der Galerie Alte Meister gehört abgehängt. Denn dass ein Mann öffentlich die Hand auf die Brust einer Frau legt (die nicht mal seine ist), ist eine besitzergreifende Anmaßung. Gar nicht zu reden von der Zurschaustellung weiblichen Fleisches in anderen Bildern. Die Galerie sollte spätestens zum 8. März schließen. Das Zauberschloss Schönfeld gehört zugesperrt. Denn die Vortäuschung falscher Tatsachen ist eine Straftat. Magie hat zur Lösung von Konflikten noch nie beigetragen. Wer meint, andere Personen einfach verschwinden lassen zu können, stellt sich mit den schlimmsten Diktatoren in eine Reihe.

Das sind nur ein paar Vorschläge. Aber die deutschen Kultur-Cancler aus sämtlichen politischen Himmelsrichtungen werden sie freudig aufgreifen. Sie wetzen gerade wieder die Messer. Eingraviert sind Begriffe wie „political correctness“ oder „sensitivity reading“. Das klingt kosmopolitisch und behauptet: Man nimmt Rücksicht. Es klingt nicht wie Zensur oder Engstirnigkeit oder Geschichtsvergessenheit. Doch genau das ist es, wenn Klassiker gereinigt, Übersetzungen geglättet und Kinderbücher über queere Mädchen aus dem Unterricht verbannt werden. Letzteres Beispiel stammt aus Texas. Die USA sind für puristische Regeln berüchtigt. Da agiert Deutschland viel toleranter. Ach ja? Sind wir wirklich so aufgeschlossen, dass wir uns alle riesig freuen, dass diese Woche ein Travestiekünstler als Dragqueen Olivia Jones den Deutschen Lesepreis erhielt und vor den Kameras im schrillpinken Kostüm mit Kindergartenkindern posierte? Dann ist es ja gut.

Nein, nichts ist gut. Derzeit häufen sich die Beispiele für Intoleranz. Man kann es auch Bevormundung nennen. Oder einen Angriff auf das kulturelle Gedächtnis. Es geht um nichts weniger als um die Autonomie der Kunst. Wer meint, darüber können sich nur veränderungsunwillige akademische Mittelschichtsbürgerinnen aufregen, irrt.

Bewirkt ein Gespräch im Kinderzimmer nicht mehr?

Erstes Beispiel: Das Dresdner Stadtmuseum zeigt bis Juli eine Ausstellung über sogenannte Völkerschauen. Sie fanden seit den 1870er-Jahren im hiesigen Zoo und in vielen Großstädten statt. Angehörige anderer Völker wurden dem Publikum vorgeführt, kostümiert oder halb nackt. Rassistische Vorurteile wurden geschürt und Stereotype verbreitet. Der Museumskatalog setzt sich kritisch damit auseinander, druckt zeitgenössische Abbildungen. Die Postkarten werden in der Ausstellung nicht vergrößert, manche werden sogar mit einem Blatt abgedeckt. Die Gäste dürfen es selber lüpfen. Eine Freude für Voyeure. Sollte sich nicht jeder unvoreingenommen eine eigene Meinung bilden können?

Zweites Beispiel: Nach mehr als sechzig Jahren hat der Thienemann Verlag Michael Endes Kinderbuchklassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ samt Nachfolgeband bearbeiten lassen. Das Findelkind Jim hat jetzt eine hellere Haut. Damit geht der Witz flöten, der aus der Sympathie zwischen dem schwarzen Jungen und dem kohlenschwarzen Lokführer entsteht. Das N-Wort im Text ist gestrichen, Indianer und Eskimo sind gestrichen, auch Jims Geschenk, eine Tabakspfeife. Kinder rauchen nicht! Wie man emanzipatorische Texte beschädigen kann, die für Freundschaft, gegenseitige Hilfe und gleiche Rechte werben, verstehe wer will. Die Geschichten sind gebunden an ihre Entstehungszeit, an einen konkreten historischen Raum. Begriffe, die heute unangenehm aufstoßen, störten damals nicht. Könnte ein Gespräch darüber im Kinderzimmer nicht mehr bewirken als ein Herumretuschieren?

Folgt Preußler nationalsozialistischer Ideologie?

Drittes Beispiel: Das Otfried-Preußler-Gymnasium im bayerischen Pullach will seinen Namen ändern. Der Schriftsteller habe mit „Erntelager Geyer“ ein Buch verfasst, das der nationalsozialistischen Ideologie folge, so der Direktor. Dass Preußler mit dieser Ideologie aufwuchs und den Roman mit 17 schrieb, dass sein gesamtes literarisches Werk wunderbar vom Gegenteil zeugt, scheint kein Argument zu sein. Preußler hätte sich distanzieren müssen, heißt es. Das hat er ebenso wenig getan wie andere seiner Generation, die sich in schamvolles Schweigen zurückzogen. Aber er hat im „Krabat“ von jugendlicher Verführbarkeit erzählt und eindringlich vor der Faszination des Bösen gewarnt. Auch das ist in Pullach egal. Man verübelt es wohl dem Autor, der lange als Lehrer arbeitete, dass er einmal über die Öde des Schulbetriebs klagte. Für den Geschmack des Direktors ist bei Preußler auch zu viel Magie im Spiel. Armer Faust. Sollte nicht jeder selbst verantwortlich sein für das, was er aus einem Buch herausliest und was nicht?

Vieldeutigkeit ist ein Vorzug der Kunst. Sie kann differenzieren, Widersprüche aushalten und die Grautöne zeigen zwischen Schwarz und Weiß. Leider mag der Zeitgeist gerade das nicht. Er hat gern simple Antworten auf kurze Fragen. Immer schön geradeaus auf überschaubaren Pfaden. Bloß kein langes Erklären. Noch kommen Erich Kästner, Vermeers Kupplerin und die Schloss-Zauberer dem Zeitgeist davon.

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